• 27.09.2010 15:15

  • von Roman Wittemeier & Dieter Rencken

D'Ambrosio: Mit Coolness zum festen Virgin-Platz?

Jérôme d'Ambrosio berichtet über seinen Freitagseinsatz für Virgin - Viel Lob vom Teamchef und gute Aussichten auf ein Renncockpit 2011

(Motorsport-Total.com) - Auf der Autofahrt von der belgischen Heimat zum Flughafen in Paris hatte Jérôme d'Ambrosio reichlich Zeit zum Nachdenken. Der 24-Jährige verspürte Vorfreude und Spannung zugleich, weil ihm Virgin den ersten Einsatz im Rahmen eines Grand-Prix-Wochenendes ermöglichen sollte. "Ich wollte mich einfach auf den Job konzentrieren, mich nicht durch Enthusiasmus oder ähnliches ablenken lassen", erklärt d'Ambrosio im Gespräch mit 'Motorsport-Total.com'.

Titel-Bild zur News: Jerome D'Ambrosio

D'Ambrosio wird auch bei den folgenden Rennwochenenden am Freitag fahren

Doch auch auf dem über zwölfstündigen Flug vom Pariser Flughafen Charles de Gaulle nach Singapur-Changi kreisten die Gedanken natürlich um die bevorstehende Aufgabe. Erst als die Air-France-Maschine in Asien gelandet war, trat der Belgier in einen Zustand absoluter Fokussierung. "Ich habe den Gedanken daran verdrängt, dass sich mit dieser Formel-1-Fahrt ein lang gehegter Traum verwirklicht."#w1#

"Am Donnerstag haben wir den Sitz angepasst und die Sitzposition ausprobiert", berichtet der Youngster von den Vorbereitungen, die viele Stunden in der Virgin-Box in Anspruch nahmen. "Als ich dann im Auto saß, war sowieso alles ausblendet. Da gab es nur noch mich und die Strecke. Ich bin überhaupt nicht überholt worden. Außer von Kubica in meiner Outlap, als ich überhaupt nicht richtig Gas gegeben habe. Ansonsten hatte ich die ganze Zeit freie Fahrt, wirklich ohne jeglichen Verkehr", sprudelt es aus dem leidenschaftlichen Fußballfan.

"Es war zu Beginn nicht einfach. Die Strecke war extrem rutschig und ich wollte auf gar keinen Fall einen Fehler machen", beschreibt d'Ambrosio seine Herangehensweise. "Ich habe nach und nach einen guten Rhythmus aufgebaut. Die letzten zwei oder drei Runden habe ich so richtig genossen. Da habe ich etwas mehr Druck gemacht und das hat mir gut gefallen." Mit seiner Rundenzeit von 1:59.275 Minuten war er bei schwierigen Bedingungen nur knapp hinter Stammpilot Timo Glock.

"Manche Leute nehmen das vielleicht nicht so wahr, aber der Unterschied zur GP2 ist schon gewaltig. Der Motor ist besser, das Getriebe ebenso, es gibt mehr Abtrieb - ein Formel-1-Auto ist in allen Belangen besser", erklärt der Belgier seine Gefühle. "Man hat einfach mehr Grip. Es ist schwierig zu erkennen, woher das kommt. Also ob es der Abtrieb ist, oder die Mechanik, oder eben die Reifen. Es ist eben das Paket insgesamt."


Fotos: Virgin, Großer Preis von Singapur


"Ich hatte sofort das Gefühl, in einem echten Formel-1-Auto zu sitzen. Es läuft alles viel weicher ab", lobt d'Ambrosio den Virgin-Cosworth VR-01, von dem Ferrari-Präsident Luca di Montezemolo mal behauptet hatte, er sei eher ein GP2-Auto als ein echter Formel-1-Bolide. "Man müsste das mal genau austesten, damit man genau erklären kann, woher ein Formel-1-Auto so viel mehr Haftung aufbaut. In engen Kurven hast du auf jeden Fall deutlich mehr Grip. Die Traktion war beeindruckend."

D'Ambrosio wird durch seine Freitagsfahrten in Singapur, Japan, Südkorea, Brasilien und Abu Dhabi auf ein mögliches festes Engagement 2011 vorbereitet. Solche Einsätze sind in Zeiten des Testverbots die einzige Chance für einen Rookie, während der laufenden Saison Kilometer in einem aktuellen Boliden abspulen zu können. Immerhin durfte d'Ambrosio zuletzt mehrfach Demofahrten in Renault-Boliden älteren Jahrgangs durchführen.

"Natürlich ist es einfacher, wenn du vorab schon mal die Grenzen des Autos kennenlernen darfst - viel einfacher sogar. Aber letztlich ist die Situation für alle Rookies gleich", sagt der 24-Jährige. Man könne die heutigen Zeiten nicht mit jenen vergleichen, als Jacques Villeneuve beispielsweise rund 7.000 Kilometer vor seinem ersten Grand Prix im Cockpit testen durfte.

"Ich beschäftige mich nicht damit, dass ich vielleicht gerne mehr Tests hätte. Das macht keinen Sinn", schätzt der Virgin-Neuling realistisch ein. "Mein Leben ist, wie es ist. Man muss dann eben die Chancen nutzen, die sich bieten. Man muss beim Testen im Simulator möglichst jede Information ins sich aufsaugen - egal, woher sie kommt. All das reichert deine Erfahrung an."

¿pbvin|512|3136||0|1pb¿"Man muss sich heutzutage im Vorfeld bestmöglich vorbereiten. Ich kannte die Strecke beispielsweise nicht. Also habe ich mir viele Onboardaufnahmen aus dem Vorjahr angeschaut", sagt d'Ambrosio. "Damals sind sie 1:49er-Runden gefahren - nicht weit weg von dem, was wir in diesem Jahr geschafft haben. Dadurch gab es wichtige Referenzpunkte und ich lernte die Strecke kennen."

"Ich bin beeindruckt", sagt Teamchef John Booth, der noch im Rahmen des Grand Prix in Monza nichts von einem Einsatz des Belgiers wissen wollte. "Er hat das gut gemacht. Immerhin gab es viel Druck. Es waren zwei oder drei Kameras auf ihn gerichtet, als er in den Wagen kletterte. Die Streckenbedingungen waren schwierig, der Kurs selbst auch nicht einfach. Es gab also viele Chancen, etwas falsch zu machen. Aber er war beeindruckend locker und hat das gut gemacht."

Das Lob des Virgin-Teamchefs ist auch strategischer Natur. D'Ambrosio gilt als Kandidat für die mögliche Nachfolge von Lucas di Grassi. Voraussetzung: D'Ambrosio und sein Management müssen fünf Millionen Euro zusammenbekommen. Nach Informationen von 'Motorsport-Total.com' hat der Youngster für 2011 bereits Sponsorenzusagen im Umfang von drei Millionen Euro, zwei Millionen fehlen demnach noch, um sich den Platz bei Virgin zu sichern.

John Booth wollte noch vor wenigen Tagen nicht viel vom Belgier wissen Zoom

"Ich kenne ihn schon lange, weil wir vor langer Zeit in der Renault-World-Series zusammengearbeitet haben", erklärt Booth. Die Freitagsfahrten des 24-Jährigen hätten nichts mit Geld zu tun. Auch nicht mit einem möglichen Renault-Motorendeal für 2011, der gerüchteweise in der Luft liegt. "Nein", wehrt der Brite ab. "Seinen Einsatz haben wir ihm aufgrund seiner zuletzt guten Leistungen ermöglicht. Er hätte alle vier der letzten GP2-Rennen gewinnen können."

Der Belgier kam kurfristig zu den Briten, nachdem sich Andy Soucek verabschiedet hatte. Man brauchte einen potenziellen Reservefahrer mit Superlizenz - die er allerdings bis zum Start ins Singapur-Wochenende gar nicht hatte. Nun ist aber die Bahn frei für weitere Formel-1-Abenteuer. Der Belgier wird auch in Suzuka im ersten Training fahren dürfen. "Dann werde ich auch ganz genau spüren können, wie gut die Bremsen wirklich sind", freut sich der Youngster.

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