Doohan raus, Colapinto rein: Das harte Geschäft mit Formel-1-Talenten

Alpine ließ Doohan nach sechs Grands Prix fallen, Red Bull Liam Lawson nach zwei Einsätzen - Wird junges Talent in der modernen Formel 1 zu schnell verheizt?

(Motorsport-Total.com) - Gamer einer bestimmten Generation werden sich vielleicht an "Cannon Fodder" erinnern, einen taktischen Shooter aus den 1990er-Jahren, in dem man eine kleine Soldatentruppe durch gefährliche, schnelle Missionen führte. Der Vorrat an Soldaten war begrenzt - aber bis zu einem gewissen Grad entbehrlich.

Titel-Bild zur News: Jack Doohan

Jack Doohan hatte von Anfang an einen schweren Stand bei Alpine Zoom

In dieser Formel-1-Saison scheint es gewisse Parallelen zu geben: Nur wenige Rennen nachdem Liam Lawson nach gerade einmal zwei Grands Prix im RB21 bei Red Bull ausgemustert wurde, hat Alpine Jack Doohan wieder auf die Ersatzbank gesetzt.

Die Formel 1 war schon immer ein Spiel um alles oder nichts - es sei denn, ein Fahrer bringt ausreichend Sponsorengeld mit, um Leistungsmängel zu kompensieren. Selbst dann bevorzugen ambitionierte Teams meist die schnellere Option - wie etwa Williams, das sich erst von Nicholas Latifi und kurz darauf von Logan Sargeant trennte.

Die Geschichte liefert zahlreiche Beispiele für Fahrer mit überdurchschnittlichem Talent, die dennoch scheiterten, sobald sie ihre Chance in der Königsklasse bekamen.

Stephen South etwa beeindruckte 1978 in der Formel 2 mit seinem eigenen Auto, das er mithilfe seines Vaters und eines Mechanikers betrieb. Daraufhin wurde er von Ron Dennis für dessen Project-Four-Team verpflichtet und überzeugte auch dort.

Es folgten Tests mit Lotus und McLaren, und 1980 sollte er beim US-Grand-Prix in Long Beach den verletzten Alain Prost vertreten. Doch das McLaren-Auto M29C - von Teamchef Teddy Mayer als "grauenhaft" beschrieben - war eines der schlechtesten, das McLaren je gebaut hatte. South konnte sich nicht qualifizieren.


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Obwohl auch Teamkollege John Watson nur auf Startplatz 21 kam, wurde South nicht erneut eingeladen. Später im Jahr beendete ein schwerer Unfall in der Can-Am-Serie seine Karriere.

Die Politik im Hintergrund

Viele Fahrer gingen diesen Weg, wobei die meisten jedoch mehr als einen Renneinsatz absolvierten. Meist war mangelnde Geschwindigkeit oder fehlendes Budget die Ursache. Es gab jedoch auch Ausnahmen wie den exzentrischen Iren Tommy Byrne, der 1982 zwei Grand-Prix-Starts für Theodore absolvierte, aber durch seine unkonventionelle Art bei den ernsteren Teamverantwortlichen aneckte.

Oft trafen diese Fahrer auf Teams, die sich in schwierigen, politisch angespannten Phasen befanden - wie South, als McLarens Titelsponsor Marlboro mit den schlechten Ergebnissen unzufrieden war und sich eine Zwangsehe mit Project Four anbahnte. Selbst der damalige Rookie Alain Prost wurde zum Spielball der Politik.

Bei Alpine gibt es deutliche Parallelen: Seit Renault das Team Ende 2016 zurückkaufte, befindet es sich in einem Dauerumbruch. Jüngst kehrte der ehemalige Teamchef Flavio Briatore als "Executive Advisor" für Renault-CEO Luca de Meo zurück.

Briatore - man erinnert sich - war maßgeblich daran beteiligt, dass Michael Schumacher 1991 nach nur einem Rennen für Jordan zu Benetton wechselte. Und dann war da noch der skandalöse Singapur-Vorfall 2008 mit dem absichtlichen Unfall.


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Briatore scheut keine schnellen Entscheidungen: Er empfahl de Meo, Renaults Antriebe als ungeeignet zu verwerfen und stattdessen auf Mercedes zu setzen. Auch die Nachwuchsfahrersuche wurde ausgeweitet - inzwischen scheint Alpine für jeden Wochentag einen Test- und Entwicklungsfahrer zu haben.

Doohan stand spätestens seit der Aufnahme von Franco Colapinto ins Alpine-Programm im Januar unter Druck. Der Wunsch, ihn loszuwerden, scheint sich seither verstärkt zu haben.

Zudem sorgte eine laute, wütende Fan-Kampagne aus Lateinamerika für zusätzlichen Druck - unabhängig davon, dass Doohans erste sechs Rennen 2025 ziemlich durchwachsen waren. Alpine sah sich kürzlich gezwungen, seine Social-Media-Kommentare zu moderieren, so toxisch war die Kritik an Doohan.

Doohan schon sehr früh angezählt

Wie in der Politik, Wirtschaft oder bei Hofe im feudalen Europa ist die unvermeidliche Folge eines Machtwechsels, dass Personen, die eng mit dem vorherigen Regime verbunden sind (oder von ihm rekrutiert wurden), auch gehen müssen. Doohan befand sich also schon auf etwas heiklem Terrain, als er im August letzten Jahres als Alpine-Fahrer angekündigt wurde, da er bereits seit 2022 zur Alpine Academy gehörte.

Schon damals kursierten gut informierte Gerüchte, dass Doohans Vertrag nur eine begrenzte Anzahl an Rennen garantierte - meist war von sechs Rennen die Rede.

Während bei Lawson die Entscheidung schneller fiel, sind die Gründe für Doohans Aus im Großen und Ganzen ähnlich. Wenn ein Team das Vertrauen in einen Fahrer verliert, gibt es meist einen Kipppunkt. Für Lawson reichten zwei Rennen, um Red Bull zu überzeugen, dass er den RB21 nicht meistern würde.

Das Team ist bekannt dafür, junge Fahrer schnell fallen zu lassen - auch wenn sie meist drei Jahre statt zwei Wochenenden bekommen. Immerhin ist Lawson noch Teil des Programms.


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Bei Doohan kam der Kipppunkt offenbar in Japan: Im Training ließ er das DRS in Kurve 1 offen, was zu einem erheblichen Schaden am Auto führte. Alpine machte den Fahrfehler öffentlich, Doohan fühlte sich im Stich gelassen. Er hatte dies im Simulator ohne Probleme getan, und niemand warnte ihn davor, es real zu tun.

Man mag dies mit jenen Menschen vergleichen, die Fast-Food-Ketten verklagen, weil sie nicht vor heißem Kaffee gewarnt wurden. Doch im Fall Doohan gab es tatsächlich einen Unterschied zwischen virtuellem und realem Resultat.

Seither wirkte er bei Fragen zu seiner Zukunft deutlich unsicherer und hinter verschlossenen Türen auch launischer - etwa nach dem Boxenstopp-Fehler in Miami, der zu seinem frühen Ausscheiden im Sprint-Qualifying beitrug. Statt Rückhalt von oben erhielt er eine öffentliche Rüge für seine Frustration am Funk.

Doohan hatte durchaus Unterstützer bei Alpine - anders als etwa der Paydriver Riccardo Rosset bei Tyrrell Mitte der 1990er-Jahre, dessen Mechaniker angeblich das "r" und das "t" seines Nachnamens auf seinem Fahrerlager-Roller vertauscht hatten. Aber seine Leistungen auf der Strecke reichten nicht, um seinen Platz zu rechtfertigen.

Colapinto gilt als risikoarmer Ersatz

Franco Colapinto hingegen, der nun an Doohans Stelle ins Team kommt, hat in neun Rennen für Williams bewiesen, dass er schnell ist - und somit als risikoärmerer Ersatz gilt. Anfangs schien sein Aufstieg gewagt, doch inzwischen ist er als Talent etabliert, auch wenn er der Streckenmauer gelegentlich zu nah kam.

Franco Colapinto

Mit Franco Colapinto steht das nächste Jungtalent in den Startlöchern Zoom

Noch verlockender für Briatore: Colapintos Popularität in Südamerika könnte neue Sponsoren anziehen. Denn bei der Bewährungszeit junger Fahrer spielt der Faktor Kommerz eine bedeutende Rolle. Die Formel 1 ist durch den US-Markt globaler denn je, die Teams als Franchises Milliarden wert, aber weiterhin geldhungrig. Das Fahrerimage ist essenziell - ein "verbranntes" Markenprofil senkt den Wert.

Ein weiterer Faktor ist die technische Schwierigkeit der aktuellen Bodeneffekt-Autos. Mit zunehmender Reife des Reglements werden die Autos anspruchsvoller. Entweder man kann sie fahren - oder nicht. Selbst Lewis Hamilton hatte zu kämpfen.

Mit den Kostengrenzen sind Testmöglichkeiten rar geworden. Junge Fahrer haben weniger Zeit im Auto als früher. Rookie-Tests und "Testing of Previous Cars" helfen nur begrenzt.

Ein weiterer zentraler Punkt ist die alte Formel-1-Weisheit: Wahrnehmung ist alles. Oliver Bearman, ein weiterer Rookie mit schwankenden Leistungen 2025, steht weit weniger unter Druck - ganz im Gegensatz zu Doohan oder Lawson.

Das hat zum Teil mit dem Umfeld zu tun: Ayao Komatsu führt ein professionelles, aber freundliches Team. Es ist aber auch eine Frage der Wahrnehmung: Bearmans spektakuläres Ferrari-Debüt in Saudi-Arabien 2024 überstrahlt spätere, weniger glänzende Leistungen im Haas - etwa den chaotischen Auftritt in Sao Paulo. Würde man Dschidda aus der Rechnung nehmen, sähe das Bild weniger rosig aus.

Nachschub aus den Nachwuchsreihen gibt es reichlich. Die Teams rekrutieren immer früher - Alpine, Red Bull und McLaren haben schon Kartfahrer unter Vertrag. Es ist ein Spiel, in dem eine gewisse Entbehrlichkeit akzeptiert wird - solange neue Soldaten bereitstehen. Ganz wie bei "Cannon Fodder" eben.