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Frag Gary Anderson: Was ist falsch mit den Regeln für 2017?
Gary Anderson erklärt, weswegen die Groundeffect-Autos kein Allheilmittel für bessere Rennen sind und verrät, warum das Problem Ralf Schumachers Michael war...
(Motorsport-Total.com) - Zwischen 1991 und 2003 arbeitete Gary Anderson für Jordan als Designer in der Formel 1. Heute nimmt sich der 64-Jährige als Beobachter der Formel 1 den Fragen der Fans an und verrät, weswegen er nicht glaubt, dass schnellere Autos zu spannenderen Rennen führen. Auch Ralf Schumacher beleuchtet er und geht darauf ein, weswegen sein Bruder Michael erfolgreicher war. Gute Noten stellt er dem Management von Ferrari aus, die die Krisen der vergangenen Jahre hinter sich ließen.

© xpbimages.com
Anderson hätte gerne mehr Spannung statt krampfhaft bessere Rundenzeiten Zoom
James Tregellis (E-mail): "Ich kann verstehen, warum du denkst, dass die Regeländerungen für 2017 nicht den gewünschten Effekt haben, aber ich dachte, dass der Brocken von fünf bis sechs Sekunden Verbesserung pro Runde von der Wiedereinführung des Groundeffects kommen soll. Man hätte damit auch in den Kurven bessere Traktion und dadurch schnelleres Herausbeschleunigen auf die Geraden."
"Und da der Groundeffect ein effizienterer Weg ist, Abtrieb zu generieren, wäre das Resultat, dass der Luftwiderstand des Autos geringer wäre. Das würde heißen, dass die Topspeeds der Autos höher ausfielen. Würde das in Kombination mit klebrigeren Reifen und einer breiteren Strecken nicht eine Formel 1 schaffen, die es belohnt, wenn man Eier hat, und in der enge Positionskämpfe möglich sind? Oder sehe ich das falsch?"
Groundeffect kein Allheilmittel für Überholmanöver?
Gary Anderson: "Da hast du Recht, James. Das meiste der Rundenzeit würde durch den zusätzlichen Anpressdruck und die höheren Höchstgeschwindigkeiten kommen. Was ich aber gesagt habe ist, dass viel dazu benötigt wird, um die fünf bis sechs Sekunden Verbesserung zu erreichen. Durch den Groundeffect sind die Luftturbulenzen nicht so kritisch wie bei den Teilen an den Autos, die im Moment den Abtrieb produzieren, aber selbst wenn alles darauf optimiert ist, dass es einen sauberen Luftstrom (hinter dem Auto; Anm. d. Red.) gibt, wird es nach den Plänen für 2017 immer noch Abtriebsverlust geben, wenn man einem anderen Auto folgt."
"Ich stimme dir noch einmal zu, dass es schön wäre zu sehen, dass Fahrer für ihren Mut belohnt werden, doch ich bin mir nicht sicher, ob das alles zu engeren Rennen führen wird. Ich denke nicht, dass die Fahrer ein Überholmanöver versuchen werden, wenn sie 15 Prozent schneller durch die Kurve fahren. Schauen wir uns dazu mal die Copse-Kurve in Silverstone an. In einem aktuellen Boliden liegt die Kurvengeschwindigkeit im Renntrimm bei ungefähr 280 Kilometern pro Stunde."
"Durch den 'super-tollen' Groundeffect und den zusätzlichen Grip werden sie dort dann etwa 331 Kilometer pro Stunde drauf haben. Wenn du bei diesen Geschwindigkeiten einen Unfall hast, wird der einem Flugzeugabsturz sehr ähnlich. Auch wenn du dich nur berührst, wirst du zu den Rennkommissaren gerufen, um deine Aktion zu rechtfertigen."
Gegenposition: Die Autos langsamer machen?
Gerard van Dam (E-mail): "Sicher, dass wir engere Rennen und nicht schnellere Rennen wollen? Die fünf Sekunden Verbesserung pro Runde sind Quatsch, denn so schnell wie die Autos jetzt sind, sieht man sie kaum noch. Ich würde sagen, wir brauchen weniger Abtrieb - um die 100 Kilogramm weniger. Das hieße, dass die Autos rutschen. Das Überholen würde einfacher und die Reifen würden halten. Was denkst du dazu? "
Gary Anderson: "Gerard, ich stimme dir zu und ich denke, dass ich schon oben darauf geantwortet habe, so weit es um höheren Anpressdruck und niedrigere Rundenzeiten geht. Ich stimme auch zu, dass bei geringerem Abtrieb dem Fahrer mehr Bedeutung zukommt. Mexiko war ein Beispiel dafür: Die Autos fuhren mit den Flügeleinstellungen von Monaco, aber wegen der Höhenlage und der dünneren Luft produzierten die Autos dort weniger Abtrieb."

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In den 1980ern steckte die Aerodynamik noch in den Kinderschuhen Zoom
"Das bedeutete in Kombination mit der glatten Streckenoberfläche, dass die Autos viel mehr herumrutschten und wir mehr Fahrfehler sahen. Wenn ich etwas damit zu tun hätte, würde ich es gerne sehen, dass die Autos ungefähr fünfzig Prozent des derzeitigen Abtriebs produzieren. Ich würde die komplexen abtriebsproduzierenden Oberflächen vereinfachen und mehr Abtrieb durch den Unterboden und breitere Reifen generieren, um etwas von dem Grip zurückzugeben."
"Das Ziel des Ganzen wäre, dass wir ungefähr dieselben Rundenzeiten und Kurvengeschwindigkeiten wie jetzt haben, aber es würde den Autos erlauben, mit weniger Problemen hintereinander herzufahren und das meiste der Ausgaben reduzieren, die derzeit für die aerodynamischen Teile ausgegeben werden. Die Reifen müssten so gebaut sein, dass sie dem zusätzlichen Rutschen standhalten, aber ich bin mir sicher, dass Pirelli das hinbekommt."
Die 1980er: Aerodynamik vom weißen Blatt Papier
Lee Graham (Twitter): "Wie sind die Abtriebswerte der 80er-Jahre-Groundeffect-Autos im Vergleich zu denen moderner Boliden und würdest du gerne sehen, dass der Groundeffect zurückkommt?"

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Der Unterboden des Red Bull ist für Anderson ein Meisterwerk Zoom
Gary Anderson: "Lee, die Abtriebswerte wären dann etwas höher als im Moment, aber nicht so hoch, wie du vielleicht erwartest, denn in der Vergangenheit war das Verständnis von Aerodynamik noch sehr einfach. Die Zeit im Windkanal war damals sehr eingeschränkt. Ich denke, dass Gordon Murray bei Brabham der erste Designer war, der ein Programm entwarf, um die Aerodynamik sauber zu erforschen. Das stand im Gegensatz dazu, dass vorher einfach ein paar Linien auf ein Blatt Papier gebracht wurden, irgendetwas daraus gemacht und dann auf der Strecke getestet wurde."
"Unter dem Auto gab es einen großen Bereich an Unterboden. Je niedriger die Fahrzeugfront und je höher das Heck lag, umso mehr Abtrieb hat man produziert. In Kombination mit einer gestuften Schürze an den Seiten, um das alles zu abzudichten, war es das, womit man zum Rennen ging. Niemand interessierte sich dafür, wie sich der Luftstrom unter dem Auto bei unterschiedlicher Fahrzeugneigung und Geschwindigkeit verändert."
"Man kann das zum Beispiel daran sehen, dass Red Bull sein Auto an der Front sehr niedrig einstellt und das Heck sehr hoch sitzt. Damit wird versucht, immer noch etwas Groundeffect aus den Autos herauszuholen, die jetzt einen flachen Unterboden haben. Aber um das zu tun, muss die aerodynamische Luftfluss-Struktur (was in der heutigen Aerodynamik das Schlagwort ist) so funktionieren, dass sie eine unsichtbare Schürze entlang des Unterbodens aufbaut. Red Bull ist darin Meister. Andere versuchen immer noch, es mit mehr oder weniger Erfolg zu kopieren."
Liam Li (Twitter): "Wie ist der 2015er-Ferrari von James Allison in aerodynamischer Hinsicht im Vergleich zu den Ferraris von Pat Fry, die seit 2010 gebaut wurden? Ich will einfach wissen, wie gut Ferrari im Vergleich zum Rest der Startaufstellung ist und ob die Zukunft für Ferrari unter Allison gut aussieht."
Ferrari: Köpferollen war nicht die Lösung
Gary Anderson: "Liam, ich kenne James nicht so gut und habe nie mit ihm gearbeitet. Aber ich habe ihn immer bewertet. Er scheint ein guter Querdenker zu sein und nicht bloß ein managender Ingenieur wie viele seiner Gegenparts. Er versucht sich in allen Bereichen Wissen anzueignen und hat ein gutes Verständnis davon, wie alles zusammen funktionieren muss. Ob es jetzt besser ist als die Autos von Pat? Ich fürchte, die Frage kann ich nicht beantworten."
"Ich denke, wenn man die Ergebnisse über die Jahre vergleicht, kann man sagen, dass es nicht viel Unterschied gibt. Fernando Alonso war normalerweise in der Lage, mit Frys Autos gute Ergebnisse einzufahren, obwohl Red Bull dominiert hat. Es ist aber nie eine Person, mit der ein Team steht oder fällt und ich hoffe, dass Ferrari das durch seine Veränderungen im Management gelernt hat."
"In der Vergangenheit sah es immer so aus, als müssten sie jemanden finden, der schuld ist. Diese Kultur ist jetzt hoffentlich weg und es wurde hoffentlich verstanden, dass man einfach das Team stärken muss. Wenn es einen Bereich gibt, der schwach ist, muss man einfach jemanden finden, der diesen Bereich stärken kann. Es wurde bereits in vielen Fällen getan, aber: Schüttet das Kind nicht ständig mit dem Bade aus."
Sensoren, damit die Strecke eingehalten wird
Arian Torry (E-mail): "Warum können mit der heutigen Technologie die Regeln zur Einhaltung der Streckenbegrenzung nicht verschärft durchgesetzt werden? Könnten am Fahrzeug und an bestimmten Punkten der Strecke nicht Sensoren angebracht werden? Wenn ein Auto darüber hinauskommt, wird das von der Rennleitung registriert und eine Strafe ausgesprochen."
Gary Anderson: "Arian, ich stimme dir da vollends zu. Es gibt Sensoren im Boden der Autos, um Frühstarts zu erkennen. Ich bin mir also ziemlich sicher, wenn man an diesen kleine Änderungen vornimmt und Sensoren an der Strecke anbringt, könnte man die Position des Autos elektronisch überwachen. Die Pläne von Autoherstellern für autonomes Fahren zeigen, was für Technologie zur Verfügung steht. Wenn die Formel 1 das nicht zur Abgrenzung der Strecke tut, kehrt sie einer zeitgemäßen Technologie den Rücken zu."
Ralf Schumacher: Abgrenzung zum Bruder hat gefehlt
Mark Amos (E-mail): "Ralf Schumacher ist bei dir 1997 für Jordan gefahren. Wurde er nur wegen seines Nachnamens unter Vertrag genommen oder war er generell ein guter Fahrer mit eigener Begabung?"
Gary Anderson: "Mark, Ralf war ein guter, eigenständiger Fahrer. Sein größtes Problem war, dass sein Nachname Schumacher war. Sein Bruder war nicht nur ein guter Fahrer, er war ein großartiger Fahrer. Wir (Jordan; Anm. d. Red.) hatten ihn auch bei seinem ersten, sehr kurzen Rennen bei uns und ich kann versichern, dass trotz der kurzen Zeit, die er dort verbrachte, seine Qualitäten herausstachen."
"Ralf versuchte mitzuhalten. Manchmal gelang das aber nicht und das war Ralfs größtes Problem. Er wollte mit seinem Bruder mithalten, aber in Wirklichkeit fehlten ihm vier oder fünf Jahre Erfahrung auf Michael und so gut er auch war: Das letzte bisschen fehlte ihm. Er war eine tolle Person, wenn auch etwas arrogant, doch das ist etwas, das er vielleicht durch seinen Bruder mitbekam. Was er nicht realisierte war, dass sein Bruder das Recht dazu hatte, etwas arrogant zu sein, wohingegen er sich selbst hätte reinknien sollen, um den Job zu machen und dabei ganz er selbst zu sein."
Rookies wegen Technik kein Problem mehr
(E-mail): "Wir hören viel über den Wert an Erfahrung. Aus technischer Perspektive: Wie viel besser ist es, mit einem erfahrenen Fahrer zusammenzuarbeiten als mit einem Rookie?"

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Unerfahrene Fahrer wie Max Verstappen sind für die Teams heutzutage kein Problem Zoom
Gary Anderson: "Lawrence, je weiter die Technik vorangeschritten ist, umso weniger wurde die Erfahrung wichtig. Vor vielen Jahren hatten wir die einzigen Daten von einem O-Ring, den wir um den Dämpferschaft herum anbrachten, um zu sehen, wie sehr sich das Auto bewegt. Da war Erfahrung alles. Aber heute, wenn sich der Ingenieur einfach die Daten ansieht, wird er dem Fahrer sagen können, ob er Untersteuern oder Übersteuern hatte."
"Ich habe es genossen, mit unerfahrenen Piloten zu arbeiten. Michael Schumacher, Alex Zanardi, Rubens Barrichello, Eddie Irvine, Ralf Schumacher und Giancarlo Fisicella waren alle neu in der Formel 1, als sie zu uns zu Jordan kamen und mit allen war es eine Freude zusammenzuarbeiten. Sie wussten einfach nur, wie sie alles geben konnten, was sie hatten. Sie hätten sich die Reifen vom Auto abgefahren. Wenn wir ihnen das Werkzeug gegeben haben, um ihre Arbeit zu machen, kamen sie mit den entsprechenden Resultaten zurück."
"Andere Fahrer, die von größeren Teams kamen, wollten aus unseren Autos etwas machen, von dem wir nicht wussten, wie man das erreicht. Wenn wir das gewusst hätten, hätten wir es schon getan. Manchmal ist es sogar für einen erfahrenen Piloten besser, sich mit dem zu arrangieren, was man hat und das Beste dort herauszuholen - anstatt irgendetwas nachzujagen, was nicht passieren wird."

