• 07.03.2004 20:19

  • von Fabian Hust

Ferrari: Dominanz mit ganz viel Grip(s)

Vergleicht man Melbourne 2004 mit dem letzten Jahr, dann muss der Ferrari-Konkurrenz wirklich Angst und Bange werden

(Motorsport-Total.com) - Der Saisonauftakt in Melbourne war zugegebenermaßen alles andere als spannend. Zu erdrückend war die Dominanz von Ferrari. Doch langweilig wurde es trotzdem niemandem an der Boxenmauer. Im ersten Renndrittel gab es ja noch die Hoffnung, dass Ferrari vielleicht früher als die Verfolger an die Box kommt - dies würde die guten Zeiten im Qualifying erklären. Doch Renault und BMW-Williams fuhren auf der gleichen Strategie, einzig David Coulthard im McLaren-Mercedes war von den Top-Fahrern im Ziel nur auf zwei Stopps und damit in einem schwereren Auto unterwegs.

Titel-Bild zur News: Michael Schumacher

Schumacher und Ferrari: Immer wieder für eine Überraschung gut

Nach dem Rennen hing eine seltsame Stimmung im Albert Park von Melbourne. Es herrschte eine Mischung aus Ungläubigkeit, Überraschung und Ernüchterung. Seit 1999 ist Ferrari in der Formel 1 ungeschlagen. Die anderen Teams kämpfen gegen eine Übermacht, die die Formel 1 in dieser Form in über 50 Jahren Formel 1 noch nie erlebt hatte. Ein Team, das nicht einmal vor zehn Jahren Boxenstopps am Fließband vergeigte, Autos baute, die wegen teilweise kurioser Pannen für Lacher und Mitleid in der Boxengasse sorgten, wird jetzt scheinbar zum "roten Fluch" für die Konkurrenz.#w1#

Stabilität ist Ferraris Erfolgskonzept

Ferraris Strategie ist so simpel wie genial. Das Zauberwort heißt Stabilität. Die wichtigsten Köpfe des Teams sind seit mindestens 1997 an Bord: Ferrari-Rennleiter Jean Todt, Chefdesigner Rory Byrne, Motorenchef Paolo Martinelli, Technikdirektor Ross Brawn, Ferrari-Präsident Luca di Montezemolo und nicht zuletzt Michael Schumacher. Auch bei den Fahrern setzen die Italiener auf Beständigkeit. Rubens Barrichello und Testfahrer Luca Badoer sind mittlerweile ebenfalls zum wichtigen Pfeiler der Stabilität und des Erfolges geworden.

Ferrari weiß, was man zu tun hat, um Weltmeister zu werden. Der F2004 steht ebenfalls für Stabilität. Kein "Delphin" oder "Hammerhai", keinen 72-Grad-Motor musste man auspacken. Man entwickelte ein neues Auto auf Basis des erfolgreichen F2003-GA, unterstrich dessen Stärken und merzte seine Schwächen aus. Heraus kam ein Auto, dessen Aussehen bei den Beobachtern höchstens Ernüchterung auslöste. Doch was bringen völlig neue Konzepte, die die Öffentlichkeit zum Staunen bringen, welche dann aber nicht schnell genug sind oder Probleme bereiten?

Ferrari: Zuverlässig und schnell - eine Katastrophe für die Gegner

Ferrari stieß bei den Testfahrten mit dem neuen Auto auf keine nennenswerten Probleme. Dies ist auch nicht verwunderlich, hat man doch kein revolutionäres Auto auf die Beine gestellt, welches mit negativen Überraschungen aufwarten könnte. Das war auch ein Vorteil für Reifenpartner Bridgestone, denn die Vorhersagen über das Verhalten der Reifen am F2004 waren sehr präzise. So präzise, dass Ferrari bis zum Schluss nur einen F2004 zu Testfahrten einsetzte und neue Reifen primär am Vorjahresmodell ausprobierte.

BMW-Williams präsentierte schon 2003 ein völlig neu konzeptioniertes Auto und hatte so seine liebe Not, das Auto zu verstehen und das Maximum aus ihm herauszuholen. Den WM-Titel verpasste man schon zu Saisonbeginn. Für dieses Jahr enthüllte man erneut eine völlige Neuentwicklung. Dieses Mal stieß man zwar nicht auf solch große Probleme wie im vergangenen Jahr, denn das Auto war vom ersten Testtag an schnell. Aber war es auch schnell genug? Bis zum ersten Rennwochenende in Melbourne dachte man dies bei den "Weiß-Blauen"...

McLaren-Mercedes: Was macht man dort eigentlich?

McLaren-Mercedes präsentierte den MP4-19 bereits im November, nachdem man den MP4-18 letztes Jahr bekanntlich wegen diverser Probleme nicht einsetzen konnte. Scheinbar, so dachte man, hatte man aus den Problemen gelernt, und auf Basis des MP4-18 den MP4-19 auf die Beine gestellt. Auch der MP4-19 war aus dem Stand zunächst schnell und für Rundenrekorde gut. Bei "Silber" sprach man daraufhin wie bei BMW-Williams vom WM-Titel.

Doch erneut gab es Probleme mit der Zuverlässigkeit, zu radikal war das neue Konzept in manchen Gebieten wie im Getriebebereich ausgefallen. Zudem stellte sich im neuen Jahr heraus, dass das Auto im Vergleich zu den neuen Autos der Konkurrenz nicht schnell genug ist. Wenn die Fahrer vor dem Saisonstart nicht glauben, dass sie konkurrenzfähig sind, geschweige denn ins Ziel kommen können, da stellt sich die berechtigte Frage, ob man im ehemaligen Weltmeisterteam überhaupt weiß, was man tut.

Die Basis von Ferrari ist perfekt

Ferrari testet ab Dienstag in Valencia, und dort kann man sich beruhigt an die Verbesserung des F2004 machen. Die Zuverlässigkeit des Autos ist vorhanden, der Speed auch. Man wird ermutigt vom Saisonstart durch eine Politik der kleinen Schritte behutsam das Auto weiterentwickeln und wird nicht gezwungen sein, Risiken bei der Weiterentwicklung einzugehen. Wenn Ferrari so zuverlässig wie in der Vergangenheit ist (seit 2000 bspw. nur ein Motorschaden pro Jahr), dann hat die Konkurrenz ein echtes Problem.

BMW-Williams, McLaren-Mercedes und Renault müssen bei der Weiterentwicklung ihrer Autos mehr Risiken eingehen, um den Anschluss an Ferrari zu schaffen. Bei BMW-Williams liegt die Hauptschwäche in der Aerodynamik. Zudem ist das Chassis durch das Doppelkielkonzept schwerer geraten, somit kann man mit weniger Zusatzballast als die Konkurrenz spielen, um die Balance des Autos zu verbessern.

PS- und Zuverlässigkeits-Sorgen bei McLaren-Mercedes

McLaren-Mercedes hingegen kämpft mit einem unzuverlässigen und zu schwachen Motor. In Melbourne sparte Kimi Räikkönen im Training so viele Runden wie kein anderer Fahrer und fuhr seine wenigen Runden sogar mit stark reduzierter Drehzahl. Dennoch fiel er als Erster im Rennen mit einem Motorschaden aus. "Der Motor ist sicherlich ein Element des Pakets, das verbessert werden muss", so Teamchef Ron Dennis. "Ein Motorschaden ist immer schlecht, aber es wäre unfair, die Leistung nur an einer Komponente festzumachen."

Renault droht, vor BMW-Williams und McLaren-Mercedes zu landen

Zuverlässig aber ebenfalls etwas schwach auf der Brust ist Renault im Motorenbereich. Dafür scheint das Chassis wie schon im letzten Jahr eine echte Wucht zu sein. Die Franzosen setzen aufgrund des neuen Motorenreglements zwangsläufig auf einen neuen Motor. Entsprechend steckt noch viel Potenzial in dem Aggregat. Bei BMW-Williams, angeblich mit dem potentesten Motor im Heck, waren die Gesichter am Sonntag entsprechend lang, als Fernando Alonso vor beiden Williams ins Ziel kam. "Renault ist eine echte Gefahr für die Zukunft", gab man nach dem Rennen unumwunden im BMW-Williams-Lager zu.

Auch Renault gibt sich beeindruckt

Bei Renault konnte Chefingenieur Pat Symonds über Ferraris Vorstellung nur mit dem Kopf schütteln: "Ihre Leistung war schon ein wenig bedrohlich. Über den Winter bekommt man ja keinen klaren Eindruck, wo jeder steht. Zudem tendiert Ferrari dazu, hinter verschlossenen Türen zu testen. Es ist schon ein Schock, wenn man zum ersten Rennen kommt und dann eine solche Dominanz sieht."

Michelin-Dominanz hat sich nicht bestätigt

Das Auto ist aber nur ein Grund, warum Ferrari in Melbourne so überlegen war. Viel haben die Italiener auch Reifenpartner Bridgestone zu verdanken. Die Japaner gaben zu, vergangenes Jahr zu konservativ gewesen zu sein, und packten dieses Jahr einen völlig neuen Reifen aus, vor allem eine andere Vorderreifenkonstruktion, die sich sehr bewährt hat: "Den Vorderreifen zu wechseln ist eine heikle Sache, da sich dies extrem auf die aerodynamische Effizienz des Autos auswirkt", erklärt Hisao Suganuma, der Technische Manager von Bridgestone.

Laut Suganuma hat Ferrari das Auto an den neuen Pneu noch nicht richtig anpassen können: "Dafür braucht man Zeit, aber ich bin mir sicher, dass sie die alte Effizienz wieder zurückbekommen werden." Konkret geht es um einen breiteren Vorderreifen, der natürlich mehr Luftwiderstand bietet. Dadurch sinken Abtrieb und Höchstgeschwindigkeit. Michelin fährt schon wesentlich länger mit den breiten Pneus. Ferrari scheint auf diesem Gebiet also mehr Entwicklungspotenzial zu besitzen als die Konkurrenz. Auch Bridgestone selbst sieht noch Verbesserungsbedarf: "Wir werden auf jeden Fall noch besser."

Aggressivere Entwicklung notwendig

Das neue Reglement, mit der Erhöhung der Geschwindigkeitsbegrenzung in der Boxengasse von 80 auf 100 Stundenkilometer, führt tendenziell zu mehr Stopps, das zwingt auch Bridgestone dazu, die Reifen aggressiver zu designen, sprich etwas Laufleistung für mehr Grip zu opfern: "Während des Winters haben die Leute gesagt, dass Michelin noch die Oberhand hat. Ich bin froh, dass wir hier diese Erwartung umdrehen konnten!", so Suganuma weiter.

Derzeit verweisen Experten wie Teams darauf, dass es in Melbourne wie fast in jedem Jahr relativ kühl war, es in zwei Wochen in Malaysia aber wohl brütend heiß sein wird und Hitze bekanntlich "Michelin-Terrain" ist. Aber vielleicht klammert sich die Ferrari-Konkurrenz hier nur an einen dünnen Strohhalm und Ferrari versucht, nach der sensationellen Vorstellung in Melbourne den Erfolgsdruck auf das Team etwas zu reduzieren.

Können die Michelin-Teams Ferrari in Malaysia wirklich schlagen?

Richtig ist, dass Ferrari letztes Jahr in Malaysia das Rennen nicht gewann, aber man lag dort keinesfalls hoffnungslos zurück. Richtig ist, dass Ferrari in der vergangenen Saison lange Zeit ein Reifenproblem hatte. Doch gegen Saisonende konnte Bridgestone die Oberhand zurückgewinnen. Warum sollte Bridgestone diesen Vorteil über den Winter nicht behalten haben?

"Wir wissen, dass wir auf dem Reifensektor eine Schwäche haben, und arbeiten daran", so McLaren-Teamchef Ron Dennis nach dem Rennen. "Ich gehe davon aus, dass alle Michelin-Fahrer in Malaysia mehr bei der Musik sein werden, aber Ferrari fährt ganz klar in einer eigenen Liga. Es wird schwer für alle Teams sein, diese Leistung mitzugehen."

Der Vorsprung auf die Konkurrenz ist beängstigend groß

Vergleicht man den Saisonauftakt 2003 mit dem diesjährigen Australien-Grand-Prix, da stellt sich die Frage, ob die Vorzeichen für Ferrari in diesem Jahr sogar noch besser stehen als vergangenes Jahr. In seiner schnellsten Runde nahm Michael Schumacher seinen Gegnern auf gleicher Strategie in seiner schnellsten Rennrunde deutlich mehr ab als letztes Jahr. Montoya kam 2003 bis auf 0,147 Sekunden an den Deutschen heran, jetzt hatte er 1,161 Sekunden Rückstand. Alonso fehlten 2003 0,411 Sekunden, dieses Jahr waren es 0,961 Sekunden. Bei McLaren-Mercedes fehlt ein Richtwert, weil Coulthard einen Stopp weniger absolvierte als Schumacher. Der Rückstand von 2,203 Sekunden spricht aber dennoch Bände.

Genauso wie Ferrari im letzten Jahr zum Saisonende das Blatt gemeinsam mit Bridgestone wenden konnte, können dies natürlich auch die Michelin-Teams dieses Jahr schaffen. Doch die Kampfansagen im Winter in Richtung Ferrari und die Chancenlosigkeit in Melbourne zeigen, wie machtlos die Teams in Wirklichkeit sind. Klar ist: Auch Ferrari wird in den kommenden Wochen nicht schlafen. Konzernen wie BMW, Mercedes oder Renault wird es auf Dauer nicht genügen, immer mit einem blauen Auge davonzukommen. Aber wenn sie auch dieses Jahr nicht rot sehen wollen, dann haben alle noch viel Arbeit vor sich.