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  • 09.08.2004 15:17

  • von Marco Helgert

Die Formel 1 und das Überholen

Renaults Chefingenieur Pat Symonds erklärt, warum das Überholen in der Formel 1 so schwer ist und wie dies geändert werden kann

(Motorsport-Total.com) - Neben dem engen Stadtkurs in den Häuserschluchten von Monte Carlo zählt der Hungaroring nahe Ungarns Hauptstadt Budapest zu den Strecken, auf denen Überholmanöver eine Ausnahme sind. Pat Symonds, Chefingenieur im Renault-Team, erklärt, warum die Aerodynamik und die Besonderheiten der Strecke jede Überholchance bereits im Keim ersticken.

Titel-Bild zur News: Renault-Chefingenieur Pat Symonds

Pat Symonds: Unterschiedliche Leistungsniveaus fördern das Überholen

"Einfach ausgedrückt, sollen die aerodynamischen Kräfte, die auf das Auto wirken, die Last auf die Reifen erhöhen und damit für mehr Grip sorgen", erklärte Symonds. "Dabei erzeugen sie hinter dem Auto große Turbulenzen, die wir 'Wake' oder Sog nennen. Diese aufgewirbelte Luft bewegt sich nicht mehr wie erwartet, das kann man im Nassen leicht beobachten."#w1#

Abtriebsverlust bei Kolonnenfahrten

Die Länge des Bereiches der verwirbelten Luft entspricht in etwa der Geschwindigkeit des Autos zum Quadrat, während die Höhe vom Luftwiderstand des Autos abhängig ist. "Innerhalb dieses Sogs gibt es jedoch auch einen Bereich mit wenig Druck. Wenn ein Auto nah genug am vorausfahrenden dran ist, kann es sich heransaugen und auf der Gerade schneller werden", so der Engländer.

"In Ungarn fahren wir auf der Start-Ziel-Gerade etwas über 300 km/h, der Sog ist dann etwa 150 Meter lang - das sind über 20 Prozent der Gerade", so Symonds. "Der Sog hat dabei zwei grundlegende Eigenschaften. Zum einen ist er eine Hilfe beim Überholen, denn er verringert den Luftwiderstand, wenn man direkt hinter einem anderen Auto fährt. Wenn man jedoch weiter zurückliegt, dann wird nicht nur der eigene Abtrieb stark beeinflusst, sondern auch die Balance zwischen vorne und hinten."

"Ein Beispiel: Zwei Autos fahren mit 200 km/h über die Strecke, das hintere liegt zehn Wagenlängen zurück. Dann wird er 20 Prozent Abtrieb verlieren und die Balance wird sich um vier Prozent nach hintern verschieben. Das allein macht ein Folgen schon schwierig, denn der Fahrer hat dann nicht nur weniger Grip, sein Auto untersteuert auch stark. Wenn er näher heranfährt, wird alles noch schlimmer. Bei drei Wagenlängen verliert man ein Drittel des Abtriebs, während sich die Balance um 15 Prozent verschiebt. Damit kann man in einer schnellen Kurve, die auf eine Gerade führt, nicht am Vordermann dran bleiben. Jeglicher Vorteil auf der Geraden ist so nicht nutzbar."

Auch Strecken und Reifen haben einen Einfluss

Doch nicht nur die Aerodynamik hat einen Einfluss auf die Überholmöglichkeiten in der Formel 1. "Wenn wir den Grip der Autos zum Beispiel durch breitere Reifen vergrößern würden, dann würden die Teams den Abtrieb verringern. Die Kurvengeschwindigkeiten würden beibehalten werden, daher wäre ein Anstieg der Geschwindigkeiten auf der Geraden möglich. Das könnte die Verwirbelungen verringern und das Überholen vereinfachen."

Auch die Strecken könnten verändert werden. In langsamen Kurven könnte der Grip durch einen speziellen Asphalt verringert werden, während schnelle Kurven leicht überhöht werden - diese könnten dann mit Vollgas durchfahren werden, womit praktisch zwei Geraden zu einer verbunden werden. Derzeit ist es jedoch die Voraussetzung für Überholmanöver in der Formel 1, dass einer langsamen Kurve eine schnelle Gerade folgt, die wieder in einer langsamen Kurve endet.

Überholen nur bei Leistungsunterschied

Eine Garantie ermöglicht jedoch auch diese Variante nicht. "In Hockenheim, wo dieses Layout benutzt wird, hatten wir vor drei Wochen ein sehr aufregendes Rennen, aber wenn man auf die Vorjahre schaut, so gab es 2003 nur drei wirkliche Überholmanöver, 2002 gar nur eines. Auch diese Kurse können also langweilige Rennen hervorbringen.

Für Pat Symonds sind daher auch andere Faktoren für ein überholreiches Rennen maßgeblich. "Wenn die Autos konstant sind und eng beisammen liegen, dann wird keiner den anderen überholen", so der Engländer. "Wenn ihre Leistungen weit auseinander liegen und die schnelleren Autos vorne sind, dann werden sie einfach davonziehen."

"Wenn wir Überholmanöver haben wollen, dann müssen wir sicherstellen, dass die Autos zu verschiedenen Zeitpunkten verschiedene Leistungsniveaus haben", so Symonds. "Das geschieht zum Teil, wenn man verschiedene Reifen einsetzt. Auch mit den Turbo-Motoren war dies eingeschränkt möglich, da man nur eine gewisse Rundenanzahl mit vollem Ladedruck fahren konnte. Aber dieses Konzept ist notwendig, um während eines Rennens für Überholmanöver zu sorgen."