Das große Siegerinterview mit Michael Schumacher

Reifenvorteil, Boxenstrategie, Rennsituationen, Titel zum Greifen nah ? "Schumi" spricht ausführlich über seinen Indy-Sonntag

(Motorsport-Total.com) - Frage: "Michael, nur der siebente Startplatz, dieses technische Problem am Samstagmorgen, kein besonders guter Auftakt im Regen in den ersten Runden und dann dieser großartige Sieg..."
Michael Schumacher: "Ja, ein großartiger und ein wichtiger! Auch der Rennausgang für meine Konkurrenten ist wichtig, was meine Position in der Weltmeisterschaft angeht. Jetzt bin ich so erleichtert. Das ist ein sehr emotioneller Tag für mich, einfach fantastisch. Es war alles drin ? keine großartige Performance im Qualifying, ein guter Start, dann war ich wieder im Rennen, bin im Regen mit den Slicks zurückgefallen, zum Schluss hat es wieder zu regnen begonnen. Hier in der entscheidenden Phase der Weltmeisterschaft zu gewinnen, bedeutet mir viel. Ich bin all den Jungs bei Ferrari dankbar, denn sie haben uns zu diesem Erfolg getragen. Ich bin sehr dankbar."

Titel-Bild zur News: Michael Schumacher

Hat Schumacher heute schon den Weltmeister-Jubel aus sich gelassen?

Frage: "Alle haben an ein Meisterstück geglaubt, als du bei einsetzendem Regen in Runde 20 an die Box gekommen bist, aber dann wurden Trockenreifen montiert. Kannst du das erklären?"
Schumacher: "Es war ein entscheidender Moment, denn kurz davor hat es auch geregnet, aber der Regen ging gleich wieder weg. Für Regenreifen wäre es sicher noch zu trocken gewesen. Dieser Regen hat zunächst so gewirkt, als würde er sich auch gleich wieder verziehen ? es war ein Glücksspiel. Als ich durch die Boxengasse gefahren bin, habe ich mich gefragt, ob wir nicht die Entscheidung noch umwerfen sollten ? ich habe es sogar am Funk gesagt. Daraus wäre nur Verwirrung und Hektik entstanden. Im Nachhinein ist man natürlich immer klüger. Wir sind auf Trockenreifen raus gegangen. Die Jungs haben trotzdem einen fantastischen Job gemacht. Ich bin gleich wieder an die Box gefahren, aber wir hatten ein sensationelles Auto für diese Bedingungen. Die Reifen waren unter diesen Verhältnissen unglaublich und das hat uns den Sieg gebracht."

Wechsel auf Regenreifen kostete nicht allzu viel

Frage: "Hast du noch daran geglaubt, dass du gewinnen kannst, als du nach dem zweiten Stopp auf Regenreifen wieder unterwegs warst?"
Schumacher: "Ja. Es waren schließlich alle im selben Boot, zumindest die vorderen Fahrer. Heinz-Harald hat sich gleich richtig entschieden, aber er war vielleicht der einzige Fahrer, bei dem das der Fall war. Die Spitzenleute sind schon vor mir an der Box gewesen, hatten also auch Trockenreifen drauf und somit dasselbe Problem wie ich. Dadurch war ich nicht allzu weit hinten und mir war klar, dass das aufzuholen ist, denn ich wusste, dass unsere Regenreifen besser sein würden als die der Konkurrenz."

Frage: "Was ist gestern im Qualifying schief gelaufen, wenn du im Nachhinein noch einmal darüber nachdenkst?"
Schumacher: "Ich denke, wir hatten einfach nur Pech, wenn ich ehrlich sein soll. Nach der Session haben wir die Daten analysiert und wir hatten Probleme in der ersten und zweiten Kurve. Wir sind draufgekommen, dass just zu dem Zeitpunkt eine starke Windbö aufgekommen ist. Das hat ein paar Zehntel gekostet. Ich wusste das. Daher habe ich versucht, auf dem Rest der Runde die Zeit wieder aufzuholen. Dabei habe ich vielleicht ein bisschen zu sehr gepusht. Es hat nicht geklappt, es war einfach einer dieser unglücklichen Tage, an dem nicht alles wie geplant läuft. Offensichtlich haben wir aber sehr gut an unserer Startautomatik gearbeitet und ich konnte gleich am Start mehrere Positionen aufholen, was mich zurück in den Fight brachte."

Indy für Schumacher "eine großartige Veranstaltung"

Frage: "Die Stimmung war in diesem Jahr in Indianapolis hervorragend. Vor dem Start wurde viel für dich gejubelt und auch für die anderen WM-Aspiranten. Sprich ein bisschen über Indianapolis 2003 und deine Gedanken vor dem WM-Finale in zwei Wochen in Suzuka!"
Schumacher: "Ja, ich finde, es war eine großartige Veranstaltung hier. Die Atmosphäre war außergewöhnlich, vielleicht eine der besten in diesem Jahr. Die zwei oder drei Grüppchen ? die Fans von Ferrari, Williams und McLaren und den jeweiligen Fahrern ? haben sich eine Menge Lärm gemacht und sich gegenseitig angestachelt, wer am lautesten ist. Es war das ganze Wochenende über großartig. Schon am Donnerstag sind so viele Fans zum Gang durch die Boxengasse gekommen, um die Autos aus der Nähe zu sehen. Das hat uns alle ein bisschen überrascht und verglichen mit den ersten Jahren hier wird die Stimmung immer besser. Das haben wahrscheinlich auch alle erwartet. Umso mehr freut es uns, dass wir den Fans heute eine fabelhafte Show bieten konnten."

Frage: "Kimi kann dich in Suzuka noch abfangen, aber das ist fast nur noch eine mathematische Chance..."
Schumacher: "Das ist natürlich eine sehr gute Ausgangsposition für uns vor dem letzten Rennen. Wir brauchen nur einen Punkt, aber man weiß ja nie. Ich meine, zuerst einmal müssen wir überhaupt ins Ziel kommen. Das nehmen wir uns auch vor. Andererseits haben wir meiner Meinung nach ein sehr zuverlässiges Auto. Dahingehend spricht die Statistik für uns und mein Ziel ist natürlich auch noch, ein weiteres Rennen zu gewinnen."

Monza und Indianapolis zwei der schönsten Triumphe

Frage: "Das muss einer deiner schönsten Siege sein, nicht wahr?"
Schumacher: "Das stimmt. Ich meine, wenn man die Situation betrachtet, Monza war schon außergewöhnlich. Da weiß man nie, wann der nächste Sieg kommt, aber ich bin jetzt einfach nur erfreut und froh, wie die Dinge gelaufen sind. Wenn man alles sieht, auch den ganzen Druck, mit dem man zwar umgehen kann, dann ist es wunderschön, ein Resultat wie dieses einzufahren."

Frage: "Wie sehr überrascht es dich angesichts des gestrigen Qualifyings, dass du jetzt doch hier in der Mitte Platz nehmen darfst?"
Schumacher: "Es hat mich zumindest nicht komplett überraschend getroffen, auf dem Podium zu sein, denn ich wusste, dass ich von meiner Position aus in der Lage sein würde, ein paar Plätze aufzuholen. Ich fühlte, dass ich im Rennen stark sein würde. Nein, es kam nicht überraschend. Es ging hauptsächlich darum, ob ich vor oder hinter Montoya landen würde. Ich dachte, dass ich Kimi nur schwer kriegen würde, aber darüber habe ich mir angesichts der Punktesituation weniger den Kopf zerbrochen."

Frage: "Wie genau hast du verfolgt, was mit deinen Rivalen los war?"
Schumacher: "Ich wurde per Funk permanent auf dem Laufenden gehalten, habe mich erkundigt, wie es steht, welche Pace notwendig ist."

"Bridgestone hat das Rennen für uns gewonnen"

Frage: "Stimmst du zu, wenn ich sage, dass die Reifen heute der entscheidende Faktor waren?"
Schumacher: "Ja, dem kann ich ziemlich zustimmen. Bridgestone hat in diesem Jahr jede Menge Kritik einstecken müssen, aber umso mehr werden sie nach dieser Performance einen Schub verspüren. Es macht mich wirklich glücklich, denn wir hatten diesen Joker schon so lange im Ärmel, konnten ihn aber nie ausspielen. Heute haben wir zum ersten Mal unsere Regenreifen verwendet und sie haben das Rennen für uns gewonnen."

Frage: "In der siebenten Runde bist du plötzlich zurückgefallen. Was war da los?"
Schumacher: "Da hat es zu regnen begonnen und bei diesen Bedingungen waren wir mit unseren Trockenreifen schlechter dran als die Michelin-Trockenreifen. In den High-Speed-Passagen waren sie einfach viel schneller und dabei wurde ich überholt."

Frage: "Als dein Teamkollege ausgeschieden ist, hast du einmal bei gelben Flaggen überholt. Wie hast du diese Situation gesehen?"
Schumacher: "Ich weiß, dass ich Panis überholt habe, aber lange vor der Stelle mit den gelben Flaggen. Ich weiß genau, wo die gelben Flaggen angefangen haben. Bis dahin war das Manöver abgeschlossen. Ich hatte die Nase vorne, das war kein Problem. Ich konnte auch rechtzeitig bremsen, für die Unfallstelle war es sicher genug."

Timing der Boxenstopps im Regen auch Glückssache

Frage: "Die Bedingungen haben sich heute fast im Minutentakt verändert. Wie schwierig war es, unter solchen Umständen den richtigen Zeitpunkt für die Boxenstopps zu finden?"
Schumacher: "Das ist ehrlich gesagt eine Gratwanderung. Du kannst damit richtig oder falsch liegen. Als es zum ersten Mal kurz geregnet hat, sind auch schon ein paar Jungs rein gekommen, Panis zum Beispiel, glaube ich. Es hätte nur ein bisschen Extra-Regen gebraucht und diese Taktik wäre aufgegangen, aber so war es eine Fehlentscheidung. Als wir zum ersten Boxenstopp kommen mussten, dachten wir, es sei wieder nur so ein kurzer Schauer. Da wollte ich keine Regenreifen, denn sonst wären wir nachher im Trockenen mit den falschen Reifen draußen gewesen. Also haben wir Trockenreifen genommen. Das war die falsche Entscheidung, aber zu dem Zeitpunkt hatten schon alle vorderen Fahrer dieselbe Entscheidung getroffen, also haben wir dadurch nicht allzu viel verloren. Mit der Performance unserer Regenreifen konnte ich dieses Defizit locker aufholen."

Frage: "Wie feierst du nach einem Tag wie heute?"
Schumacher: "Naja, es war nichts vorbereitet, also werden wir uns überraschen lassen. Sicher werden wir etwas trinken gehen, ein bisschen gemeinsam feiern. Gleichzeitig müssen wir uns aber auch für das nächste Rennen in Suzuka vorbereiten. Die Mechaniker packen schon zusammen. Sie haben einen Job zu tun. Es ist ein bisschen schade, dass wir nicht einfach einen netten Sonntagabend zusammen verbringen können, dass wir nicht einfach alles bis Montag liegen lassen können. Das erlaubt der Zeitplan einfach nicht, denn am Dienstag geht es schon wieder mit Testfahrten weiter. Deswegen ist nur eine kleine Party drin."

Testen als "Hausmittel" gegen den Jetlag

Frage: "Tests ab Dienstag in Europa ? wie kommst du da über den Jetlag?"
Schumacher: "Am besten übersteht man den Jetlag durch das Testen, durch Konzentration im Auto, denn dann bist du am Abend so müde, dass du durchschläfst. Ich werde aber nicht vor Mittwoch beginnen, schätze ich, also kann ich mich ein wenig ausruhen."

Frage: "Hast du heute mehr Gegenwehr von Montoya erwartet? Und hast du mitbekommen, was zwischen ihm und Rubens vorgefallen ist?"
Schumacher: "Nein, ich habe klarerweise kein Fernsehgerät im Auto. Die Bedingungen waren heute einfach so, dass wir keinen großen Kampf austragen konnten. In der neunten und zehnten Kurve hatten wir einmal eine kleine Auseinandersetzung, aber da war ich so langsam, dass ich ihm fast reingerutscht wäre. Ich war zu dem Zeitpunkt kein ernsthafter Gegner für ihn, er konnte ganz locker an mir vorbeigehen. Dann habe ich ihn überrundet, aber dabei hat er sehr fair Platz gemacht. Heute war einfach kein Tag mit einem Duell von uns."

Frage: "Deine Karriere ist sozusagen gepflastert mit lauter Meilensteinen, aber wo stufst du ein, der erste zweifache Indianapolis-Sieger zu sein?"
Schumacher: "Ich habe vorhin schon gesagt, dass Monza einer der besten Tage meines Lebens war. Das gilt auch für heute. Das ist so ein wichtiger Moment, so ein wichtiger Sieg mit so vielen ungewöhnlichen Dingen, die im Rennen passiert sind. Es gab 1000 Möglichkeiten, irgendwo in einen Fehler zu schlittern, aber wenn du so ein Rennen gewinnst, ist es natürlich ein tolles Gefühl. An Indianapolis hatte ich schon immer schöne Erinnerungen und jetzt ist noch eine dazugekommen."

Schrecksekunde: "Keine Ahnung, was da in David gefahren ist"

Frage: "Dein linker Seitenkasten ist voll mit Reifenspuren. Wie ist es dazu gekommen?"
Schumacher: "Ich hatte einen kleinen Zwischenfall mit David, als ich schon innen war. Eigentlich hatte ich ihn schon überholt, aber dann hat er die Tür zugemacht. Dabei haben wir uns berührt. Es war sehr knapp. Dabei hätte ich leicht meine Nase verlieren können. Keine Ahnung, was da in ihn gefahren ist. Wenn man normalerweise so weit innen ist, braucht man eh nur noch wenig Raum zum Überleben, aber er hat mich nach innen gedrückt. Ich berührte den Randstein, hatte keine andere Wahl. Naja, so ist das eben."

Frage: "Hat man dich informiert, als du zwischendurch quasi schon Weltmeister warst?"
Schumacher: "Solche Fragen kümmern mich nicht wirklich, denn es zählt nur das Endergebnis. Die echte Situation ist die beim Fallen der Zielflagge."

Frage: "Natürlich haben die Reifen heute eine Rolle gespielt, aber woher nimmst du bei Regen als Fahrer das Vertrauen, so schnell in die Kurven zu fahren und alles auf eine Karte zu setzen?"
Schumacher: "Naja, das ist einfach eine Fähigkeit, die wir alle haben. Wir alle gehen ans Limit unserer jeweiligen Umstände. Jeder Fahrer, jedes Auto, jede Bedingung hat ihr eigenes Limit. Danach suchen wir und für gewöhnlich finden wir es auch."

Schumacher über die Kunst des Rennfahrens im Regen

Frage: "Wie schwierig ist das?"
Schumacher: "Es ist schwierig zu finden, ja, denn solche Bedingungen sind ziemlich trickreich. Es ist eine Gratwanderung. Man hat bis zu einem gewissen Moment Grip, der dann aber ganz rapide nachlässt. Die Slicks sind da verzeihender. Natürlich hängt es immer von der Situation ab, denn in der Steilkurve ist es zum Beispiel besonders tückisch."

Frage: "Wie oft trainierst du im Regen? Machst du so etwas überhaupt?"
Schumacher: "Von Zeit zu Zeit tun wir das. An das letzte Mal kann ich mich nicht mehr erinnern außer eben am Freitag und Samstag hier, als es geregnet hat. Davor muss es schon ein Weilchen her sein. Manchmal fahre ich aber mit dem Kart im Nassen, das hilft."

Frage: "Was ist dran an den Gerüchten, dass du deine Karriere im Falle eines sechsten Titels beenden wirst?"
Schumacher: "Nichts."

Folgen Sie uns!