• 04.07.2002 11:27

  • von Fabian Hust/KHP

Der "Herr der Ringe" - Ein Gespräch mit Hermann Tilke

Hermann Tilke ist der wohl beste Rennstreckenbauer der Welt und zurzeit bei vielen Rennstreckenbetreibern heiß begeht

(Motorsport-Total.com) - Weltweit ist der 47-jährige Architekt Hermann Tilke mit dem 100-köpfigen Team der Aachener Tilke GmbH aktiv, um Rennstrecken zu bauen, zu modernisieren oder zu perfektionieren. Der als "Herr der Ringe" gefeierte Ex-Rennfahrer hat bereits knapp 30 Pisten - vom A1-Ring bis zum Circuit von Zandvoort - seinen unverwechselbaren Stempel aufgedrückt.

Titel-Bild zur News: Hermann Tilke

Der Architekt Hermann Tilke gilt als der beste Formel-1-Streckendesigner der Welt

Natürlich entstand auch der neue Hockenheimring mit seiner zukunftsweisenden Infrastruktur zunächst im Kopf des anerkannten Top-Architekten der internationalen Motorsport-Szene. Dass ihm auch hier wieder eine Glanzleistung gelungen ist, bestätigt Jean Alesi, 201-maliger Grand-Prix-Teilnehmer und derzeit Zweiter im Klassement des Deutschen Tourenwagen Masters (DTM), der letzte Woche als Erster den modernisierten Kurs in seinem Mercedes CLK umrundete. "Ich kann im Namen aller Fahrer nur gratulieren. Hier wurde fantastische Arbeit geleistet. Es ist eine moderne Strecke für moderne Rennwagen entstanden. Es wird auf jeden Fall ein Kurs sein, auf dem überholt wird. Ich kann das erste Rennen kaum erwarten."

Frage: "Wie kommt der Architekt zum Motorsport - welches Interesse stand zunächst im Vordergrund?"
Hermann Tilke: "Im Alter von 18 Jahren begann ich, Rennen zu fahren. Irgendwann habe ich dann Abitur gemacht und mit dem Studium begonnen, Parallel dazu war ich auf den Pisten unterwegs."

Frage: "In welchen Kategorien?"
Tilke: "Zunächst fuhr ich mit dem Scirocco meiner Mutter Bergrennen und dann ging es weiter bis zur Europameisterschaft für Tourenwagen. Bis zum Ende des Studiums schraubte ich selbst und gemeinsam mit einem Freund betrieb ich sogar eine kleine Werkstatt. Dort bereiteten wir die Autos einiger Konkurrenten vor, um die eigenen Renneinsätze auf diese Weise zu finanzieren."

Frage: "Und während Sie die Rennen fuhren, dachten Sie: 'Ich selbst könnte doch viel schönere Circuits bauen'."
Tilke: "Nein, die Kurven, in denen man nicht zurechtkommt, hält man zwar für Murks, aber mit Blick auf meinen späteren Beruf gab es keinerlei Schlüsselerlebnis dieser Art. Es war vielmehr so, dass ich nach dem Studium zunächst in einem Architektenbüro arbeitete. Anschließend machte ich mich selbständig. In dieser Situation lag dann nichts näher als der Wunsch, irgendetwas mit Rennstrecken zu tun zu haben. Aus diesem Wunsch wurde dann Wirklichkeit. Zunächst waren es Miniaufträge am Nürburgring, und das weitete sich aus, wurde mehr und mehr."

Frage: "Später kam die Hockenheimring GmbH auf Sie zu und beauftragte Sie mit dem Umbau der Traditionspiste - wann war das genau?"
Tilke: "Das war gut sechs Monate vor dem Grand Prix von Deutschland 2001."

Frage: "Wie sah der konkrete Wunsch des Auftraggebers aus?"
Tilke: "Unter Erhalt möglichst großer Waldflächen und des Motodroms sollte eine kompakte, zukunftsweisende Rennstrecke entstehen."

Frage: "Einerseits eine klar umrissene Aufgabe, die Ihnen auf der anderen Seite viel gedanklichen Spielraum ließ. Nahmen Sie sich ein weißes Blatt Papier, zeichneten den alten Kurs ein und gingen ans Werk?"
Tilke: "Es galt zunächst, die Zwangspunkte zu berücksichtigen, wie zum Beispiel einen öffentlichen Weg, der erhalten bleiben musste. Dann ging ich mit Blick auf die Optimierung des Flächenverbrauchs ans Werk. Mit einem wunderschönen zweiten Motodrom, einer schnellen Passage und einer Überholmöglichkeit ist das dann auch gut gelungen.

Frage: "Wie viele Entwürfe waren notwendig, bevor die endgültige Streckenführung realisiert werden konnte?"
Tilke: "Alles wurde Schritt für Schritt mit dem Auftraggeber diskutiert. Im Rahmen dieser Gespräche gab es dann hier und da kleinere Änderungen, bis wir auf einen gemeinsamen Nenner kamen.

Frage: "War die FIA in diesem Stadium mit eingebunden?"
Tilke: "Die FIA redet durchaus mit, eigentlich aber nur, was das Thema Sicherheit betrifft. Trotzdem haben wir sie, und auch den DMSB (Deutscher Motorsportbund; d. Red.), mit in den Optimierungsprozess eingebunden."

Frage: "Rennfahrer sind in diesem Stadium sicherlich auch nützliche Gesprächspartner."
Tilke: "Natürlich, wir sprachen auch mit Formel-1-Piloten."

Frage: "Konnten die sinnvolle Beiträge leisten?"
Tilke: "Absolut, das war durchaus sinnvoll."

Frage: "Wenn man ursprünglich Reihenhäuser, Villen und Business-Gebäude bauen wollte..."
Tilke: "Das Studium war auf Häuser, Straßen und allgemeine Infrastruktur ausgerichtet."

Frage: "...ist man sicherlich selbst überrascht, wenn man sich zu einem weltweit anerkannten Spezialisten eines Nischengeschäfts à la Rennstreckenbau mausert. Auf wie vielen Pisten haben Sie inzwischen Ihren Architeken-Fingerabdruck komplett oder teilweise hinterlassen?"
Tilke: "Wir waren bisher an 27 Konzepten - teilweise komplett neuen, teilweise auch solchen, die nie verwirklicht wurden - beteiligt. Dabei handelte es sich sowohl um kleinere Modifikationen, wie auch um Großprojekte wie den neuen Österreichring, die Piste von Sepang in Malaysia oder jetzt den Hockenheimring."

Frage: "Grundsätzlich geht es bei Ihrer Arbeit doch darum, sowohl die Interessen der Piloten, wie auch die der Zuschauer zu berücksichtigen. Sind die Ansprüche beider Seiten immer leicht unter einen Hut zu bringen?"
Tilke: "Einfach ist das nicht, weil sich die Fans unterschiedlich orientieren. Die einen wollen einen ultraschnellen Streckenabschnitt sehen. Andere ziehen es vor, möglichst viel Übersicht zu haben. Wieder andere wollen Bremsmanöver und Action in entsprechend langsamen Kurven erleben. Auf dem neuen Hockenheimring kommen wohl alle Fraktionen auf ihre Kosten. Die Geschwindigkeit wechselt mehrmals - von über 300 km/h bis hinunter auf Spitzkehrentempo, das im ersten Gang gefahren wird. Und die Piloten haben endlich die Möglichkeit zu Überholmanövern, die sie in den letzten Jahren so sehr vermissten."

Frage: "Der schnellste Streckenabschnitt ist die 'Parabolika' - in bester Hockenheim-Tradition ist sie nicht linealgerade, sondern leicht gekrümmt."
Tilke: "Zunächst einmal ist sie die längste Kurve der Welt. Aber es ist tatsächlich so, dass man sich als Architekt darum bemüht, bei einer Modernisierung durchaus Stilelemente der alten Anlage zu übernehmen."

Frage: "Für wie viele Jahre wird die neue Rennstrecke aufgrund Ihrer Erfahrungen jetzt Formel-1-tauglich sein?"
Tilke: "Das lässt sich schwer übersehen, aber das sollte sie schon für das nächste Jahrzehnt sein."