• 23.10.2010 19:22

  • von Christian Nimmervoll & Dieter Rencken

Ein Jahr Präsident Todt: Neutrales Urteil

Jean Todt hat ein ruhiges erstes Jahr als FIA-Präsident hinter sich gebracht, doch ob es weiterhin so ruhig bleiben wird, ist derzeit unklar...

(Motorsport-Total.com) - Am 23. Oktober 2009, also vor genau einem Jahr, gewann Jean Todt die FIA-Präsidentschaftswahl mit 135:49 Stimmen gegen Ari Vatanen und trat damit die Nachfolge des streitbaren und umstrittenen Briten Max Mosley an. Zwölf Monate später hat kaum jemand am eigenen Leib bemerkt, dass Todt der neue Chef des Weltverbandes ist - eigentlich ein gutes Zeichen.

Titel-Bild zur News: Jean Todt

Der Franzose Jean Todt (64) ist seit genau einem Jahr Präsident der FIA

"Mein subjektiver Eindruck ist, dass es vielleicht seine Absicht ist, dass zuerst einmal Ruhe einkehren muss", vermutet Peter Sauber, als Abnehmer von Ferrari-Motoren ein langjähriger Geschäftspartner des früheren Ferrari-Teamchefs. Dabei hat Todt durchaus einige Maßnahmen ergriffen, zum Beispiel die Installation eines Ex-Rennfahrers als vierter FIA-Kommissar oder die geplante Großreform der FIA, die Anfang November beschlossen werden soll.

Machtkampf zwischen Ecclestone und Todt?

"Das Gute an ihm ist", wird Bernie Ecclestone von 'Reuters' zitiert, "dass er uns in Ruhe gelassen hat, was die Formel 1 angeht. Er hat sich um andere Dinge gekümmert, um die sich mal jemand kümmern musste. Das ist gut für uns und gut für ihn, glaube ich." Bewerten will er Todts erstes Jahr nicht, "denn er hat viele Besuche absolviert, sodass man nur schwer einschätzen kann, wie das Resultat letztendlich sein wird".

Ecclestone traf Todt dieses Wochenende in Yeongam, wo der FIA-Präsident für viele überraschend auftauchte, um dem Grand Prix von Südkorea einen Besuch abzustatten. Die beiden gingen zwar gemeinsam durch das Fahrerlager und führten einige Gespräche, doch Gerüchten zufolge soll es zwischen ihnen kriseln. Hintergrund könnte ein sich anbahnender Streit um die Beteiligung der FIA an den kommerziellen Rechten der Formel 1 sein.

Auch innerhalb der FIA sind Spannungen zu vernehmen, wie eine italienische Internetseite berichtet. Spekuliert wird, dass Ex-Präsident Mosley mit Todts geplanten Reformen nicht einverstanden ist und an einem Putsch arbeitet. Gleichzeitig tauchen in den Medien unter einem Synonym verfasste Briefe auf, die Todts Kurs scharf kritisieren. Was dahinter steckt, weiß niemand so genau, aber Verschwörungstheoretiker hören die Zeitbombe schon wieder ticken...

¿pbvin|512|3190||0|1pb¿"Jean Todt spielt eine gute Rolle", stärkt FOTA-Präsident und McLaren-Teamchef Martin Whitmarsh seinem früheren Konkurrenten den Rücken. "Er reformiert die FIA im Hintergrund, was möglicherweise etwas Unruhe innerhalb der Organisation ausgelöst hat. Ich finde nicht, dass er die Formel 1 als Selbstdarstellungs-Plattform verwendet hat, was sehr positiv ist. Was er macht, ist gut, und wir unterstützen ihn in seiner Position."

Was kommt nach Ecclestone?

Die Frage, ob Todt die politisch krisengeschüttelte Formel 1 nach den Mosley-Jahren wieder auf den richtigen Kurs gebracht hat, beantwortet allerdings niemand sonderlich gerne. Selbst Sauber will sich dazu nur sehr vage äußern: "Ich glaube, dass das nicht nur Aufgabe der FIA ist, sondern vor allem auch der Teams. Ich glaube, es ist sogar vor allem Sache der Teams, die Richtung zu bestimmen", findet der Schweizer.

Stimmt diese Richtung im Moment? "Ja", entgegnet Sauber. "Ich bin jetzt bald 20 Jahre in der Formel 1. Insgesamt hat sich die Formel 1 positiv entwickelt. Es ist unwahrscheinlich schwierig, alle Interessen unter einen Hut zu bringen. Bernie, die Teams, die Hersteller, die mit Werksteams da sind, die Hersteller, die als Motorenlieferanten da sind, die FIA - es ist fast nicht möglich, das alles unter einen Hut zu bringen. Bernie managt das."

Jean Todt und Bernie Ecclestone

Jean Todt und Bernie Ecclestone: Gespielte oder echte Harmonie? Zoom

Aber der 80-Jährige wird irgendwann einmal nicht mehr da sein. "Es wird auch nach Bernie weitergehen. Solange er hier ist, ist Ruhe", schmunzelt Sauber und spricht die fehlende Nachfolgeregelung im Formel-1-Management an: "Bernie führt die Formel 1 mit sehr starker Hand, aber ich sehe das positiv, denn das geht gar nicht anders. Erfahrungsgemäß ist es bei solchen Leuten jedoch nicht einfach, Nachfolger zu finden. Das ist nicht nur in der Formel 1 so."

Fest steht, dass in der Formel 1 in den nächsten Jahren viel Macht verschoben wird oder zumindest verschoben werden könnte: Ecclestone, der bereits 1999 am offenen Herzen operiert wurde, wird nicht ewig leben, die Teams wollen sich für das neue Concorde-Agreement ab 2013 mehr Geld erstreiten und die FIA könnte sich unter Todt einige Rechte zurückholen, die Mosley im Zuge eines 100-jährigen Vertrags abgegeben hat...