• 26.12.2015 08:47

  • von Gary Anderson (Haymarket)

Frag Gary Anderson: Sind Stahlbremsen eine Option?

Gary Anderson teilt die Meinung der Fans: Die Formel 1 bietet keinen guten Rennsport - Er hat einen kontroversen Vorschlag, wie man das Problem lösen könnte

(Motorsport-Total.com) - Die Formel 1 steht immer wieder in der Kritik - zu Recht, findet Gary Anderson. Der frühere Formel-1-Designer ist sich der Überholproblematik bewusst. Könnten Stahlbremsen die Lösung sein? Oder muss das Rad der Zeit gar bis in die 60er-Jahre zurückgedreht werden, um wieder Rennaction vom Feinsten zu erleben? Gary Anderson hält das für wenig sinnvoll, hat aber einen ganz eigenen Vorschlag: Warum nicht unterschiedliche Beläge auf Innen- und Außenbahn?

Titel-Bild zur News: Bremse, Mercedes W06 Hybrid

Wirklich die Wurzel allen Übels? Eine Carbon-Bremsscheibe am Mercedes W06 Zoom

Roger Smith (E-Mail): "Würde eine Rückkehr zu Stahlbremsen die Überholprobleme in Formel 1 lösen? Sie wären auch für die Autoindustrie relevanter, die wohl kaum auf Bremsscheiben aus Kohlefaser setzen wird..."
Gary Anderson: "Als Alex Zanardi 1999 für Williams fuhr, konnte er sich einfach nicht auf die Carbon-Bremsscheiben und -beläge einstellen und musste daher Stahlbremsen verwenden. Das hat für ihn auch nicht perfekt funktioniert, aber er hat gezeigt, dass es möglich wäre. Patrick Head war überrascht, dass die Performance der Stahlbremsen mit kohlefaserverstärkten Bremsbelägen gar nicht so schlecht gewesen ist. Bremsscheiben aus Kohlefaser sind die sicherste Option, da die thermale Belastung enorm ist, wenn der Fahrer auf dem Bremspedal steht. Stahlbremsen leiden stärker darunter."

"Ich bin mir sicher, dass es vom Standpunkt eines Ingenieurs aus gesehen Lösungen dafür gäbe, aber würde das besseres Racing erzeugen? Ich denke nicht. In Wirklichkeit sorgt nämlich der gewaltige Abtrieb, den diese Fahrzeuge produzieren, dafür, dass die Bremszonen so kurz geworden sind. Selbst wenn wir den aerodynamischen Grip um bis zu 80 Prozent verringern und ihn (mittels der Reifen, s. unten) durch mechanischen Grip ersetzen, wäre der Grip immer noch da."

"Es gibt kein Allheilmittel für die Überholprobleme. Die Aerodynamik dramatisch einzuschränken und den mechanischen Grip zu erhöhen wäre eine große Hilfe, aber wir müssen auch an den Strecken arbeiten. Zu viele Kurven lassen nur eine Linie zu und bieten keine Gelegenheit zum Überholen. Warum führen wir keine leicht überhöhten Kurven ein, die eine optionale Linie auf der Außenbahn zulässt? Wenn man sich Sotschi ansieht: Da war der Belag viel rutschiger und anders als auf anderen Strecken. Warum nehmen wir diesen nicht als Norm für die Innenbahn und legen einen griffigeren Belag auf die Außenbahn?"

Testverbot verschlimmert Überholproblematik

Stefan Ruitenberg (Twitter): "Wenn Windkanäle in der Formel 1 verboten werden würden, wäre die Aerodynamik doch bei weitem nicht so gut, da CFD noch nicht ausreichend entwickelt ist, oder?"
Anderson: "Stefan, wenn man auch nur eines von beidem verbietet, wäre es einfach dumm. Das ist, als würde man sagen, dass wir die Technologie verbannen. Die Teams investieren große Summen, um ein besseres Produkt innerhalb des vorgegebenen Reglements zu bringen."

"Es gibt kein Allheilmittel für die Überholprobleme." Gary Anderson

"Das einzige Problem, das die Formel 1 hat, sind die Regeln. Sie sind verantwortlich für den schlechten Rennsport, den wir bei vielen Gelegenheiten gesehen haben, und für die galoppierenden Kosten, die bedeuten, dass kleinere Teams Probleme haben, weiter zu bestehen. Das Problem ist nur, dass dieselben Leute, die diese Regeln gemacht haben, damit beauftragt worden sind, dieses Problem zu lösen..."

Luis Regner (Twitter): "Wie viele Testfahrten wären nötig, um Fahrzeuge zu erhalten, bei denen 70 bis 80 Prozent des heutigen aerodynamischen Grips durch mechanischen Grip ersetzt werden (durch breitere Autos, größere Reifenund so weiter)?"
Anderson: "Luis, wenn jemand mit einem Reglement um die Ecke käme, das 70 bis 80 Prozent des aerodynamischen Grips eliminieren und sie durch mechanischen Grip ersetzen würde, dann würden die Teams damit ohne zusätzliche Testfahrten klarkommen und ich wette mit dir, dass das Racing besser werden würde. Die jetzigen Regularien haben Testfahrten auf Rennstrecken so sehr reduziert, dass die Teams viel in Simulationen investiert haben. Es sind diese Geräte, die uns den schlechten Rennsport und die explodierenden Kosten beschert haben."

"Teams und Fahrer optimieren ihre Setups und das Fahrzeugdesign nämlich mittels dieses fortschrittlichen Equipments. Je mehr man ausgibt, umso mehr kann simuliert werden. Aber ich habe von noch niemandem gehört, dass er Luftverwirbelungen in die Simulation einbaut. Es wird alles bei perfekten Luftströmen erstellt, wodurch das Setup idealen Verhältnissen auf den Leib geschneidert wird. Und dann wundern wir uns, warum Überholen schwierig ist."


Heiße Formel-1-Studie: McLaren MP4-X

Darjan Petric (E-Mail): "Wenn die Formel 1 die Reifen abdecken würde, wie es zuletzt beim McLaren MP4-X Konzeptfahrzeug der Fall gewesen ist, wie sehr würde sich der Luftwiderstand reduzieren, weil die Luft um das Auto herum weniger verwirbelt werden würde?"
Anderson: "Die offenen Reifen sind verantwortlich für 35 Prozent des Luftwiderstands eines Formel-1-Fahrzeugs. Sie abzudecken würde nicht bedeuten, dass dieser Wert auf null geht, aber er würde drastisch reduziert werden. Was den Abtrieb betrifft, hätte es einen Einfluss, der aber kleiner ist als man denken würde."

"Wenn man genau hinsieht, ist die Gesamtphilosophie eines Formel-1-Autos, die Räder aerodynamisch möglichst vom Rest des Autos zu trennen. Die Konzepte von McLaren, Red Bull und Ferrari tun dies lediglich zu einem unterschiedlichen Grad. Den Luftstrom um ein offenes Rad herum zu kontrollieren ist eine der schwierigsten Sachen überhaupt, wenn es darum geht, ein Formel-1-Auto zu entwerfen. Aber es ist nicht alles negativ, es kann auch zum eigenen Vorteil genutzt werden."

USA, Watkins Glen 1961, Start

Formel 1 in Watkins Glen 1961: Bestes Racing ohne aerodynamische Hilfsmittel Zoom

Rad der Zeit kann nicht zurückgedreht werden

Dann Nall (E-Mail): "Was würde mit der Formel 1 passieren, wenn Front- und Heckflügel verboten werden würden und Anbauteile an der Karosserie nur erlaubt wären, wenn sie mechanische Komponenten beherbergen?"
Anderson: "Dan, die kurze Antwort darauf ist: Ich habe keine Ahnung. Es wäre ziemlich anders und die Ingenieure hätten gerne genau das Gegenteil von dem, was du vorschlägst. Gib ihnen weniger restriktive Vorschriften und lass sie einfach machen. Ich bin mir sicher, dass Adrian Newey und viele andere am liebsten am Ende der Boxengasse ein Tor aufstellen würden und wenn ein Auto da durch passt, wäre es legal."

"Man kann nicht alles, was man gelernt hat, einfach in den Papierkorb werfen. Wenn sich der Automarkt in die 60er-Jahre rückentwickeln würde und das Topmodell ein Austin Allegro wäre, der zwölf Liter auf 100 Kilometern schluckt, wären wir dann glücklich?"

Glenn English (E-Mail): "Während meiner bescheidenen aktiven Motorsportzeit vor vielen Jahren (Orientierungsrallyes bei Nacht durch ein Straßenlabyrinth in Nordirland) wurde die Abnahme vor dem Start durchgeführt und wenn irgendetwas nicht stimmte, hieß es: 'Das musst du beheben, bevor ich dich starten lasse.' Ich habe immer gedacht, dass dies der sportlichste Weg sei, mit so etwas umzugehen. Warum gehen in der Formel 1 die Stewards leise ihren Aufgaben nach, aber tun ihre Bedenken erst während des Rennens kund? Warum vergeben sie Strafen oder Wertungsausschlüsse, wenn es einfach reichen würde, zu sagen: 'Mit dem Reifendruck lass ich dich nicht starten'?"
Anderson: "Glenn, ich erinnere mich gut an diese Nächte. Das waren die Zeiten, als der Rallyesport wirklich Rallyesport war."

"Ich bin vergangene Woche wieder in Nordirland gewesen und bin dort an einem Fluss entlang zum Haus meines Neffen in einem Leihwagen gefahren. Das war eine sehr kurvige und wellige Straße. Da habe ich eine dieser tollen Nächte noch einmal erlebt. Meiner Frau hat das nicht sehr gefallen, aber wir haben es geschafft!"

Felipe Massa

Felipe Massa in Brasilien erst im Nachhinein zu bestrafen hält Gary Anderson für falsch Zoom

"Was deine Frage betrifft, schließe ich mich dem exakt an - warum sollte ein Fahrer in dieser Situation starten dürfen? Die Kontrolle von Reifendruck und -temperatur wurde aus Sicherheitsgründen eingeführt. Wenn also ein Auto gegen diese Direktive verstößt, müsste es doch eigentlich ein Sicherheitsrisiko darstellen. Das Team hätte informiert werden und der Fahrer nach der Einführungsrunde an die Box kommen müssen. Er hätte seine Reifen auf einen Satz derselben Mischung mit legalen Temperaturen und Drücken wechseln und dann aus der Box nachstarten sollen."

Adam Hall (Twitter): "Hast du einen Tipp für einen Maschinenbaustudenten aus Nordirland, der Motorsportingenieur werden möchte?"
Anderson: "Adam, du musst dich in einem Team engagieren, um so viel Erfahrung wie möglich zu sammeln. Es ist egal, in welcher Meisterschaft du das tust; wichtig ist nur, dass dein Engagement in deinem Lebenslauf auftaucht. Während dieser Zeit solltest du mit deinem Studium weitermachen und hoffentlich wird deine Erfahrung mit einem Team dir dabei helfen, dich auf den Bereich konzentrieren zu können, der dich am meisten interessiert."

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