Ferrari SF-24: Vorne Pushrod, hinten Pullrod - warum?

Ferrari mag das Aero-Konzept an Red Bull angeglichen haben, dabei bleibt es aber auch - Denn in zentralen Punkten unterscheidet sich der SF-24 grundlegend vom RB20

(Motorsport-Total.com) - Ferrari hat für seinen neuen Formel-1-Boliden SF-24 den Umstieg auf eine Pushrod-Hinterradaufhängung im Red-Bull-Stil erwogen, sich dann aber zugunsten einer eigenen "Innovation" dagegen entschieden.

Titel-Bild zur News: Die Hinterradaufhängung des Ferrari SF-24 für die Formel-1-Saison 2024

Die Hinterradaufhängung des Ferrari SF-24 mit extrem nach vorn versetzter Zugstrebe Zoom

Die Scuderia hat sich, wie viele andere Teams auch, genau angeschaut, was den RB19 der Saison 2023 so stark gemacht hat. Die Lösung mit Zugstreben (Pullrods) an der Vorderachse und Druckstreben (Pushrods) an der Hinterachse gilt als Schlüssel.

Alle Formel-1-Teams mit Mercedes-Motor, auch das Werksteam selbst, haben ihre Hinterradaufhängung für 2024 auf Pushrods umgestellt. Diese erlauben im aerodynamisch wichtigen Bereich auf der Oberseite des Diffusors mehr Freiräume als Pullrods, deren Anlenkpunkt genau dort liegt.

Damit erlauben Pushrods ein schlankeres Getriebe und mehr Flexibilität bei der Formgebung des Unterbodens in diesem Bereich. Dadurch kann der Anpressdruck erhöht werden. Das wiederum gleicht die Nachteile der Druckstreben beim mechanischen Grip mehr als aus.

Ferrari hingegen setzt auf Zugstreben, wie schon seit Beginn der Ground-Effect-Ära 2022. Technikchef Enrico Cardile erklärt: "Wir haben einige Jahre mit Pushrods experimentiert. Tatsächlich ist unsere Anordnung der oberen und unteren Querlenker etwas anders als bei Red Bull, um nur ein Team zu nennen."

"Diese haben sich als aerodynamisch vorteilhaft erwiesen, und als wir dann von Zugstreben auf Druckstreben übergehen wollten, konnten wir keine weiteren Vorteile feststellen, die die Kompromisse beim Gewicht und in anderen Bereichen gerechtfertigt hätten. Deshalb sind wir bei den Zugstreben geblieben und haben sie weiterentwickelt."

Das Ergebnis: Das Chassis wird um fünf Zentimeter länger, die Gesamtlänge des Autos bleibt jedoch unverändert. Wie auf dem Artikelbild zu sehen, ist die Zugstrebe völlig anders angeordnet. Ihr Anlenkpunkt ist viel weiter vorne, fast schon im hinteren Seitenkasten. Das ergibt einen völlig anderen Winkel und soll den Anti-Squat-Effekt verbessern. Außerdem wird auf diese Weise Spielraum für die Aerodynamik gewonnen.


Pullrod und Pushrod erklärt (Englisch)

Cardile spricht von einem innovativen Konzept: "Die innere Aufhängung ist anders am Getriebe befestigt. Es ist ein anderes Konzept, das zumindest für uns eine Innovation darstellt. Wir behandeln die innere Aufhängung anders als in der Vergangenheit."

Mit diesem Konzept hat Ferrari den "point of no return" beim SF-24 längst überschritten. Ein Wechsel zu Druckstreben ist in diesem Jahr nicht mehr möglich. Ferrari ist neben seinem Kunden Haas das einzige Team, das auf ein Pullrod-Konzept an der Hinterachse setzt.

Kompromiss aus Rutsche und Bobbahn: Badewanne

Auch an der Front hat sich das Konzept nicht geändert, hier kommen Pushrods zum Einsatz. Ferrari geht damit tatsächlich genau den umgekehrten Weg von Red Bull.

"Die Vorderradaufhängung haben wir mehr oder weniger vom Vorjahr übernommen", sagt Cardile. Allerdings wurden die Querlenker angeschrägt, um dem Pitching entgegenzuwirken, dem Eintauchen der Fahrzeugnase beim Bremsen.

Auch in anderen Punkten des neuen Autos bleibt Ferrari seiner Philosophie treu. Zwar haben alle Teams ihr Seitenkastendesign auf das von Red Bull eingeführte "Downwash"-Konzept umgestellt - deutlich sichtbar an der Rampe auf der Oberseite der Seitenkästen -, doch sind innerhalb des Konzepts individuelle Lösungen zu erkennen.

So gibt es die "Rutsche", wie sie bei Red Bull zum Einsatz kommt und auch von vielen anderen Teams verfolgt wird. Aston Martin hat die "Bobbahn" eingeführt, die radikalste Lösung, bei der ein Kanal in der Mitte der Seitenkästen steil abfällt und die Außenseite der Seitenkästen den Kanal durch einen dicken Wulst abgrenzt.


Fotostrecke: Formel 1 2024: Der Ferrari SF-24 von Leclerc und Sainz

Ferrari verfolgt eine Art Kompromisslösung zwischen diesen beiden Systemen, die am besten als "Badewanne" bezeichnet werden kann. Es gibt den charakteristischen Wulst an der Außenseite des Seitenkastens wie bei Aston Martin. Der innere Kanal ist jedoch bei weitem nicht so radikal und eng, sondern breiter und flacher geneigt, was eher der Rutsche entspricht.

Innerhalb der Seitenkästen gibt es eine Revolution: Ferrari musste 2023 eine Anti-Porpoising-Struktur innerhalb des Seitenkastens installieren. Diese ist nun verschwunden und ermöglicht eine neue Anordnung der Kühlelemente, was wiederum der Gewichtsverteilung und dem Reifenverschleiß zugute kommt.

Dies und das kürzere Getriebe des SF-24 dürften auch der Grund dafür sein, dass die Motorabdeckung ganz anders aussieht als beim Vorgänger. Oben am dreieckigen Überrollbügel noch elegant schlank, ist sie jetzt am Kühlluftauslass dick gewölbt. Der Auslass ist direkt auf den Beam-Wing gerichtet, der mit der Abluft versorgt wird.

Die Downwash-Rampe auf den Seitenkästen am Ferrari SF-24 ist eine interessante Kombination bisheriger Lösungen

Die Downwash-Rampe auf den Seitenkästen am Ferrari SF-24 ist eine interessante Kombination bisheriger Lösungen Zoom

Ob Ferraris Sonderweg zum Erfolg führt, bleibt abzuwarten. Auf jeden Fall zeigt er, dass auch im dritten Jahr des neuen Reglements noch unterschiedliche Konzepte möglich sind, auch wenn sich die Gesamtphilosophien der Autos annähern. Das spricht für das Reglement.