Fernandes: Warum der große Sprung ausblieb

Lotus-Teamchef Fernandes erklärt, wieso trotz des Rückstands Platz acht möglich ist und weshalb er es gewohnt ist, dass man sein Projekt umbringen will

(Motorsport-Total.com) - Tony Fernandes weiß genau: "Die Flitterwochen sind vorbei". Für seinen Lotus-Rennstall hat das verflixte zweite Jahr begonnen. Nach einem Eingewöhnungsjahr, in dem sich das Team als bester Neuling in Szene gesetzt hatte, erwartet man nun mehr von der Truppe um Technikchef Mike Gascoyne - man will den Anschluss an das Mittelfeld finden. Es wird ein entscheidendes Jahr, zumal auch die erfolgsverwöhnten Piloten Jarno Trulli und Heikki Kovalainen - zwei Grand-Prix-Sieger - allmählich die Geduld verlieren.

Titel-Bild zur News: Tony Fernandes

Tony Fernandes sieht trotz des Rückstands von Wutausbrüchen ab

"Die Leute erwarten jetzt mehr von uns", fällt auch Teamchef Fernandes auf. "Alle sind enttäuscht, dass wir nicht näher am Mittelfeld dran sind. Wir müssen aber realistisch bleiben. Es erfordert Zeit." Nach den Wintertests sah es tatsächlich so aus, als wäre Lotus der Anschluss gelungen, doch beim Saisonauftakt in Melbourne zeigte sich ein anderes Bild: Man hatte zwar Marussia-Virgin im Griff, im Qualifying fehlten aber zwei Sekunden auf das hintere Mittelfeld.

"Wir sind definitiv schneller als in Australien", relativiert der Malaysier. Dass man im Winter zwei Sekunden gefunden hat, verneint er aber: "Dieser große Sprung vorwärts, von dem alle sprechen und durch den wir das Mittelfeld angreifen würden, wird vorerst nicht passieren. Ich hoffe, aber dass wir es bis Saisonende geschafft haben."

Motorenwechsel als Herausforderung


Fotos: Lotus-Showrun in Putrajaya


Dadurch lässt er sich aber keineswegs beunruhigen. Fernandes ist der Ansicht, dass die Erwartungshaltung zu hoch war, zumal man durch Zuverlässigkeitsprobleme nicht genug testen konnte: "Nach all den Geschäften, in die ich involviert war, bin ich Realist. So etwas passiert nicht über Nacht." Durch den Umstieg von Cosworth- auf Renault-Motoren und den damit einhergehenden Wechsel auf das Red-Bull-Getriebe, "mussten wir alles neu designen", argumentiert Fernandes. "Es benötigt Zeit, das zu verstehen."

"Jetzt können sich die Jungs darauf konzentrieren, ein solides Paket auf die Beine zu stellen." Tony Fernandes

Dennoch glaubt er, dass die Entscheidung richtig war: "Das war ganz entscheidend. Wenn wir da nicht investiert hätten, dann hätten wir jetzt Probleme. Jetzt können sich die Jungs darauf konzentrieren, ein solides Paket auf die Beine zu stellen. Sie können sich erst jetzt darauf konzentrieren, ein gutes Auto zu bauen und fangen damit an, es konkurrenzfähig zu machen."

Ein Vorteil ist zudem, dass die Probleme offenbar überschaubar sind: "Die Fahrer sind viel glücklicher und wir wissen, was zu tun ist. Wir haben derzeit ein paar Kühlungsprobleme, die noch zwei, drei Rennen lang andauern werden. Wir kämpfen aber nicht mit einem wirklich problematischen Leck oder Hydraulikproblemen."

Die Folgen des Namensstreits

Auch wenn sich die erhofften Resultate nicht sofort einstellen, sieht Fernandes die aktuellen Ausgaben als Investitionen in die Zukunft des Teams. Man befindet sich nach wie vor in der Aufbauphase und sät jetzt die Samen für zukünftige Erfolge. Das CFD-Programm funktioniert nun endlich, zudem hat man mit einem zweiten Windkanal-Programm begonnen. "Ich glaube, dass wir eine gute Struktur haben", meint Fernandes. Wir haben in die richtigen Bereiche investiert, um diesem Team eine langfristige Zukunft zu geben. Natürlich fehlt uns etwas Infrastruktur - wir haben keinen eigenen Windkanal - , aber nach nur 18 Monaten glaube ich, dass wir gute Arbeit geleistet haben."

"Ist Platz acht möglich? Ja, ich glaube schon. Ich wäre aber auch mit Platz zehn glücklich." Tony Fernandes

Zumal sich in diesen 18 Monaten zahlreiche Hindernisse vor Fernandes & Co. aufbauten: Der Gipfel ist der vor Gericht tobende Namensstreit mit der Lotus-Gruppe, der die Identität des Rennstalls in Frage stellt. "Mann, hatten wir eine feurige Taufe", atmet der Teamchef tief durch. "Wir mussten ein neues Auto bauen, hatten zwei Gerichtsprozesse, hatten dadurch wenig Glück mit Sponsoren, doch das wird sich jetzt ändern und werden bald ein paar neue Sponsoren bekannt geben." Auch wenn Geld in der Formel 1 eine große Rolle spielt, glaubt Fernandes, "dass wir mit einem Budget von 55 bis 75 Millionen Pfund (umgerechnet 63 bis 86 Millionen Euro) ein gutes Auto bauen können."

Ein Underdog beißt sich durch

Er verweist auf die harte Konkurrenz: "Man kann in 18 Monaten nicht so einfach ein Formel 1 Team auf die Beine stellen. Das Team, das wir schlagen wollen, ist Force India. Sie sind Jordan. Es gibt sie seit 20 Jahren. Dann gibt es Williams, das ich schon als Kind verfolgt habe. Toro Rosso hat den Vorteil, dass sie Red Bull im Umfeld haben. Sauber gibt es auch schon lange. Sie haben fantastische Anlagen, die BMW für sie gebaut hat. Das müssen wir alles bedenken, wenn wir darüber sprechen."

"Wir hatten zwei Flugzeuge und kämpften gegen nationale Fluglinien - niemand hat uns in der Hölle Hoffnung gegeben." Tony Fernandes

Doch diese enorme Aufgabe schreckt den Malaysier nicht ab, schließlich hat der vom renommierten 'Forbes'-Magazin gewählte Geschäftsmann des Jahres 2010 schon andere Herausforderungen bewältigt. Er vergleicht die Situation von Lotus mit den Anfängen seiner Billig-Fluglinie AirAsia vor zehn Jahren: "Wir hatten zwei Flugzeuge und kämpften gegen nationale Fluglinien. Wir hatten kein Geld und führten ein neues Modell ein. Niemand hat uns in dieser Hölle Hoffnung gegeben."

Warum Fernandes keinen Wutanfall bekommt

Dennoch schlug er sich gegen alle Widerstände durch: "Wir haben nicht aufgegeben und steckten unser ganzes Geld in eine Akademie, als wir nur sechs Flugzeuge hatten. Jetzt verdienen wir mehr Geld als jede andere asiatische Fluglinie - was die Passagiere angeht, sind wir die sechstgrößte Fluglinie."


Fotos: Lotus, Großer Preis von Australien


Welche Schlüsse er daraus zieht? "Ich habe damals genau die gleichen Lektionen gelernt. Man muss eine gute Struktur einführen, muss ruhig bleiben und darf keine Panik schieben. Wir haben nicht viel Geld, hatten diese Kämpfe, weil uns andere Leute umbringen wollen. Das war bei AirAsia nicht anders und wir haben es hingekriegt. Das wird uns auch gelingen."

Das ist auch der Grund, warum er seinem Team Zeit gibt und nicht bei jeder Gelegenheit auf die zwei Sekunden verweist, die man im Winter gutmachen wollte. "Man könnte sagen, dass ich auf und ab springen und schreien sollte: 'Wo sind die zwei Sekunden?' Doch in den Fahrermeetings sage ich ihnen: 'Hey, das haben wir gut gemacht, seid nicht unglücklich. Ich bin zufrieden'. Dabei bin ich der, der am unglücklichsten sein müsste."