Das große Interview mit Paul Stoddart - Teil eins

Der Minardi-Teamchef im 'F1Total.com'-Interview über seine sportlichen Perspektiven für 2005, den Formel-1-Streit und die FIA-Präsidentschaft

(Motorsport-Total.com) - Im Januar 2001 hat der Airliner und Motorsportenthusiast Paul Stoddart das Minardi-Team gekauft. Aus seinem großen Ziel, den Rennstall innerhalb von drei Jahren an das Mittelfeld heranzuführen, ist nichts geworden, immerhin erarbeitete er sich aber den Ruf des bemerkenswertesten Überlebenskünstlers der Formel 1.

Titel-Bild zur News: Paul Stoddart

Selten ohne Zigarette zu sehen: Paul Stoddart ist leidenschaftlicher Raucher

Wenige Tage vor Beginn der neuen WM-Saison in seiner australischen Heimat nahm sich der 49-Jährige Zeit für ein höchst aufschlussreiches und interessantes Interview mit 'F1Total.com', welches wir unseren Lesern heute und morgen in zwei Teilen präsentieren. Im ersten Teil des Gesprächs sind vor allem die sportlichen Aussichten des Minardi-Teams ein Thema, aber auch Stoddarts neue Rolle als Sprachrohr der Teams und seine nicht vorhandenen Ambitionen auf die FIA-Präsidentschaft.#w1#

"Am liebsten wäre mir, dass Mark das Rennen gewinnt"

Frage: "Paul, es ist schon eine Weile her, dass Mark Webber 2002 in Australien Fünfter geworden ist. Siehst du eine Chance, dass das wieder passieren könnte?"
Paul Stoddart: "Ich glaube sogar, dass mehr möglich ist. Am liebsten wäre mir, dass Mark das Rennen gewinnt. Natürlich ist das eine Wette mit schlechten Gewinnaussichten, denn man muss davon ausgehen, dass Michael (Schumacher; Anm. d. Red.) nächsten Sonntag gewinnen wird, aber es wäre ein fantastisches Resultat für Mark und ein fantastisches Resultat für Australien."

Frage: "Um ehrlich zu sein, wollte ich eher auf die Chancen von Minardi eingehen..."
Stoddart: "Minardi? Ich glaube, wir kommen mit einer starken Fahrerpaarung nach Australien, sicher der besten seit Mark. Christian (Albers; Anm. d. Red.) und Patrick (Friesacher; Anm. d. Red.) müssen den Start in Melbourne heil überstehen und dann können wir nur hoffen, dass die Autos zuverlässig sind, was wir eigentlich erwarten, denn es ist schließlich das letztjährige Auto. Eine Chance ist da."

Frage: "Du hast angesprochen, dass es noch kein neues Auto ist. Wie genau setzt sich euer Paket bei den ersten Saisonrennen zusammen?"
Stoddart: "Es ist ein 2004er-Chassis mit einigen Updates, um die 2005er-Sicherheitsbestimmungen zu erfüllen, und es ist ein 2004er-Motor. Oberflächlich betrachtet sind diese Komponenten stärker als das 2005er-Paket. So fahren wir in den ersten drei Rennen. Dann kommt das neue Auto."

Neuer Cosworth-Motor laut Stoddart "beeindruckend"

Frage: "Man hört, dass der neue Cosworth-Motor ein inspirierendes Stück Ingenieurskunst mit viel Power sein soll. Stimmt das?"
Stoddart: "Ich glaube, es ist ein fantastischer Motor. Ich habe die Zahlen gesehen und die sind beeindruckend. Meiner Meinung nach könnte uns der Zuwachs an PS-Leistung jene Zeit zurückholen, die wir durch die Beschneidung der Aerodynamik verloren haben."

Frage: "Ferrari blockiert angeblich euren Start in Australien, weil ihr mit dem 2004er-Paket antreten wollt. Worum geht es da und ist dieses Thema schon vom Tisch?"
Stoddart: "Es ist noch nicht vom Tisch. Neun von zehn Teams haben gesagt, dass wir das machen können, aber Ferrari hat noch nicht unterschrieben. Der Fairness halber muss ich sagen, dass ich Todt erst einmal gefragt habe, nämlich beim Grand Prix von Japan letztes Jahr. Er hat abgelehnt, aber es kann gut sein, dass er es sich inzwischen anders überlegt hat. Ich werde ihn am Dienstag oder Mittwoch darauf ansprechen. Hoffentlich stimmt er zu, denn es wünscht sich wirklich niemand Schwierigkeiten beim Grand Prix in Melbourne."

"In aller Bescheidenheit sind wir zuversichtlich"

Frage: "Ab Imola kommt dann wie gesagt das neue Auto. Du hast einmal gesagt, es wird ganz anders sein als alle anderen Autos. Wie anders?"
Stoddart: "Aerodynamisch ist es ein ganz neues Auto und das wird man auch sehen, und der Motor ist wie gesagt auch neu. Es ist schon eine Weile her, dass wir ein ganz neues Auto hatten. Wir hoffen auf gute Resultate damit, obwohl wir natürlich nicht abheben dürfen. In aller Bescheidenheit sind wir zuversichtlich."

Frage: "Du hast dieses Jahr Christijan Albers und Patrick Friesacher unter Vertrag genommen. Glaubst du, dass einer von ihnen in den Fußstapfen von Fernando Alonso oder Mark Webber folgen kann?"
Stoddart: "Ich denke, dass beide das drauf haben. Natürlich wird sich am Ende einer durchsetzen, aber im Moment ist noch kaum abzusehen, wer das sein könnte. Patrick hat bewiesen, dass er in der Formel 3000 Rennen gewinnen kann - und das ist eine der schwierigsten Meisterschaften der Welt. Christijan ist in den letzten Jahren viel reifer geworden, denn wir haben ihn schon im Jahr 2000 kennen gelernt, damals als regierenden Meister der Deutschen Formel 3, aber durch seine Zeit bei Mercedes in der DTM hat er viel an Erfahrung hinzugewonnen. Bei den Tests hat er jedenfalls gezeigt, dass er einen guten Job machen kann."

Frage: "Eigentlich hätte Nicolas Kiesa einen Vertrag bekommen sollen, das ist aber wegen fehlender Sponsorengelder nichts geworden. Was ist da passiert?"
Stoddart: "Naja, es war immer eine Auswahl, zu der Nicolas ebenso gehört hat wie Zsolt Baumgartner und eben Patrick Friesacher. Sie alle hatten dieselben Voraussetzungen, was das Sponsoring angeht, und der, der als Erster mit dem Geld aufgekreuzt ist, hat das Cockpit bekommen. Das war Patrick."

Unnötiger Ärger um Friesachers Superlizenz

Frage: "Es hat Verwirrung um Patricks Superlizenz gegeben, was mich etwas irritiert, denn er sollte sich normalerweise aufgrund seiner Ergebnisse in Nachwuchsformel automatisch dafür qualifizieren. Warum also diese Spekulationen in den britischen Medien?"
Stoddart: "Was meine Sichtweise angeht, war das nie eine Verwirrung, sondern einfach ein Ausspielen der Politik, die es in der Formel 1 gibt. Wie du richtig gesagt hast, ist Patrick automatisch für eine Superlizenz qualifiziert. Leider gibt es aber eine Menge Politik in der Formel 1. Das ist ein sehr gutes Beispiel dafür."

Frage: "Ein kleines Team wie Minardi muss eine Partnerschaft mit einem Automobilhersteller anstreben, um nach vorne kommen zu können. In den letzten Jahren hat es immer wieder Übernahmeangebote gegeben, die sich aber allesamt zerschlagen haben. Hattest du in letzter Zeit interessante Anrufe?"
Stoddart: "In letzter Zeit eigentlich nicht. Aber es gibt eine Gruppe von fünf Herstellern, die sich vor zwei Wochen mit den Teams getroffen haben. Dabei haben sie deutlich gemacht, dass sie in Zukunft die unabhängigen Teams stärker unterstützen wollen. Ich persönlich hoffe, dass wir all diese Probleme aus der Welt schaffen können, bevor sie eine unaufhaltsame Eigendynamik entwickeln. Wenn ich sage, dass es eine Katastrophe für die Formel 1 wäre, zwei Grand-Prix-Serien auszutragen, dann würde das jeder unterschreiben, aber es gibt im Moment so viele Probleme, die nach Lösungen schreien. Im Moment gibt es diese Lösungen nicht. Sollte sich daran nichts ändern, wird es mit Sicherheit eine eigene Rennserie der Hersteller geben, die von den Herstellern geführt wird und in der die Hersteller mit ihren Teams und die unabhängigen Teams antreten werden."

Stoddart ist neuerdings ein Sprachrohr für die neun Teams

Frage: "In den letzten Wochen bist du mehr und mehr in eine Repräsentantenrolle für die neun Teams ohne Ferrari hineingewachsen. Täuscht dieser Eindruck oder kannst du das so bestätigen?"
Stoddart: "Wahrscheinlich schon, ja. Das hat schon letztes Jahr in Brasilien angefangen und jetzt bin ich so etwas wie ein Sprachrohr für diese Teams. Ich sage einfach das, was sich alle anderen Teams auch denken, denn irgendjemand muss es ja sagen. Was wir sagen, glauben wir auch. Wir hatten neun Teams und Bernie (Ecclestone; Anm. d. Red.), die sich Einheitsreifen gewünscht haben, wir haben neun Teams, die ein Testlimit ausgearbeitet haben - wenn auch ohne Ferrari, die sich uns nicht anschließen wollen -, und dieselben neun Teams waren beim Meeting der Hersteller. Was wir wollen, ist eine gute Führung des Sports mit guten Regeln. Wir hoffen, dass sich Ferrari und die FIA uns anschließen werden. Das ist allein ihre Entscheidung."

Frage: "Frank Williams hat vorige Woche gesagt, dass die Atmosphäre in der Formel 1 stinkt. Der Unmut gegenüber Max Mosley wächst. Was ist deine Meinung zu der Art und Weise, wie Max den Sport im Moment regiert?"
Stoddart: "Frank hat absolut Recht. Er ist viel erfahrener als ich, aber ich kann dir sagen, dass es in den paar Jahren, in denen ich nun schon in der Formel 1 bin, noch nie so schlimm war. Ich bin seit zehn Jahren dabei, die letzten fünf als Teamchef. Es stand wirklich noch nie so schlecht. Es muss doch Lösungen geben! Wenn wir noch viel länger so weitermachen, läuft es auf eine Lösung hinaus: Es würde zwei Meisterschaften geben, aber das ist nicht gut für den Sport."

Die FIA und Ferrari blockieren laut Stoddart eine Einigung

Frage: "Ist es deiner Meinung nach so, dass Max und die FIA Versuche, die Formel 1 wieder zu vereinen, blockieren?"
Stoddart: "Ja, absolut. Und Ferrari."

Frage: "Du hast mit Max eine Zeit lang einen öffentlichen Briefwechsel ausgetragen, bis er das beendet hat. Stört es dich, dass dieser Dialog einfach eingestellt worden ist?"
Stoddart: "Ich finde, dass Max in all den Jahren so viel für die Formel 1 getan hat, aber es wäre unglaublich traurig, unglaublich traurig, wenn die Geschichte zeigen sollte, dass es zu lange so gegangen ist und irgendwann in Tränen enden muss. Ich war immer einer jener Teamchefs, die sich zu seinen größten Unterstützern gezählt haben, aber nicht einmal ich kann verstehen, was sich in den letzten zwölf Monaten abgespielt hat. Es tut dem Sport einfach nicht gut, wenn es so weitergeht."

Keine ernsthaften Ambitionen auf die FIA-Präsidentschaft

Frage: "Kannst du dir vorstellen, ihn zu beerben?"
Stoddart: "Nein, nein. Präsident der FIA ist eine Riesenentscheidung, vor allem mit ihrer Struktur, die ja so viel mehr beinhaltet als nur die Formel 1. Sicher, die Formel 1 ist die wichtigste Motorsportserie, aber die FIA besteht auch aus vielen Kommissionen. Seit sie vor ein paar Jahren 300 Millionen Dollar von der Formel 1 bekommen hat, ist die FIA als Institution gewachsen. Wer auch immer Max nachfolgen mag, ich kann mir nicht vorstellen, dass es nur eine Person sein kann. Wenn man jetzt aber nur über die Formel 1 spricht, dann kann man derzeit beim besten Willen nicht sagen, dass wir gut mit unserem Präsidenten auskommen."

Im zweiten Teil des Interviews - nachzulesen morgen auf 'F1Total.com' - lässt Stoddart seinem Ärger über Ferrari freien Lauf. Außerdem spricht er über die geplante Konkurrenzserie der Automobilhersteller und er verrät, wer seiner Meinung nach 2005 Formel-1-Weltmeister wird.