• 19.04.2011 10:24

Die Frau bei Renault: Karine Vassant

Nach wie vor ist die Formel 1 ein vorrangig männliches Geschäft. Doch ab und an begegnet man auch hier interessanten Ausnahmen.

(Motorsport-Total.com) - Sie gehört zu den wenigen Frauen in der Männerwelt der Formel 1. Doch Karine Vassant fühlt sich im Grand-Prix-Sport bestens aufgehoben, denn sie lebt ihren Traum. Wir stellen die Dateningenieurin vor, die für Renault im Team Lotus arbeitet.

Titel-Bild zur News: Lotus Renault

Seit Januar 2011 unterstützt Karine Vassant die Crew von Lotus Renault

Frage: "Karine, wie bist du in die Formel 1 gekommen?"
Karine Vassant: "Das ist eine lange Geschichte. Meine Motorsport-Laufbahn begann bei Peugeot in der Rallye-Weltmeisterschaft. Ich kam 2002 zum Team und blieb sechs Jahre. In dieser Zeit haben wir einige Titel gewonnen. Ich habe eine Menge schöne Erinnerungen daran."

"Ich möchte noch viele Jahre in der Königsklasse arbeiten." Karine Vassant

"Ich bin glücklich, dass ich mit so guten und so unterschiedlichen Fahrern arbeiten durfte. Anschließend war ich in die Entwicklung des Le-Mans-Sportwagens von Peugeot eingebunden, kehrte dann aber mit Suzuki in die Rallyeszene zurück. Bei einem Abstecher zum Team von Henri Pescarolo habe ich auch noch wertvolle Erfahrungen mit Langstreckenrennen gesammelt - unter anderem bei den 24 Stunden von Le Mans. Nachdem ich meine eigene Firma gegründet hatte, kam ich über Kunden wie Magneti Marelli in die FIA-GT-Weltmeisterschaft und die American Le-Mans-Serie in den USA. Schließlich erlebte ich auch noch die Rallye Dakar mit dem Team Overdrive. Ich bin also etwas herumgekommen in der Motorsportwelt."

"Nur die Formel 1 blieb lange ein Traum. Jetzt, wo ich es hierhin geschafft habe, muss ich wohl in den Ruhestand gehen! Nein, im Ernst: Ich freue mich, dass ich hier bin, und möchte noch viele Jahre in der Königsklasse arbeiten."

Willkommen in der anderen Welt

Frage: "Wie kam es zum Wechsel von der Rallye zur Rundstrecke?"
Vassant: "Ich war einfach zur rechten Zeit am rechten Ort. Ich mag es, neue Dinge kennenzulernen - und ich liebe den Motorsport. Deshalb gefällt es mir, auch mal die Seiten zu wechseln und neue Erfahrungen zu sammeln. Ehrlich gesagt lerne ich täglich etwas hinzu. Ich finde, du darfst dich niemals vor etwas Neuem fürchten."

Frage: "Die Formel 1 ist eine völlig andere Welt als die Rallye-WM. Gibt es dennoch Gemeinsamkeiten?"
Vassant: "Es stimmt schon, die beiden Serien sind total unterschiedlich. Aber letztlich geht es um dieselben Dinge: Motoren, Reifen, Getriebe. Und deshalb gibt es hier wie dort Motorenmappings - aus meiner beruflichen Sicht sind beide Kategorien also nicht weit voneinander entfernt. Natürlich unterscheiden sich die Abläufe der Events und die Regeln der Weltmeisterschaften stark. In der Formel 1 müssen wir derzeit mit einem neuen Reifenfabrikat und Reglementsänderungen umgehen. Dennoch: Die grundlegenden Dinge ähneln sich."
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Frage: "Wann bist du zu Renault gestoßen?"
Vassant: "Ich bin noch gar nicht so lange dabei, erst seit Januar 2011. Es ging alles sehr schnell. Während der Wintertests im Februar habe ich mich eingearbeitet und erlebte eine steile Lernkurve. Ich habe mir angeschaut, was die anderen Ingenieure bei den Tests machen, aber ich konnte natürlich auch auf meinen bisherigen Erfahrungen aufbauen. Außerdem bin ich sehr lernwillig und anpassungsfähig. Die schwierigste Aufgabe war das Einarbeiten in die Einheitselektronik der Fahrzeuge."

Anspruchsvoll und mit viel Verantwortung

Frage: "Wie sieht deine Tätigkeit aus?"
Vassant: "Ich bin so etwas wie eine Vermittlerin zwischen Motoreningenieur und Auto, das erste Glied in der Kette. Ich behalte jeden Bereich im Blick, in dem Daten gesammelt werden. Zudem stelle ich sicher, dass alles, was mit IT zu tun hat, bei allen Teammitgliedern funktioniert. Mein wichtigster Aufgabenbereich umfasst das Motorenmapping, die Überwachung der Telemetrie und das Prüfen der eingehenden Daten. Für diesen letzten Punkt sind außer uns Ingenieuren auch die Mechaniker verantwortlich. Ich erstelle die Programme für das Motormanagement und checke alle elektronischen Funktionen des Autos. Wenn es also Probleme gibt, bin ich schuld."

"Jarno Trulli und Heikki Kovalainen sind wirklich nette Kerle." Karine Vassant

Frage: "Arbeitest du direkt mit den Fahrern?"
Vassant: "Nein, mit denen komme ich bei der Arbeit nicht direkt in Kontakt. Aber persönlich kennen wir uns natürlich. Jarno Trulli und Heikki Kovalainen sind wirklich nette Kerle."

Frau mit Durchsetzungsvermögen

Frage: "Findest du es schwierig, als Frau in einer Männerdomäne zu arbeiten?"
Vassant: "Das kommt sicher auf die eigene Persönlichkeit an. Ich kann mich nicht beschweren, sondern sehe es sogar als Vorteil. Die Männer sind mir gegenüber hilfsbereit und aufmerksam. Trotzdem bleibt natürlich immer der Zweifel, ob nicht der eine oder andere denkt: 'Mal sehen, ob sie das wirklich hinkriegt.' Aber so eine chauvinistische Einstellung ist die Ausnahme."

Frage: "Fühlst du dich im Team voll integriert?"
Vassant: "Auf jeden Fall, die Menschen im Team Lotus sind fantastisch. Es ist für sie natürlich neu, eine Frau im technischen Team zu haben, aber ich bin eine Person, die sich gut in eine Gruppe einfügt."

"Ich liebe das Reisen und mag es, in der Welt herumzukommen." Karine Vassant

Endstation Formel 1?

Frage: "Hast du Kinder?"
Vassant: "Nein, und falls ich irgendwann welche haben sollte, würde ich diesen Job sofort aufgeben und erst mal versuchen, wieder einen normalen Lebensrhythmus zu finden (lacht; Anm. d. Red.)!"

Frage: "Läuft es in der Formel 1 so, wie du dir das vorgestellt hast?"
Vassant: "Ich bin immer noch dabei, mir ein Bild zu machen. Ich habe erst einen Grand Prix miterlebt. Insgesamt ist es so, wie ich es erwartet habe. Die große Arbeitsdisziplin erinnert mich an meine Rallye-Zeit, das mag ich. Aber ich werde mir erst mit der Zeit ein umfassendes Bild machen können."

"Die Formel 1 bleibt immer das ultimative Ziel." Karine Vassant