Das große Interview mit Patrick Head - Teil eins

Der Teilhaber von WilliamsF1 über Verbesserungen für den FW27, das Reifenreglement, Nick Heidfeld und mehr im 'F1Total.com'-Interview

(Motorsport-Total.com) - Mit drei Podestplätzen und insgesamt 22 WM-Punkten war das BMW WilliamsF1 Team auf dem Papier der erfolgreichste Rennstall der vergangenen beiden Rennen in Monte Carlo und am Nürburgring. Nach dem schwierigen Saisonstart ist damit endlich ein klarer Aufwärtstrend erkennbar, wenn auch noch ein paar Zehntelsekunden fehlen, um auch vom Speed her zu McLaren-Mercedes und Renault aufschließen zu können.

Titel-Bild zur News: Patrick Head

Patrick Head ist seit mehr als 30 Jahren fester Bestandteil der Formel-1-WM

Im exklusiven Interview mit 'F1Total.com' spricht Patrick Head, 30-Prozent-Teilhaber von WilliamsF1, über die jüngsten Fortschritte, und er kündigt weitere für die nahe Zukunft an. Außerdem erläutert der 58-Jährige seinen Standpunkt in der seit dem Räikkönen-Crash in der Eifel brandheißen Diskussion um das Reifenreglement, und er bestreitet, dass Nick Heidfeld vor Saisonbeginn nur auf Druck von BMW verpflichtet worden ist.#w1#

"Haben es nicht geschafft, gute Rennen hinzubekommen"

Frage: "Herr Head, Ihr Team hat sich in den letzten Wochen stetig verbessert. Kommen diese Verbesserungen eher von der Aerodynamik- oder der Motorenseite?"
Patrick Head: "Von der aerodynamischen Weiterentwicklung des Autos. In Wahrheit wurde die Leistung des Autos mit jedem Rennen besser, aber aus verschiedenen Gründen haben wir es nicht geschafft, gute Rennen hinzubekommen, zum Beispiel in Imola und Barcelona. Das hängt zum Teil mit dem immer noch vorhandenen Problem der nicht allzu guten Starts zusammen. Dadurch liegen in den Rennen dann möglicherweise langsamere Autos vor uns."

Frage: "Obwohl die Grands Prix in Monaco und Europa sehr starke Resultate für Ihr Team hervorbrachten, stehen Sie noch nicht da, wo Sie gerne stehen würden..."
Head: "Nein. Der McLaren ist offensichtlich das dominierende Auto, auch der Renault ist noch stark."

Frage: "Wo stehen Sie im Vergleich zu diesen beiden Teams? Und ist es möglich, den Rückstand während der laufenden Saison aufzuholen?"
Head: "Ja, ich denke, es ist möglich. Natürlich wissen wir nichts über die Weiterentwicklung bei den anderen Teams, aber wir kennen unseren eigenen Entwicklungsplan. Wir erwarten, dass wir uns im Verlauf der Saison verbessern werden."

Keine neue Ausbaustufe der Aerodynamik für Kanada

Frage: "Man hört, dass für Kanada mehrere neue Teile kommen sollen. Können Sie das näher erläutern? Wie groß könnte die daraus resultierende Verbesserung ausfallen?"
Head: "Ich weiß nicht, wo Sie das gehört haben. Wir haben natürlich neue Teile für Kanada, aber wir sehen diese eher als Modifikationen des Autos als Anpassung an diese spezifische Strecke, weniger als großes Upgrade."

Frage: "Kimi Räikkönen ist am Nürburgring in der letzten Runde infolge eines Reifenproblems abgeflogen. Es war zumindest vom Potenzial her eine sehr gefährliche Situation. Seither wird viel über das neue Reifenreglement diskutiert. Wie ist Ihr Standpunkt?"
Head: "Offensichtlich war das eine schwierige Entscheidung für McLaren. Die Regeln sind für den Fall eines Bremsplattens nicht wirklich klar. Vielleicht wird das die FIA klarstellen. Ich bezweifle, dass die FIA Autos, die ziemlich eindeutig in einem gefährlichen Zustand sind, auf der Strecke fahren sehen will. Man konnte anhand der Cockpitkameras erkennen, dass dieser Reifen in einem gefährlichen Zustand war."

Head für eine Klarstellung der Reifenregel durch die FIA

"Gleichzeitig ist es aber auch so: Wenn die FIA sagt, dass jeder Fahrer mit einem Bremsplatten den Reifen wechseln darf, dann werden die Fahrer in der Runde vor ihrem Boxenstopp absichtlich die Räder blockieren und sich so einen Bremsplatten einhandeln. Daher kann ich mir vorstellen, dass die FIA das klarstellen wird. Auf gewisse Art und Weise ist das ja schon geschehen, denn es heißt, dass es die Entscheidung des Teams ist, einen Reifen zu wechseln, wenn er in einem gefährlichen Zustand ist. Nur kann die FIA dann nach dem Rennen entscheiden, ob das Team den Zustand des Reifens mutwillig beeinflusst hat oder nicht."

Frage: "Das alles lässt doch einen gefährlichen Spielraum für Interpretationen zu, was nicht im Interesse des Sports sein kann, oder?"
Head: "Schon, aber man könnte auch sagen, dass sich McLaren für die weichere Reifenmischung entschieden hat, obwohl sie auch eine härtere hätten wählen können. Kimi hat außerdem einen Fehler gemacht und damit seinen Reifen beschädigt. Man erwartet jedoch sicher nicht, dass die Sicherheit auf dem Spiel steht, weil ein Fahrer einen Fahrfehler gemacht hat. Man kann darüber streiten. Die FIA wird sicher sagen, dass das Team immer die Option hatte, das Auto hereinzuholen und einen neuen Reifen zu montieren. Die FIA würde in so einem Fall nach dem Rennen entscheiden, ob das Team aus diesem Reifenwechsel einen Vorteil gezogen hätte oder nicht."

Neue Regel produziert laut Head spannendere Rennen

Frage: "Würden Sie, wenn Sie die Wahl hätten, zum Reifenreglement von vergangener Saison zurückkehren? Denn damals war wenigstens alles geradlinig formuliert und es gab keine Grauzonen..."
Head: "Wir haben bevorzugt, die Reifen bei den Boxenstopps wechseln zu dürfen, aber das würde inzwischen viel ändern, denn dann könnte man wieder weichere Reifenmischungen verwenden. Dadurch wären die Geschwindigkeiten im Rennen wieder höher. Es stimmt auch, dass der gute Rennsport, den wir zuletzt gesehen haben, zum Teil dadurch entstanden ist, dass manche Autos besser mit ihren Reifen umgehen als andere. Das ist also eine schwierige Frage, aber ich bin sicher, dass sich die FIA genau damit befassen wird. Die FIA möchte bestimmt nicht in eine Situation kommen, in der man ihr vorwerfen muss, dass sie die Gesundheit der Fahrer riskiert."

Frage: "Einer der wenigen Fahrer ohne Fehler am Nürburgring war Nick Heidfeld. Er hat in den letzten beiden Rennen 16 Punkte geholt. Es gilt ja nicht unbedingt als Geheimnis, dass Sie und Frank Williams ursprünglich von ihm nicht so angetan waren, aber sind Sie im Nachhinein froh, ihn verpflichtet zu haben?"
Head: "Ich denke nicht, dass das der Fall war. Am Ende der letzten Saison haben wir uns darüber unterhalten, ob wir einen anderen Fahrer mit Antonio (Pizzonia; Anm. d. Red.) vergleichen würden. Wir haben uns entschieden, dass Nick Heidfeld einen Versuch wert wäre. BMW hat dieser Entscheidung zugestimmt, aber sie haben uns das nicht als Vorschlag unterbreitet. Wir haben dann entschieden, dass Nick Heidfeld das Cockpit bekommen sollte, nicht Antonio - vor allem aufgrund seiner Erfahrung und Coolness."

Heidfeld cooler und abgeklärter als Pizzonia

"Der Speed der beiden auf eine schnelle Runde und auf Long-Runs gesehen war sehr ähnlich. Bei einem Test war Nick um ein paar Sekundenbruchteile besser, beim nächsten Antonio. Man konnte da keine klare Linie erkennen. Wir haben uns aber für Nick entschieden, weil er mehr Erfahrung hat und weil er die abgeklärteren Entscheidungen trifft."

Frage: "Über diese Entscheidung sind Sie inzwischen sicher sehr glücklich, nicht wahr?"
Head: "Ja."

Frage: "Sie hatten zu Juan-Pablo Montoya immer ein sehr gutes Verhältnis. Sind Sie überrascht, dass er sich bei McLaren-Mercedes gegen Kimi Räikkönen so schwer tut?"
Head: "Er leidet immer noch unter einer Kombination aus zwei Dingen: Zum einen an seinem Schulterproblem, denn dadurch musste er bei seiner Rückkehr in Barcelona zu Beginn des Qualifyings auf die Strecke gehen. Das wird auch für Mark in Montreal ein Problem, weil er ja am Nürburgring als Erster ausgeschieden ist. Er muss jetzt im Qualifying am Samstagnachmittag in Montreal als Erster (eigentlich als Zweiter nach Christian Klien; Anm. d. Red.) hinausfahren."

"Werden von Juan noch gute Rennen sehen"

"Wenn man bei einem Rennen ein Problem hat - wegen eines mechanischen Defekts, eines Fahrfehlers oder weswegen auch immer -, zieht sich das über die nächsten zwei oder drei Rennen hindurch. Juan hätte sich davon wahrscheinlich inzwischen erholt, aber durch das, was die FIA im Training in Monaco als 'Brake-Test' bezeichnet hat, wurde er dort wieder ans Ende der Startaufstellung versetzt. Ich bin sicher, dass wir von Juan noch gute Rennen sehen werden. Im Freien Training am Nürburgring war er Kimi ziemlich ebenbürtig, aber seine Ausgangsposition im Qualifying hat ihm natürlich nicht geholfen."

Frage: "Ihr Team verfügt über eine reiche Tradition an großartigen Rennfahrern, zum Beispiel Nelson Piquet, Alan Jones, Nigel Mansell oder Ayrton Senna. Kann man Nick Heidfeld und Mark Webber mit irgendeiner Fahrerpaarung aus Ihrer Vergangenheit vergleichen, was ihren Charakter, ihren Fahrstil und ihre Arbeitsweise angeht?"
Head: "Nein, ich glaube nicht. Sie sind eigenständige Charaktere. Mark macht gerade eine schwierige Zeit durch. Seine Leistungen im Qualifying waren absolut fehlerlos. Auch am Nürburgring hatte er im Qualifying viel mehr Benzin an Bord als Nick - sogar mehr, als sich durch den Zeitabstand zu Nick errechnen ließe. Daher denke ich, dass er ein sehr gutes Rennen gehabt hätte. Es war natürlich sein eigener Fehler, aber durch einen neuerlichen schlechten Start geriet er in die Defensive, und dadurch bremste er vor der ersten Kurve zu spät. Aber um auf die Frage zurückzukommen: Unsere Fahrer sind eigenständige Charaktere, mit denen wir sehr gut auskommen."

Teil zwei des exklusiven Interviews mit Patrick Head kann ab Freitag auf 'F1Total.com' nachgelesen werden.