"Fisico" & die Scuderia: Lovestory mit Happy End
Vom ersten Test im September 1995 bis zur Vertragsunterschrift 14 Jahre später: Giancarlo Fisichella träumt schon ewig vom Ferrari-Cockpit...
(Motorsport-Total.com) - Fiorano, 27. September 1995: Vier junge Italiener testen auf der Hausstrecke der berühmten Scuderia den Ferrari 412 T2, mit dem Jean Alesi drei Monate zuvor in Montréal den Grand Prix von Kanada gewonnen hatte. Damals konnte niemand ahnen, dass es keiner der Youngsters jemals in Ferraris Formel-1-Team schaffen würde - zumindest für sehr lange Zeit.

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Hockenheim 1997: Pechvogel "Fisico" als Beifahrer von Michael Schumacher
Denn nach Luca Badoer (damals 24 Jahre alt) kommt nun auch Giancarlo Fisichella (22) spät, aber doch in den Genuss von Grand-Prix-Einsätzen für den legendärsten aller Motorsport-Rennställe. "Ich fühle mich wie im siebten Himmel", strahlt der heute 36-jährige Italiener, für den mit der Einberufung als Ersatzfahrer für den verletzten Felipe Massa "ein Lebenstraum" in Erfüllung geht: "Ich kann es immer noch gar nicht glauben!"#w1#
Selten von Erfolg gekrönt: Italiener bei Ferrari
Fisichella und Ferrari, das ist eine Lovestory, die beinahe kein Happy End genommen hätte. Den Anfang machte jener Septembertag vor 14 Jahren: "Fisico", wie er von Fans und Freunden liebevoll genannt wird, Badoer sowie die mittlerweile in Vergessenheit geratenen Pierluigi Martini und Gianni Morbidelli wurden damals zu einem Test eingeladen. Präsident Luca di Montezemolo wünschte sich einen Italiener im Ferrari, doch das 1992er-Experiment mit Capelli/Larini war gründlich missglückt.

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Der Minardi von 1996 ließ für Giancarlo Fisichella keine Glanztaten zu Zoom
Für 1996 drängte sich keiner aus dem Quartett wirklich auf - Badoer, Martini und Morbidelli waren zu langsam, Fisichella noch zu unerfahren. Also plante di Montezemolo zunächst mit Gerhard Berger und einem Sensationscomeback von Alain Prost, ehe durch Berater Niki Lauda der Megacoup eingefädelt wurde, Michael Schumacher nach Maranello zu holen. Berger und Prost hatten daraufhin keine Lust mehr, als Nummer zwei kam Eddie Irvine.
Fisichella hängte eine weitere Saison in der beliebten Tourenwagenmeisterschaft ITC an und beendete diese auf dem sechsten Platz, bestritt parallel dazu acht Formel-1-Rennen für Minardi. Seine vielbeachteten Einsätze brachten ihm für 1997 ein Jordan-Cockpit ein. Mit der "gelben Kobra" gelangen ihm in Montréal und Spa-Francorchamps zwei Podestplätze - und in Hockenheim schnupperte er bis zu einem Reifenschaden sogar am ersten Sieg.
Kein Platz im "Team Schumacher"
Plötzlich war der unscheinbare Römer jemand im Fahrerlager - und sein Traum vom Ferrari-Cockpit schien immer realistischer zu werden. Aber das "Team Schumacher" war mit Irvine und später Rubens Barrichello als Nummer zwei sehr zufrieden, sodass sich nie eine Möglichkeit für eine Zusammenarbeit ergab. Als die Ära Schumacher 2006 zu Ende ging, befand sich Fisichellas Karriere schon auf dem absteigenden Ast. Für Ferrari war er kein Thema mehr.

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Rob Smedley (verdeckt) und Giancarlo Fisichella waren schon 2003 ein Team Zoom
Dabei hatte er vor der Saison 2003 extra den ehemaligen Irvine-Manager Enrico Zanarini verpflichtet - in der Hoffnung, dass dessen immer noch vorhandene Kontakte nach Maranello eines Tages Früchte tragen würden. Doch der Jordan-Ford EJ13 war eine Gurke, mit der unter normalen Umständen kein Blumentopf zu gewinnen war. In 16 Rennen sammelte Fisichella bei acht Ausfällen nur zweimal WM-Punkte.
Umso denkwürdiger war der Grand Prix von Brasilien in São Paulo, ein kurioses Regenrennen, bei dem der Zufall Regie führte. Fisichella profitierte von einem vorzeitigen Abbruch und überquerte die Ziellinie als Erster - trotzdem wurde wegen eines Zeitnahmefehlers McLaren-Mercedes-Star Kimi Räikkönen als Sieger gefeiert. Erst zwei Wochen später, am Rande des Rennwochenendes in Imola, ging die Trophäe an ihren rechtmäßigen Besitzer.
Reunion mit Renningenieur Smedley
Interessantes Detail am Rande: Fisichellas Renningenieur war in São Paulo ein aufstrebender Techniker namens Rob Smedley - und genau der wird sich am übernächsten Wochenende in Monza um den zweiten Ferrari kümmern! Smedley ist am Kommandostand der Roten inzwischen eine feste Größe und gilt auch abseits der Rennstrecke als enger Freund von Massa. Den Kontakt zu Ex-Schützling Fisichella hat er in all den Jahren nie abreißen lassen.

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Enrico Zanarini (links) handelte 2004 den Ferrari-Test aus, zu dem es nie kam Zoom
Ende der ernüchternden Saison 2003 war für Fisichella klar, dass er seinen Traum vom Ferrari-Cockpit wohl ad acta legen muss. In der Hoffnung, einen der roten Renner wenigstens testen zu dürfen, unterschrieb er beim Ferrari-Kundenteam Sauber. Manager Zanarini handelte tatsächlich einen Ferrari-Test aus - und Fisichella war davon überzeugt: "Wenn ich denen nur zeigen kann, was ich draufhabe, habe ich noch eine Chance!"
Der leidenschaftliche Fußballfan (Lieblingsverein: AS Rom) galt vor seinem Wechsel zu Renault, wo seine Karriere als Topfahrer von Fernando Alonso mit zwei WM-Titeln de facto beendet wurde, als meistunterschätzter Pilot der Formel 1. Doch zur ersehnten Ferrari-Chance kam es nicht: Zwar erklärten sich die Teamchefs Peter Sauber und Jean Todt grundsätzlich einverstanden, aber ein Interessenskonflikt der Mineralölhersteller Petronas und Shell verhinderte den Test.
Traum bereits aufgegeben
Der Wechsel von Renault zu Force India Ende 2007 schien der letzte Sargnagel in Fisichellas Karriere zu sein. Im Interview mit 'Motorsport-Total.com' sagte er im April 2008: "Es hat zwar nie Verhandlungen mit Ferrari gegeben, aber manchmal sehr enge Kontakte. Leider ist daraus nichts geworden. Ich glaube, das wird wohl eher nicht mehr klappen, aber man weiß nie. Im Moment fahre ich den Ferrari-Motor - es wäre nett, auch das Auto dazu zu haben! Aber das ist wohl nur ein Traum..."

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Ein Dauerlächeln im Gesicht: Giancarlo Fisichella bei der Sitzanpassung im F60 Zoom
Ein wahr gewordener, wie wir heute wissen. In der vergangenen Woche ging alles ganz schnell: Erst wurde Kontakt zu Fisichella aufgenommen, dann fuhr er in Spa-Francorchamps vielleicht das Rennen seines Lebens, am Mittwoch erteilte Force-India-Boss Vijay Mallya seine Freigabe und gestern Nachmittag wurde in Maranello der Vertrag unterschrieben und der Sitz im aktuellen F60 angepasst. In neun Tagen wird er in Monza für Ferrari starten - der Traum eines jeden Italo-Rennfahrers!
Und das Allerbeste: Der 36-Jährige nutzt die einmalige Gelegenheit des Ferrari-Kurzgastspiels, um seine Karriere als Grand-Prix-Pilot würdig zu beenden. Nach Abu Dhabi am 1. November ist Schluss. Trotzdem wird er Ferrari verbunden bleiben: Ab 2010 wird Fisichella Badoers Rolle als Ersatzpilot der Scuderia übernehmen und als Testfahrer bei der Weiterentwicklung helfen. Jetzt fehlt nur noch ein Sieg zum perfekten Happy End einer einmaligen Lovestory...

