• 22.02.2024 15:07

  • von Edward Hardy, Übersetzung: Stefan Ehlen

Formel-1-Technik: Die Aufhängungs-Konzepte der Formel 1 erklärt

Wir erklären, warum es ein Unterschied ist, ob ein Formel-1-Auto mit Pullrod- oder Pushrod-Aufhängung fährt, und was genau es damit auf sich hat

(Motorsport-Total.com) - Im dritten Jahr des aktuellen Technischen Reglements der Formel 1 sehen sich die Autos ähnlicher denn je: Es gibt klare Trends bei der Nasenform, bei der Gestaltung der Seitenkästen und wie die Heckflügel geformt sind. Und doch gibt es bei der Aufhängung der Räder eklatante Unterschiede, was die Konzepte der einzelnen Teams anbelangt.

Titel-Bild zur News: Pullrod-Aufhängung bei Red Bull, Pushrod-Aufhängung bei Ferrari in der Formel 1 2024

Pullrod-Aufhängung bei Red Bull, Pushrod-Aufhängung bei Ferrari in der Formel 1 2024 Zoom

Hier dreht sich alles um zwei Begriffe: Pullrod und Pushrod. Was man darunter versteht und was genau es damit auf sich hat, das erklären wir in diesem Artikel. Denn in der Formel-1-Saison 2024 könnte die Aufhängung noch zum Thema werden, weil die Teams hier bewusst unterschiedliche Wege gehen.

Wichtig für das Verständnis ist der grundlegende Aufbau einer Formel-1-Aufhängung, egal, ob Vorder- oder Hinterachse: Es gibt einen oberen und einen unteren Querlenker. Dazwischen sitzt eine Stange, die das Rad mit einer horizontal im Chassis gelagerten Torsionsfeder verbindet. Diese Feder sorgt dafür, dass ein Auto möglichst stabil über Bodenwellen oder Randsteine hinwegfahren kann.

Im Prinzip dient die Aufhängung also dazu, den Straßenkontakt des Fahrzeugs zu optimieren. Sprich: die Zeit, in der alle vier Räder den Boden berühren. Denn dann kann das Auto seine Leistung bestmöglich entfalten.

An dieser Stelle kommen Pullrod und Pushrod ins Spiel, als Entweder-Oder-Variante der Aufhängung. Und damit kommen wir zu der entscheidenden Frage, wo die Unterschiede liegen.

Was versteht man unter einer Pullrod-Aufhängung?

Bei einem Rennauto mit Pullrod-Aufhängung (zu Deutsch: Zugstangen-Aufhängung) ist die Zugstange unten am Chassis und - diagonal nach oben verlaufend - oben am Radträger angebracht.

Fährt ein Auto mit Pullrod-Aufhängung über Unebenheiten auf der Fahrbahn oder zum Beispiel über Randsteine, dann zieht das Rad mittels der Zugstange an der Feder. Die Zugstange wird also nach oben und außen gezogen, weg vom Chassis.

Pullrod-Aufhängung am Red Bull RB20 in der Formel-1-Saison 2024

Pullrod-Aufhängung am Red Bull RB20 in der Formel-1-Saison 2024 Zoom

Was versteht man unter einer Pushrod-Aufhängung?

Bei einem Rennauto mit Pushrod-Aufhängung (zu Deutsch: Schubstangen-Aufhängung) ist die Schubstange oben am Chassis und - diagonal nach unten verlaufend - unten am Radträger angebracht.

Fährt ein Auto mit Pushrod-Aufhängung über Unebenheiten auf der Fahrbahn oder zum Beispiel über Randsteine, dann drückt das Rad mittels der Schubstange auf die Feder. Die Schubstange wird also nach oben und hin zum Chassis gedrückt.

Pushrod-Aufhängung am Ferrari SF-24 in der Formel-1-Saison 2024

Pushrod-Aufhängung am Ferrari SF-24 in der Formel-1-Saison 2024 Zoom

Vor und Nachteile von Pullrod- und Pushrod-Aufhängungen

Beide Aufhängungskonzepte haben Vor- und Nachteile. Entscheidend ist, was die Aufhängung konkret bewirken soll. Denn die Aufhängung muss zur aerodynamischen Gesamtausrichtung eines Fahrzeugs passen, weil sie eine entscheidende Rolle dabei spielt, welchen Weg der Luftstrom hin zu den Seitenkästen und zum Heck des Rennautos nimmt.

Eine Pullrod-Aufhängung bietet grundsätzlich eine bessere Gewichtsverteilung, weil die Komponenten in diesem Fall unten am Chassis und damit näher an der Fahrbahn eingesetzt sind.

Besonders günstig ist das bei Fahrzeugen, die sich - wie die aktuellen Formel-1-Autos - den sogenannten Ground-Effect zunutze machen. Denn ein niedriger Schwerpunkt reduziert den Luftwiderstand, hilft bei der Kurvenfahrt und stellt auf das komplette Auto bezogen die günstigere Aerodynamik-Lösung dar.

Eine Pushrod-Aufhängung wiederum punktet ebenfalls bei der Aerodynamik, aber vor allem in den jeweiligen Aufhängungsbereichen eines Fahrzeugs.


Fotostrecke: So haben uns die Teams bei den Präsentationen verladen!

Außerdem können die Mechaniker hier besser Änderungen vornehmen, weil die Komponenten höher am Chassis platziert sind. Das steht im Kontrast zur Pullrod-Aufhängung, deren Anpassung oft mit größeren Umbauten verbunden ist: Teilweise müssen die Teams den Unterboden abnehmen, um Zugriff auf bestimmte Komponenten zu haben.

Generell gilt: Eine Pushrod-Aufhängung ist in der Theorie die billigere Variante und sie ermöglicht eine bessere Stabilität. Beim Abwägen von aerodynamischen Vor- und Nachteilen für die Gesamtleistung kommen die Designer mitunter aber zu anderen Ergebnissen.

Manchmal setzen die Konstrukteure in der Formel 1 auch auf beide Lösungen: Pullrod an der Vorderachse und Pushrod an der Hinterachse (oder umgekehrt). Das ist möglich und kann Vorteile bringen.

Pullrod vs. Pushrod: Was verwenden die jeweiligen Formel-1-Teams?

Seit der Wiedereinführung von Ground-Effect-Rennautos zur Saison 2022 waren Red Bull und McLaren die beiden einzigen Teams, die an der Vorderachse auf eine Pullrod-Aufhängung setzten. 2024 schloss sich Sauber dieser Gruppe an, hat also einen Konzeptwechsel vorgenommen.

Nach P9 in der Konstrukteurswertung 2023 erhofft sich Sauber von diesem Schritt eine Leistungssteigerung, vor allem auf aerodynamischer Seite, so erklärt Sauber-Technikchef James Key: "Es geht uns nur darum, wie wir die Luftturbulenzen hinter den Vorderrädern gestalten."

Und er glaubt: Weitere Teams werden umrüsten. "Denn grundsätzlich ist es der richtige Weg", meint Key. Das unterstreichen auch die Ergebnisse von Red Bull in den vergangenen Jahren. Besonders 2023 mit 21 Siegen aus 22 Grands Prix stechen hier klar hervor. Auch die Aufhängung hat ihren Anteil an diesen Erfolgen.

Denn Max Verstappen liebt es, mit einer aggressiven Vorderachse zu fahren, und das ermöglicht ihm die Pullrod-Aufhängung von Red Bull. Auch aufgrund des niedrigeren Schwerpunkts ist sie in der Ground-Effect-Ära von Vorteil.

Oscar Piastri im McLaren MCL38 mit Pullrod-Aufhängung vorne

Oscar Piastri im McLaren MCL38 mit Pullrod-Aufhängung vorne Zoom

Aber: An der Hinterachse macht Red Bull genau das Gegenteil und setzt dort auf eine Pushrod-Aufhängung, genau wie die meisten anderen Teams in der Formel-1-Startaufstellung.

Für Sauber-Technikchef Key ist das keine Überraschung, im Gegenteil: "Da gibt es eigentlich nicht viel zu diskutieren. Pushrod ist [an der Hinterachse] rein mechanisch die beste Lösung, schon allein aus Platzgründen." Das Getriebe kann so etwas kleiner ausfallen und auch der Unterboden des Fahrzeugs unterliegt weniger Einschränkungen.

Acht von zehn Teams in der Saison 2024 scheinen sich dieser Haltung anzuschließen: Sie alle verwenden eine Pushrod-Aufhängung an der Hinterachse. 2023 waren es noch fünf Pushrod-Teams gewesen.

Die Pushrod-Aufhängung hinten am Sauber C44 in der Formel-1-Saison 2024

Die Pushrod-Aufhängung hinten am Sauber C44 in der Formel-1-Saison 2024 Zoom

Für 2024 haben Mercedes und dessen Kundenteams Aston Martin und McLaren den Wechsel vorgenommen, nur Williams zog nicht mit - weil es 2024 die 2023er-Aufhängung von Mercedes verwendet, auch aus Kostengründen.

Ferrari wiederum geht 2024 einen anderen Weg und setzt eine Pullrod-Aufhängung an der Hinterachse ein. Laut Technikchef Enrico Cardile entwickelt das Formel-1-Traditionsteam bewusst in eine "etwas andere" Richtung und käme hinten nicht gut klar mit einer Pushrod-Aufhängung.

Welche Aufhängungstypen die Teams 2024 verwenden (vorne/hinten)

Red Bull: Pullrod/Pushrod
Mercedes: Pushrod/Pushrod
Ferrari: Pushrod/Pullrod
McLaren: Pullrod/Pushrod
Aston Martin: Pushrod/Pushrod
Alpine: Pushrod/Pushrod
Williams: Pushrod/Pullrod
Racing Bulls: Pushrod/Pushrod
Sauber: Pullrod/Pushrod
Haas: Pushrod/Pushrod

Die Ursprünge von Pullrod- und Pushrod-Aufhängungen

Die Ursprünge von Pullrod- und Pushrod-Aufhängungen in der Formel 1 gehen zurück auf die frühen 1960er- und 1970er Jahre. Schon 1961 entwickelte der berühmte Formel-1-Konstrukteur Colin Chapman für den Lotus 21 eine erste Pushrod-Aufhängung. Mit Erfolg: Sein Auto erzielte WM-Rang zwei.

1979 führte Gordon Murray in der ersten Ground-Effect-Ära beim Brabham BT49 ebenfalls erfolgreich eine Pullrod-Aufhängung ein. Damit revolutionierte er die Formel 1, denn die Pullrod-Aufhängung erwies sich als deutlich flexibler als die in die Jahre gekommenen hydro-pneumatischen Systeme, die damals häufig verwendet wurden. Der neue Ansatz versprach einen niedrigeren Schwerpunkt und damit eine Leistungssteigerung.

Nelson Piquet gewann 1981 für Brabham die Formel-1-Weltmeisterschaft, aber bald zogen andere Teams nach und brachten ihrerseits Pullrod-Aufhängungen zum Einsatz. Diese Konstruktionen kamen erst in den 1990er-Jahren aus der Mode, nachdem neue Regeln zur Fahrwerkshöhe erlassen worden waren und die Fahrzeuge höhere Schwerpunkte brauchten.

Ihr großes Comeback feierte die Pullrod-Aufhängung in der Saison 2009 unter dem dann veränderten Formel-1-Reglement, das unter anderem den Diffusor weiter nach hinten versetzte. Wieder ging es darum, den Schwerpunkt abzusenken, was Adrian Newey beim Red Bull RB5 mit einer Pullrod-Lösung gelang. Und beinahe hätte Red Bull in diesem Jahr sogar noch Brawn in der WM abgefangen.

Pullrod-Aufhängung am Brabham BT49C von Nelson Piquet in der Formel-1-Saison 1981

Pullrod-Aufhängung am Brabham BT49C von Nelson Piquet in der Formel-1-Saison 1981 Zoom

2010 begann schließlich der Siegeszug der Red-Bull-Konfiguration mit vier WM-Titeln in Folge durch Sebastian Vettel. Zehn der zwölf Teams in der Saison 2011 folgten den Trendsettern, 2012 schlossen sich auch Ferrari und Sauber der neuen Aufhängungsphilosophie an.

Aber zu Beginn der Turbo-Hybrid-Ära in der Saison 2014 wandelte sich das Bild erneut: Auf einmal waren wieder Pushrod-Aufhängungen gefragt. Ferrari blieb bis 2015 aber bei Pullrod, zuletzt als einziges Team, ehe auch die Scuderia technisch neue (alte) Wege ging.

Das neue Technische Reglement 2022 wiederum bereitete den Weg für das Pullrod-Comeback: Die neue Ground-Effect-Ära begünstigt Fahrzeuge mit niedriger Fahrwerkshöhe, und hier spielt die Pullrod-Aufhängung ihre Vorteile aus.

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