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BMW vs. Mercedes: Das große Doppel-Interview
Dr. Mario Theissen und Norbert Haug blicken im Gespräch mit 'F1Total.com' auf die kommende Saison
(Motorsport-Total.com) - Noch fährt Juan-Pablo Montoya für BMW-Williams, ab 2005 geht der Kolumbianer für McLaren-Mercedes auf die Strecke. Anlässlich eines PR-Termins des Fernsehsenders Premiere traf 'F1Total.com' die Motorenchefs der beiden Teams, Dr. Mario Theissen und Norbert Haug, in München.

© xpb.cc
Zwei Konkurrenten, die sich respektieren: Theissen und Haug
Im Doppel-Interview nehmen beide PS-Experten zur Schimpf-Tirade von Montoya in Magny-Cours Stellung. Sowohl Haug als auch Theissen vermelden zudem Rekordzahlen bei der Saisonvorbereitung, sprechen sich aber gleichzeitig für eine weitere Reduzierung der Testfahrten aus.#w1#
Frage: "Herr Theissen, Herr Haug, die Saisonvorbereitung steht kurz vor dem Abschluss. Wie fällt ihr Fazit aus?"
Mario Theissen: "Es war für uns die beste Wintertestsaison der letzten Jahre. Die Zuverlässigkeit hat gestimmt und die Performance ebenso. Allerdings haben wir nichts geschenkt bekommen, sondern haben hart dafür gearbeitet. Bis dato konnten wir mehr als 20.000 Testkilometer fahren."
Norbert Haug: "Auch wir haben mit mittlerweile etwa 14.000 Testkilometern einen neuen persönlichen Rekord aufgestellt. Wir sind - genauso wie BMW-Williams - sehr, sehr viel gefahren und haben das maximal Mögliche getan. Gerade das neue Motorenreglement stellt für alle eine große Herausforderung dar, die Hürde ist für jedes Team hoch. Darum haben wir mehr Prüfstandsläufe als je zuvor durchgeführt. Die Ergebnisse dort und auch auf der Strecke stimmen mich zuversichtlich."
Testaufwand ist "ungesund"
Frage: "Eigentlich wollte die FIA ja den Testwahnsinn eindämmen, um Kosten zu sparen..."
Theissen: "...aber das ist in die andere Richtung gegangen. Die aktuelle Begrenzung ist so gewählt, dass es niemanden stört. Wir können de facto zwei Testtage mehr absolvieren als noch 2003. Es existieren bei den großen Rennställen ja bereits Schattenteams, die parallel zu den Rennteams die Entwicklung vorantreiben. Das ist ein riesiger Aufwand und zugleich ungesund."
Haug: "Da stimme ich zu. Die Wintertests sind ein immenser Kostenfaktor. Es wird im Schnitt drei Mal so viel getestet wie dann später im Renneinsatz gefahren wird."
Frage: "Ist eine konsequente Reduzierung der Testtage wirklich durchsetzbar?"
Theissen: "Ich sehe da kein Problem. Es gibt zwei Möglichkeiten: Entweder man weitet die testfreie Zeit aus oder begrenzt die Testtage stärker. Darüber müssen wir diskutieren."
Haug: "Wichtig ist, dass jegliche Vorschläge in diese Richtung sehr genau definiert werden. Ohne die FIA können die zehn Teamchefs einstimmig Änderungen in diese Richtung beschließen. Allerdings ist schwierig, alle unter einen Hut zu bekommen."
Theissen: "Die Ersparnis fällt nicht so groß aus wie erwartet"
Frage: "Hat die Ein-Motoren-Regel nicht schon zur Kostensenkung beigetragen?"
Theissen: "Zunächst hat die Entwicklung der standfesteren Motoren für einen Kostenanstieg gesorgt. Aufgrund der Tatsache, dass wir 2004 gut zehn Prozent weniger Motoren herstellen, werden die Kosten nach und nach zurückgehen. Aber die Ersparnis fällt nicht so groß aus wie erwartet."
Frage: "Ist es denkbar, weniger zu testen, dafür aber mehr Rennen zu fahren?"
Haug: "Wenn wir schon fahren, dann ist es besser, das auch in aller Öffentlichkeit zu tun. Allerdings warne ich vor NASCAR-Verhältnissen. 17 oder 18 Rennen sind die Obergrenze, definitiv. Mario Theissen und ich würden mehr Grands Prix vielleicht noch am ehesten verkraften, aber man muss auch an die anderen Menschen in der Formel 1 denken. Mit jedem neuen Rennen steigen die logistischen Anforderungen. Dann haben wir nicht nur ein Schattenteam, sondern bald auch noch ein zweites Rennteam. Wenn man die Hälfte der Testkilometer einspart, dann könnte ich mir ein weiteres Rennen vorstellen. Allerdings muss das strategisch gut gewählt sein, so dass möglichst viele Menschen es auch am Fernseher sehen können. Ich denke, dass wäre mit Bernie Ecclestone zu machen."
Haug: "Die Testergebnisse würde ich nicht als Maßstab nehmen"
Frage: "Viel wurde auch in dieser Wintertestsaison über die Reifen diskutiert. Vielleicht zuviel?"
Haug: "Natürlich spielen die Reifen eine wichtige Rolle. Aber es muss auch immer ein gutes Auto drumherum sein. Der Wettbewerb zwischen den beiden Herstellern Bridgestone und Michelin tut der Formel 1 gut. Es ist bewundernswert, was auf diesem Sektor alljährlich geleistet wird. Ob ein Reifen nun nur auf der ersten Runde schnell ist oder auch im Rennen eine konstant gute Performance zeigt, das werden wir erst in Melbourne sehen. Dies kann von Strecke zu Strecke unterschiedlich sein. Die Testergebnisse würde ich dabei nicht als Maßstab nehmen."
Theissen: "Die Formel 1 ist Sport, Show und Business, aber nicht nur. Sie ist auch eine Plattform für Technologie. Das trifft auf die Reifen zu, aber auch auf alle anderen Bereiche. Es gilt, sich überall ans Limit heranzutasten. Das macht die Faszination der Formel 1 aus. Die Reifen sind wichtig, aber ganz sicher nicht der einzige Faktor."
Theissen: "BMW und Mercedes sind am Markt harte Konkurrenten"
Frage: "Der Motor ist auch nicht ganz unwichtig. Ist die Konkurrenz zwischen BMW und Mercedes etwas Besonderes?"
Theissen: "BMW und Mercedes sind am Markt harte Konkurrenten und stehen sich eins zu eins gegenüber. Wir wollen den besten Motor in der Formel 1 bauen und unsere Stärke demonstrieren. Mercedes ist dabei ganz sicher ein besonderer Konkurrent."
Haug: "Der Motor ist zwar ein wesentlicher Bestandteil, aber das Gesamtpaket muss passen. Natürlich haben wir den Ehrgeiz, den besten Motor ? gerade im Vergleich zu BMW ? zu bauen. Letztlich zählen aber die Rundenzeiten am Renntag. Das Auto muss eine harmonische Einheit sein."
Haug: "Manchmal geht ein Fahrer eben aus dem Leim"
Frage: "Eine harmonische Einheit waren BMW-Williams und seine Fahrer zuletzt nicht. Herr Haug, wie würden sie reagieren, wenn einer ihrer Piloten während des Rennens über Funk das Team beleidigt?"
Haug: "Ich kann nicht beurteilen, was da im Falle von Juan-Pablo Montoya gewesen ist. Manchmal geht ein Fahrer eben aus dem Leim. Kritik sollte man aber intern üben und klären."
Frage: "Freuen sie sich trotzdem darauf, dass Juan-Pablo 2005 bei McLaren-Mercedes fährt?"
Haug: "Natürlich freuen wir uns auf Juan Pablo. Wir konzentrieren uns allerdings zunächst auf 2004, und da traue ich auch David Coulthard einiges zu."
Theissen: "Juan-Pablo ist der Kragen geplatzt"
Frage: "Wie bewerten sie den Streit zwischen dem Team und Juan-Pablo, Herr Theissen?"
Theissen: "Ja, es hat diese Situation über Funk gegeben. Da ist Juan-Pablo der Kragen geplatzt. In einem spannungsgeladenen Umfeld wie der Formel 1 kann so etwas aber jeden Tag passieren, eben nur nicht via Boxenfunk. Da steckt nicht so viel dahinter, wie nun interpretiert wird."
Frage: "Zwischen Ralf Schumacher und Williams wird der Ton auch immer rauer."
Theissen: "Ich halte nichts davon, von dritter Seite Anmerkungen zu machen und möchte mich nicht einmischen. Ich bin allerdings sicher, dass unsere beiden Fahrer 100 Prozent geben werden, wenn es in Melbourne los geht. Vielleicht führt die besondere Situation ja sogar zu besonderen Leistungen."
Haug: "Von Billig-Lösungen würde ich Abstand nehmen"
Frage: "Würden sie mir zustimmen, dass die Auswahl an möglichen Nachfolgern für Juan-Pablo und eventuell auch Ralf seit langem nicht mehr so groß war?"
Haug: "Ich sehe das wie einen Trichter. Es gibt mittlerweile viele sehr gute Fahrer, etliche sehr, sehr gute, aber eben doch nur eine Handvoll sehr, sehr, sehr gute Piloten. Darum ist die Fahrerauswahl noch immer ganz entscheidend. Aber es stimmt schon, es gibt im Augenblick so viele junge Fahrer, die noch keinen Führerschein haben, aber schon ein Formel-1-Auto beherrschen. Trotzdem bringen absolute Top-Fahrer noch immer einen großen Vorteil. Von Billig-Lösungen würde ich Abstand nehmen."
Theissen: "Das Angebot an jungen Talenten ist gut und wird immer besser, nicht zuletzt auch aufgrund unserer eigenen Talentförderung in den Formel BMW Meisterschaften. Aber: Die Eintrittsschwelle in die Formel 1 ist noch immer sehr hoch."
Frage: "Bernie Ecclestone würde sein Geld auf Kimi Räikkönen setzen, wenn es um die WM geht. Eine gute Anlage?"
Theissen: "Ich sehe das natürlich ein wenig anders."
Haug: "Bernie zeigt da eine gute Einstellung, soll er ruhig setzen. Aber im ernst, mit BMW-Williams, Ferrari, Renault, BAR und uns gibt es viele Teams, die vorne dabei sein können. Jaguar hat sich ebenfalls stark verbessert. Melbourne wird uns einen ersten Hinweis geben, aber die Machtverhältnisse können sich im Laufe des Jahres auch noch mehrfach verschieben."

