Erinnerungen an Schumachers ersten Test

Ex-Jordan-Konstrukteur Gary Anderson erinnert sich an Michael Schumachers ersten Formel-1-Test im Sommer 1991 in Silverstone

(Motorsport-Total.com) - Als Bertrand Gachot im Sommer 1991 in London einen Taxifahrer mit Tränengas attackierte, war dies kurioserweise die Geburtsstunde von Michael Schumachers großer Karriere: Formel-1-Teamchef Eddie Jordan stand wenige Tage vor dem Grand Prix von Belgien plötzlich ohne zweiten Fahrer da - und musste binnen kürzester Zeit jemanden auftreiben.

Titel-Bild zur News: Gary Anderson

Gary Anderson erinnert sich gerne an Michael Schumachers ersten Test zurück

Während in Deutschland Willi Weber die große Chance für seinen Schützling witterte und nebst der einen oder anderen Notlüge Himmel und Hölle in Bewegung setzte, um das vakante Cockpit zu ergattern, liefen auch in der Jordan-Fabrik in Silverstone die Drähte heiß. Mittendrin im Geschehen: Chefkonstrukteur Gary Anderson, nicht nur Angestellter, sondern auch enger Vertrauter seines Arbeitgebers.#w1#

Beeindruckende erste vier Runden...

Jordan lud Schumacher zu einem Test in Silverstone ein, der auf dem verkürzten Südkurs stattfand. Anderson: "Er machte ehrlich gesagt einen absolut fantastischen Job. In seiner vierten Runde holten wir ihn an die Box, um ihm zu sagen, dass er es locker angehen soll: 'Das ist das Auto, das du in Spa fahren wirst, bitte beschädige es nicht!' Er antwortete nur: 'Ich pushe ja gar nicht, habe alles unter Kontrolle'", so der heutige TV-Experte in einem Interview mit 'Crash.net'.

"Er antwortete nur: 'Ich pushe ja gar nicht, habe alles unter Kontrolle.'" Gary Anderson

Der Test sei "ziemlich unglaublich" gewesen, doch die Entscheidung pro Schumacher war zu jenem Zeitpunkt eigentlich schon so gut wie gefallen: "Durch Glück - oder was auch immer es war - hatte ich ein paar Tage davor etwas im TV gesehen, nämlich ein Formel-3-Rennen von Michael Schumacher in Deutschland. Er war da wirklich gut unterwegs, ich hatte das Gefühl, der Junge ist gut", gab Anderson zu Protokoll.

Anschließend ging er zu Jordan und analysierte: "Stefan hat sein Ablaufdatum beim besten Willen schon überschritten, Damon bringt mein Herz auch nicht wirklich zum Hämmern, aber dieser Schumacher ist etwas Besonderes." Der damals noch junge Rennstalleigentümer - das Team war erst Anfang 1991 in die Formel 1 aufgestiegen - bewies erstmals sein Gespür für Nachwuchstalente und gab dem deutschen Newcomer tatsächlich eine Chance.

Schumacher verhandelte auch mit Arrows

Wäre sonst alles anders gekommen? "Er sprach damals auch mit Arrows", so Anderson. "Man kann sich fragen, was er dort zustande gebracht hätte. Er wäre in Spa im Qualifying vielleicht eher 18. oder 20. geworden anstatt Siebenter." Auch wenn Schumacher das Rennen wegen eines Kupplungsdefekts schon nach wenigen Metern nicht beenden konnte, fiel er Benetton-Teamchef Flavio Briatore auf. Der anschließende Blitztransfer war eine logische Folge.

"Er sprach damals auch mit Arrows. Man kann sich fragen, was er dort zustande gebracht hätte." Gary Anderson

"In Spa sprachen wir mit ihm über 1992. Wir wechselten auf Yamaha-Motoren, die er sich im Training im Heck der Brabhams genau anschaute. Danach sagte er: 'Ihr müsst aufpassen, denn ich denke, dieser Motor zieht euch runter wie ein Anker.' Ich denke, all diese Dinge führten dazu, dass er woanders hinging. Wir wären für Michael Schumacher nicht stark genug gewesen", setzte Anderson den Ausflug in die Vergangenheit fort.

Bei Jordan "wäre seine Karriere möglicherweise nicht so erfolgreich verlaufen, aber wer weiß? Im Leben muss man die Möglichkeiten mit offenen Armen annehmen. Michael tat dies und wechselte zu Benetton", so der Brite. Der Rest ist Geschichte: Nur ein Jahr nach seinem Debüt gewann Schumacher ausgerechnet in Spa-Francorchamps seinen ersten Grand Prix - und 1994 holte er auf Benetton seinen ersten von insgesamt sieben WM-Titeln...