Exklusives Interview mit Pierre Dupasquier - Teil 2

Der Michelin-Sportchef sieht die Krux in der Aerodynamik und spricht in unserem Interview weitere brisante Themen an

(Motorsport-Total.com) - Im zweiten und letzten Teil unseres Interviews, das 'F1Total.com' am Dienstag mit Michelin-Sportchef Pierre Dupasquier geführt hat, spricht der Franzose über die Reifenregeln für kommende Saison und erklärt, wie er die Formel 1 reformieren würde, nämlich über die Aerodynamik. Außerdem haben wir mit ihm die Leistungen der vergangenen Saison diskutiert.

Titel-Bild zur News: Pierre Dupasquier

Dupasquier glaubt, dass man vor allem die Aerodynamik beschneiden sollte

Frage: "In den vergangenen Jahren waren die Reifen immer wahnsinnig schnell auf eine Runde, aber dann bauten sie schnell ab und wurden erst auf einem geringeren Haftungsniveau wieder konstant. Könnte sich das durch das neue Reglement ändern?"
Dupasquier: "Ich finde, dass das Phänomen des Körnens der Reifen wegen der weichen Mischungen am Ende der vergangenen Saison fast nicht mehr aufgetreten ist. Mit den härteren Reifen gehen wir nächstes Jahr sicherlich in die Richtung, dass das noch weniger oft vorkommen wird. Unsere 'Prime'-Reifen waren schon dieses Jahr widerstandsfähig und waren davon eigentlich nicht betroffen, aber die Wahl liegt letztendlich bei den Teams. Wenn sich jemand für unseren 'Option'-Reifen entschieden hat, der auf eine Runde maximale Performance liefert, dann sah die Sache vielleicht manchmal anders aus."#w1#

Einbußen im kommenden Jahr hängen von der Strecke ab

Frage: "Um wie viel langsamer werden die 2005er-Reifen im Vergleich zu 2004 sein?"
Dupasquier: "Ich habe keine Ahnung. Das hängt von der Strecke ab. Auf manchen Strecken werden sie viel langsamer sein, auf manchen Strecken - Monza zum Beispiel - hätte man aber schon dieses Jahr mit den derzeitigen Reifen fast die ganze Renndistanz bestreiten können. Das haben die Teams aber nicht gemacht, weil sie ja sowieso zum Nachtanken an die Box kommen müssen. Andererseits gibt es auch Strecken, die für die Reifen unglaublich hart sind. Da mussten wir viel härtere Mischungen zur Verfügung stellen. Die Unterschiede werden also eklatant sein."

Frage: "Die Reifen waren zuletzt auch Gegenstand der Reglementsdiskussion. Wie würdest du das Reglement abändern, wenn es in deiner Hand liegen würde, und würdest du die Reifen unverändert lassen?"
Dupasquier: "Darüber wird ja gerade viel gesprochen. Ich war kürzlich Abendessen mit einem Technischen Direktor eines unserer Partnerteams. Wir haben den Speed der Fahrzeuge bezüglich Motor, Chassis und Aerodynamik analysiert. Es ist auf jeden Fall so, dass die Aerodynamik der Bereich ist, der ein Auto schnell macht. Auch mit 1.000 PS würde sich nicht viel ändern, aber durch die Aerodynamik schon. Vor einiger Zeit habe ich in einem Museum ein Auto aus den 30er-Jahren gesehen. Es hatte Heckmotor, kleine Reifen und war viel schwerer als die heutigen Autos, aber seine Zeit auf dem alten Hockenheimring war nur so schnell wie die eines Formel-Renault-Fahrzeugs, selbst mit 800 PS Motorleistung. Oder nehmen wir alle heutigen Formel-1-Autos mit Michelin-Reifen her: Die Streuung beträgt ungefähr zwei Sekunden. Diese zwei Sekunden kommen nicht vom Fahrer, nicht vom Motor, sondern überwiegend von der Aerodynamik. Man sieht das auch an den Fortschritten, die Sauber vergangene Saison mit dem neuen Windkanal gemacht hat. Die Aerodynamik ist der wichtigste Punkt."

Nur drei Siege im Jahr 2004 - Dupasquier gibt Frust darüber zu

Frage: "Michelin hat 2004 nur drei Rennen gewonnen, obwohl die Performance der Reifen nicht schlecht war. Ist das nicht frustrierend?"
Dupasquier: "Das ist es. Wir sind in der Formel 1, um zu kämpfen, um uns weiterzuentwickeln, um zu erfinden, um das Beste zu geben. Unsere Resultate hängen aber nicht nur von uns ab. Solange unsere Partner nicht glauben, dass wir keinen guten Job machen, sind wir zufrieden."

Frage: "Eure Trockenreifen waren sehr konkurrenzfähig, wenn es rutschig oder ganz leicht feucht war. Umgekehrt habt ihr aber mit den Regenreifen auf komplett nasser Strecke weiterhin Probleme. Wie wollt ihr das über den Winter anpacken?"
Dupasquier: "Ich glaube nicht, dass die Situation aus der Vergangenheit noch auf 2004 übertragen werden kann. Die paar Situationen, als die Strecke nass war, waren nicht allzu enttäuschend. In Interlagos zum Beispiel wurde im Nassen gestartet und wir waren mit den Intermediates dominant. Es hat sich erst gedreht, als die Strecke trockener geworden ist, weil Barrichello zu dem Zeitpunkt schon Trockenreifen drauf hatte. Damit hatte er klarerweise einen Vorteil. Ich finde, es hat in der vergangenen Saison keine Regenrennen gegeben, bei denen man die Reifensituation fair hätte einschätzen können, aber bei einem Test in Mugello hat es auch einmal geregnet. Barrichello war auf Bridgestone-Reifen dort, wir hatten Button und noch andere Partner vor Ort. Zum Zeitpunkt, als alle in etwa zur gleichen Zeit draußen waren und die Strecke nass war, hatte Button richtige Regenreifen drauf, und er war eine Sekunde schneller als Barrichello und vier Sekunden schneller als die anderen Michelin-Autos. Mehr muss ich wohl nicht sagen."

Mit Toyota ist laut Dupasquier schon bald zu rechnen

Frage: "Toyota hat für nächstes Jahr einen Zahn zugelegt, Ralf Schumacher und Jarno Trulli unter Vertrag genommen. Erwartest du, dass Toyota auch bald zu den Top-Teams aufschließen kann? Und ist es eine besondere Genugtuung, dass ein japanischer Konzern wie Toyota mit euch und nicht mit Bridgestone zusammenarbeitet?"
Dupasquier: "Unsere Partner treffen ihre Entscheidungen selbst, und Toyota hat sich eben für uns entschieden. Toyota musste schwierige Zeiten durchmachen, weil die Struktur in Köln nicht ideal für die Formel 1 war. Das ist der Grund, warum die Erfolge bisher gefehlt haben, die man ihnen eigentlich zutrauen würde. Jetzt hat sich alles verändert. Sie haben die wichtigsten Positionen neu besetzt, sie haben neue Fahrer engagiert und nehmen ihre eigenen Probleme sehr ernst. Ich schätze, dass Toyota schon bald sehr konkurrenzfähig sein wird. Vielleicht nicht innerhalb der nächsten zwei oder drei Monate, aber am Ende der Saison 2005 rechne ich damit, dass sie absolut vorne mithalten werden."

Frage: "Wie verläuft eure Partnerschaft mit BMW-Williams?"
Dupasquier: "BMW war nach Toyota der erste Hersteller, der an uns herangetreten ist und gesagt hat, 'Jungs, wir sind mit Williams in der Formel 1 und wir wollen eure Reifen', und gleichzeitig war es damals so, dass mich Frank Williams zweimal im Jahr angerufen hat, um sich einfach auf dem Laufenden zu halten. Er spricht übrigens Französisch. Als wir dann in die Formel 1 eingestiegen sind, hat es bereits eine Beziehung gegeben. Als der Michelin-Vorstand grünes Licht für unseren Formel-1-Einstieg gegeben hat, hat uns BMW-Williams ein Auto zum Testen zur Verfügung gestellt, übrigens genau wie Jaguar. Wir konnten eine Beziehung zum Team aufbauen, auch zu BMW, und wir hatten das Jahr 2000 zur Verfügung, um uns auf alles vorzubereiten. Es hat noch nie Schwierigkeiten mit BMW-Williams gegeben. Sie arbeiten hart, wir verstehen uns gut und die Kommunikation funktioniert bestens. Als wir Regenreifen hatten, die nicht gut genug waren, haben uns BMW und Williams richtigerweise angestachelt, da nachzulegen. Wir haben zugehört und alles unserer Forschungsabteilung präsentiert, die natürlich nicht happy war, und dann bauten wir einen besseren Reifen. Auf menschlicher Basis ist es eine sehr gute Zusammenarbeit."

Mobile Produktionsanlage ist kein Thema mehr

Frage: "Vor ein paar Jahren habt ihr mit einer mobilen Produktionsanlage experimentiert. Ist das auf Eis gelegt worden?"
Dupasquier: "Technisch wäre das tatsächlich machbar. Unser Equipment ist zwar eigentlich nicht transportabel, aber die Maschinen sind so klein, dass man sie theoretisch mobilisieren könnte. Es war aber trotzdem mehr ein Witz, weil wir einfach keinen Vorteil darin gesehen haben. Wir müssen am Mittwoch vor einem Grand Prix bekannt geben, welche Reifen wir am Wochenende zur Verfügung stellen werden. Es würde also nicht helfen, weil man die Erkenntnisse aus den Trainings von den Regeln her sowieso nicht verwerten könnte."