• 04.07.2004 18:37

Das große Siegerinterview mit Michael Schumacher

Der Frankreich-Triumphator über sein strategisches Meisterstück in Magny-Cours und den ganzen Renntag aus seiner Sicht

(Motorsport-Total.com) - Frage: "Michael, ein grandioser Sieg mit vier Boxenstopps. Zu welchem Zeitpunkt im Rennen habt ihr die Strategie umgestellt?"
Michael Schumacher: "Nach dem zweiten Stopp. Von hinten drohte keine Gefahr, es lag nur vor uns eine Herausforderung in der Situation. Wir wussten, dass es ein Risiko sein würde, aber es heißt ja 'No risk, no fun', also hat Ross entschieden, dass wir es machen. Es war brillant - nicht nur die Strategie, sondern auch die Durchführung der Boxenstopps, sehr präzise, einfach unglaublich. Ich war vor dem Rennen eigentlich gar nicht so optimistisch, aber am Ende der Stints haben unsere Reifen exzellent funktioniert, während unsere Mitbewerber Probleme hatten. Das war der Hauptgrund, weshalb wir vor den Boxenstopps den Rückstand verkürzen konnten, was schlussendlich unsere Strategie erst möglich gemacht hat."

Titel-Bild zur News: Michael Schumacher

Michael Schumacher setzt in dieser Saison ständig neue Maßstäbe

Frage: "Kurioserweise gilt auf dieser Strecke das niedrigere Speed-Limit in der Boxengasse von 80 km/h. Hat das in euren Überlegungen eine Rolle gespielt?"
Schumacher: "Natürlich bezieht man das auch in die Berechnungen mit ein, aber andererseits ist es eine eher kurze Boxengasse, was im Endeffekt bedeutet, es ist ähnlich wie auf anderen Strecken, aber ja, das haben wir natürlich bedacht. Es gab kein Risiko, zurückzufallen, wir konnten nur nach vorne kommen, also haben wir es versucht."#w1#

"War nach meinem zweiten Stopp sehr besorgt"

Frage: "Nach deinem vierten Stopp hattest du noch sieben Sekunden Vorsprung auf Fernando. Hat dich das überrascht?"
Schumacher: "Auf eine Art ja, andererseits nicht. Nach meinem zweiten Stopp war ich sehr besorgt, dass Fernando so gut mithalten konnte, denn nach unseren Berechnungen würde er sehr viel länger draußen bleiben können. Die Pace, die er da fuhr, war besorgniserregend. Da dachten wir, wir seien nicht im Plan. Dann sahen wir ihn recht früh reinkommen, viel Benzin für den letzten Stint nachtanken, und darin sah ich meine Chance, denn ich spürte, dass seine Reifen zum Schluss nicht mehr optimal gehaftet haben. Dass er so viel Benzin an Bord hatte, erlaubte mir, einen gewissen Vorsprung für meinen letzten Stopp aufzubauen. Das hat geklappt."

Frage: "Die Konkurrenz scheint immer näher ranzukommen - jetzt musst du schon tief in die Trickkiste greifen, um noch zu gewinnen..."
Schumacher: "Es überrascht uns nicht, dass die Gegner immer näher kommen. Es gibt auch spezielle Strecken, wo wir manche Konkurrenten sehr stark erwarten. Silverstone könnte auch schwierig werden, habe ich nach den Tests dort den Eindruck, aber darum sind wir ja hier - wir wollen es besser machen und gewinnen."

Frage: "Wann wurde dir heute klar, dass du gewinnen kannst?"
Schumacher: "Erst ungefähr fünf Runden vor dem letzten Boxenstopp, denn ich war nicht laufend über die Abstände informiert. Fünf Runden vor dem Stopp kam Ross am Funk und sagte, dass wir den nötigen Vorsprung beisammen haben, aber ich sollte das noch konsolidieren. Von dem Moment an wusste ich, dass ich schneller fahren könnte, denn ich hatte weniger Benzin und bessere Reifen als Fernando."

Pace im Rennen war am Ende schneller als zu Beginn

Frage: "Die Pace im Rennen, speziell zu Beginn, war phänomenal, nicht wahr?"
Schumacher: "Ich denke, dass es am Ende schneller war, denn anfangs fuhren wie niedrige bis hohe 16er-Zeiten und dann niedrige bis hohe 15er-Zeiten."

Frage: "Was hat euch veranlasst, vier Boxenstopps zu machen? War es der Reifenverschleiß?"
Schumacher: "Nein, die Reifen haben gut funktioniert, wurden gegen Ende der Stints immer besser, aber so, wie sich unsere Strategie entwickelt hat, war das die einzige Möglichkeit, nach vorne zu kommen. Es hat geklappt. Ich meine, wir hätten auch mit drei Stopps gewinnen können, aber dann hätte ich Fernando auf der Strecke überholen müssen und das wäre nicht einfach geworden, obwohl ich den besseren Top-Speed und am Ende der Stints die bessere Bremsperformance hatte. Aber wie gesagt, wir haben uns gedacht 'No risk, no fun'."

Frage: "Hat es dich überrascht, dass du früher als Fernando zum ersten Stopp kommen musstest?"
Schumacher: "Damit habe ich gerechnet. Alles war sehr eng beisammen und ich denke, von den Boxenstopps her trennten uns nur zwei Runden. Angesichts der Rundenzeiten gestern hatte ich gehofft, etwas länger draußen bleiben zu können, aber ich habe mich nicht darauf verlassen, ehrlich gesagt. Außerdem dachte ich, dass unsere Reifen gleich aus der Box raus sehr schnell sein würden, daher war es mir nicht zuwider, früh an die Box kommen zu müssen, aber ich steckte dann kurz hinter Sato fest und verlor dabei ein paar Sekunden."

Schumacher von Führung nach zweitem Stopp nicht überrascht

Frage: "Nach dem zweiten Stopp warst du dann vor Fernando, aber das ist eigenartig, denn normalerweise bleibt der vorne, der später an die Box kommt."
Schumacher: "Ja, aber ich bin früher an die Box gekommen und hatte dadurch ein leichteres Auto, konnte gute Zeiten fahren und den Rückstand verkürzen, bis Fernando auch an die Box fahren musste. Dadurch war ich dann ein bisschen voraus."

Frage: "Warst du zu dem Zeitpunkt von deiner Führung überrascht?"
Schumacher: "Nein, das war aufgrund unserer Strategie keine Überraschung. Es war notwendig, nach vorne zu kommen. Ich war vor dem Stopp direkt hinter ihm und sah, dass er Probleme mit den Reifen hatte, also musste ich ein paar sehr schnelle Runden hinlegen. Ich wusste, das mir das gelungen war, also sprach nichts dagegen, dass ich vorne liegen würde."

Frage: "Hast du dich mit Ross am Funk unterhalten, bevor ihr von drei auf vier Stopps umgestellt habt?"
Schumacher: "Wir haben uns schon unterhalten, aber nicht lange, denn ich hatte nicht viel zu verlieren. Ich habe mich nur erkundigt, wie viel Abstand ich nach hinten hatte. Als klar war, dass ich nicht zurückfallen würde, war klar, dass wir es machen würden."

Frage: "Musst du in so einer Situation verstehen, warum dich Ross um so etwas bittet?"
Schumacher: "Nein. In so einem Moment muss das Team den Überblick über meine Situation im Auto haben, wie die Reifen sind und so weiter. Wir überlegen uns im Vorhinein verschiedene Varianten für die Strategie, A,B und C und so weiter, und darüber reden wir dann meistens am Funk. Die letzte Entscheidung trifft aber in der Regel Ross, es sei denn, ich habe irgendeinen groben Einwand. Ross sitzt an der Boxenmauer und hat alle Informationen und einen viel besseren Überblick als ich, daher ist er derjenige, der die Entscheidungen trifft."

Sieg muss nicht dem Bruder gewidmet werden

Frage: "Letztes Jahr hat dein Bruder hier gewonnen, jetzt du. Ist dieses Rennen für ihn?"
Schumacher: "Mein Bruder ist nicht in so schlechter Verfassung, dass ich ihm einen Sieg widmen müsste. Wir müssen nicht so traurig sein, es geht ihm nicht schlecht, er ist gut gelaunt und wir müssen niemandem etwas widmen."

Frage: "Ferrari hat jetzt doppelt so viele Punkte wie Renault. Was sagt das über eure Leistung aus?"
Schumacher: "Ich denke, die Antwort liegt schon in der Frage. Der Grund dafür ist unser gutes Teamwork."

Frage: "Du hast heute wieder die Überlegenheit des Autos und eures Teams demonstriert, aber wann sehen wir von dir endlich geniale Starts und Überholmanöver?"
Schumacher: "Zwischen dem Auto und der Taktik liegt mein Beitrag, denn immerhin fahre ich das Ding ja..."

Frage: "Neun Siege in zehn Rennen - wie stufst du dich selbst ein?"
Schumacher: "Ich stufe mich selbst gar nicht ein, um ehrlich zu sein. Diese Saison ist außergewöhnlich, viel besser als erwartet, und dieses Wochenende hätte ich auch viel schwieriger erwartet. Wenn man sich die letzten Rennen hier ansieht, dann waren wir nie besonders konkurrenzfähig, aber wir haben das analysiert, daraus gelernt und es offensichtlich besser gemacht. Es war ein harter Kampf und obwohl wir das schnellere Auto hatten, bedurfte es einer anderen Strategie, um gewinnen zu können. Mit derselben Strategie wie Fernando wäre es schwierig geworden. Es ist eben so, dass die Journalisten gedacht haben, dieses Jahr seien wir wieder leichter zu schlagen, aber genau das Gegenteil ist der Fall. Das macht uns natürlich glücklich."