• 28.02.2004 10:48

Ein-Motoren-Regel: Doppel-Belastung

Die in diesem Jahr erstmals angewendete Ein-Motoren-Regel ist für die Motorenhersteller eine große Herausforderung

(Motorsport-Total.com) - Neue Regeln für die Formel 1 stellt der Automobilweltverband FIA alle Jahre wieder auf. Doch nur wenige sind so revolutionär wie diese: In der Saison 2004 darf ein Team während des gesamten Grand-Prix-Wochenende pro Auto nur noch einen Motor einsetzen.

Titel-Bild zur News: BMW-P83-Motor auf dem Prüfstand

Seit fast einem Jahr arbeitet BMW am Motor für die diesjährige Saison

Wenn zum Saisonstart beim Großen Preis von Australien die Triebwerke aufheulen, werden in der Königsklasse des Motorsports ganz neue Töne angeschlagen: Erstmals in der Geschichte der Formel 1 müssen die über 900 PS starken Motoren ein komplettes Rennwochenende durchhalten und damit über die doppelte Distanz ihre Leistung bringen. Eine gewaltige Herausforderung für Hersteller und Teams.

Die anderen Regeländerungen sind im Vergleich dazu wenig spektakulär. Ein kurzer Blick auf die wichtigsten Neuerungen: Die erst 2003 eingeführten privaten Testfahrten am Freitag wurden ebenso wieder gestrichen wie das erste Qualifying. Während des ersten und zweiten Freien Trainings dürfen alle Teams mit Ausnahme der vier besten Teams des Vorjahres ein drittes Auto einsetzen. Das Qualifying -wird in zwei Hälften aufgeteilt, die durch eine zweiminütige Pause getrennt sind. -Die Wahl der Trockenreifen für Qualifying und Rennen muss bis Samstag 9 Uhr Ortszeit getroffen werden. Und das Geschwindigkeitslimit in der Boxengasse wird im Qualifying und im Rennen von 80 auf 100 km/h angehoben ? das soll für mehr Flexibilität bei den Boxenstrategien und damit für noch spannendere Rennen sorgen.#w1#

Das Motoren-Reglement hat die Féderation Internationale de l?Automobile (FIA) aus Gründen der Kostenreduktion geändert: Der Bau eines Formel-1-Motors kostet etwa 300.000 Euro. Rund 200 Motoren, deren Zusammenbau jeweils etwa 80 Arbeitsstunden erforderte, stellten die Hersteller bisher pro Saison zur Verfügung. Die neue Regel schont den Etat der Teams ? und sie ist revolutionär. Denn für die Entwickler haben sich die Rahmenbedingungen im Vergleich zu früheren Zeiten komplett verändert. "Mit der Ein-Motoren-Regelung", so BMW-Motorsportdirektor Dr. Mario Theissen, "kommt der Zuverlässigkeit eine noch höhere Bedeutung zu."

Doppelte Laufleistung für die Motoren

Das war nicht immer so. Früher gab es in der Formel 1 sogar hoch gezüchtete so genannte "Kurzbrenner", die für lediglich eine schnelle Qualifying-Runde konzipiert waren. Schon 2003 mussten die Motoren das Qualifying und das Rennen durchhalten. Nun werden die Zehnzylinder statt wie bisher über etwa 400 Kilometer gut und gerne die doppelte Strecke beansprucht ? und dürfen dabei möglichst wenig Leistung verlieren. Eine Formel mit mehreren Unbekannten.

Dazu kommen weitere Parameter:
- hohe Zuverlässigkeit bei im Schnitt 2600 Schaltvorgängen pro Grand Prix, rund acht Millionen Zündungen pro Renndistanz, einer Kolbengeschwindigkeit von bis zu 40 Metern pro Sekunde, Auspufftemperaturen von bis zu 950 Grad, Belastungen auf jede Pleuelstange von mehr als drei Tonnen
- große Verwindungssteifigkeit, da der Motor ein tragendes Teil des Autos darstellt
- geringe Größe für eine optimale Aerodynamik. Faustregel: Je mehr Platz für den Abtrieb erzeugenden Heckdiffusor bleibt, desto besser
- geringes Gewicht, um möglichst große Flexibilität bei der Balance des Autos zu garantieren
- gute Fahrbarkeit, das bedeutet: möglichst gleichmäßige Kraftentfaltung über das gesamte Drehzahlband
- geringer Kraftstoffverbrauch, wichtig für möglichst späte und damit theoretisch weniger Tankstopps.

Nur zehn Prozent Leistungsverlust gegenüber 2003

Diese Liste lässt erahnen, wie komplex das Puzzle für die Motorenhersteller war. Soll ein Motor länger halten, muss jedes Teil robuster ausgelegt werden. Der Motor wird größer und schwerer. Das kostet Drehzahl und somit Leistung. Es galt, diese Verluste zu minimieren und die Stand-festigkeit zu garantieren. Die Testläufe auf den Motorenprüfständen begannen im Frühjahr 2003.

Auf der Basis des jeweils aktuell eingesetzten Motors wurde das neue Aggregat modifiziert. Ein stetiger Prozess. So erfuhr beispielsweise der Motor des BMW WilliamsF1 Teams des Vorjahres bereits im Lauf der Saison 1388 Maßnahmen zur Weiterentwicklung. Die neuen Motoren haben nun trotz der neuen Aufgabenstellung nur fünf bis zehn Prozent weniger Leistung als die Vorjahresmodelle.

Im Gegensatz zu einem Formel-1-Triebwerk muss der Motor im Serienfahrzeug ein wahrer Langstreckenläufer sein. Schließlich soll er nicht nur 800, sondern 250.000 Kilometer im normalen Kundenbetrieb halten ? immerhin zwei Drittel der Entfernung bis zum Mond. "Trotzdem muss
auch hier immer auf das Gewicht geachtet werden", erklärt Dr. Christoph Lauterwasser vom Allianz Zentrum für Technik (AZT). "Ein Entwicklungsziel ist zum Beispiel eine hohe Motorleistungsdichte, sprich ein niedriges Motorgewicht bei gegebener Leistung. Vor allem bei Fahrzeugen mit Frontantrieb helfen leichtere und kleinere Motoren dabei, eine günstige Gewichtsverteilung zu erreichen."

Weitere Veränderung für die Zukunft

In der Formel 1 und in der Serie definiert sich Performance über die Variablen Leistung, Verbrauch und Standfestigkeit. Ein Formel-1-Motor ist ein Einzelstück mit genau berechneter Lebensdauer. Doch auch wenn er zu früh den Geist aufgibt, ist nicht gleich alles verloren: Im Fall eines Motorscha-dens während des Trainings darf das Triebwerk gewechselt werden. Allerdings wird der Fahrer für jeden Motorwechsel in der Startaufstellung um zehn Plätze nach hinten versetzt. Wird das Triebwerk nach dem Qualifying gewechselt, muss der Fahrer vom Ende des Feldes starten.

Wenn die neue Regel beim Großen Preis von Australien in Kraft tritt, sind die bis ins Detail neu konzipierten Aggregate fast schon wieder Auslaufmodelle. Denn ab dem Jahr 2005 darf der Motor, so die Pläne der FIA, erst nach zwei Grand-Prix-Wochenenden ausgetauscht werden, ab 2006 muss er sogar sechs Rennen lang halten. In den Labors der Entwickler und Forscher hat die Suche nach einer noch besseren Performance und dem neuen Limit schon begonnen.