• 23.10.2004 16:32

Brawn: "Wir stimmen den Regeln zu"

Ferraris Technischer Direktor Ross Brawn über das neue Regelwerk der FIA, das Wochenende in Brasilien und die Saison 2004

(Motorsport-Total.com) - Frage: "Das Reglement für die Jahre 2005/2006 wurde nun festgeschrieben. Dabei gab es keine großen Überraschungen, aber die umstrittenen Motorenregeln wurden bestätigt. Die Motoren müssen im kommenden Jahr zwei Rennen halten, ab 2006 gibt es 2,4-Liter-V8-Triebwerke. Deine Meinung zu diesen Regeln?"
Ross Brawn: "Ich denke, dass wir alle darin übereinstimmen, dass die Autos periodisch verlangsamt werden müssen. Wir alle arbeiten hart, um sie so schnell zu machen, wie wir können, aber dann geht einem auf den Kursen der Platz aus, daher ist es notwendig, die Autos wieder langsamer zu machen. Von daher sind diese Regeln ein Start dieses Prozesses. Ich denke, dass wir die Formel 1 2008 mit einem weißen Blatt Papier beginnen werden. Bis zu diesem Zeitpunkt müssen wir nichts planen, denn da gibt es noch kein Concorde-Agreement, jedenfalls nicht in der jetzigen Form. Ähnlich sehe ich das bei den Motoren. Wir stimmen den Regeln zu, wir glauben, dass sie die Kosten senken werden und ich denke auch, dass es ein Ungleichgewicht bei den Regeln gab. Das Technische Reglement hat 40 Seiten, nur eine davon entfällt auf die Motoren. Das erscheint mir nicht vernünftig. Es wurde sich immer auf das Auto gestürzt, nun sind die Motoren dran."#w1#

Titel-Bild zur News: Ross Brawn

Ross Brawn ist überzeugt, dass die Formel 1 preiswerter werden wird

Frage: "Das Qualifying und Rennen darf mit nur einem Reifensatz gefahren werden, führt das nicht zu noch mehr Testfahrten? Man müsste dann ja 300 oder 400 Kilometer fahren, um die Reifen zu verstehen."
Brawn: "Ich denke, dass deutlich bessere Vorhersage-Methoden entwickelt werden, um zu viele Tests zu verhindern. Ich denke nicht, dass es praktikabel ist, jeden Reifensatz über 300 oder 400 Kilometer hinweg auszuprobieren. Ich denke, dass die Teams und Reifenhersteller Techniken entwickeln werden, mit denen man eine erste Einschätzung treffen kann, bevor man lediglich eine kurze Liste an Reifen auf Longruns ausprobiert. Es wird nicht notwendig sein, dass man mit jedem Reifen so viel fahren muss."

15 Prozent Abtriebsverlust werden erwartet

Frage: "Ihr seid vor kurzem bereits ein Auto nach den Regeln für 2005 gefahren. Was haben die Fahrer dabei für einen Eindruck gehabt und was habt ihr davon gelernt?"
Brawn: "Es war kein Auto für 2005, wir haben da nur etwas verändert, um die Leistungswerte zu erreichen, die wir für 2005 erwarten. Es entsprach nicht den Regeln für 2005. Wir haben genau das erlebt, was man erwartet, wenn man den Abtrieb um 15 bis 20 Prozent reduziert: weniger Grip, schwierig zu fahrendes Auto. Die Fahrer hatten am ersten Tag etwas damit zu kämpfen, aber nachdem sie ihre Referenzpunkte verlegt hatten, lief es recht gut. Wir haben das gemacht, um eine ordentliche Reifen- und Motorenentwicklung für 2005 zu haben. Von daher ist das sehr nützlich. Die Reifen befinden sich noch in einem frühen Stadium. Noch haben wir keine Mischung, die ein komplettes Rennen durchhält. Es wäre auch nutzlos, einen solchen Reifen für das jetzige Auto zu entwickeln."

Frage: "Du hast gerade einen Abtriebsverlust von 15 Prozent beschrieben. Mit welchem Wert rechnet ihr beim ersten Rennen in Melbourne?"
Brawn: "Nun, diese 15 Prozent erhoffen wir uns. Als wir ein Paket für 2005 in den Windkanal stellten, hatten wir einen Verlust von fast 30 Prozent. Da haben wir schon einiges zurückgeholt. Wir wären zufrieden, wenn wir am Ende 15 Prozent verlieren würden."

Frage: "Ihr habt in diesem Jahr so ziemlich alles erreicht, was ihr erreichen konntet. Rubens Barrichello möchte hier gewinnen, erwartet aber keine Geschenke. Aber ein Sieg würde sich in das dominante Bild in diesem Jahr gut einfügen. Wir wird es denn laufen an diesem Wochenende?"
Brawn: "Uns wollen natürlich viele stoppen, daher wird es ein herausforderndes Wochenende. Wir sind mit dem Auto und den Reifen hier zufrieden. Am Anfang lagen wir noch etwas zurück, das Auto war etwas schwierig zu fahren. Aber die Ingenieure und Fahrer haben das schnell geändert und als die Strecke sauber war, lief es ganz gut. Wir hatten gute Runden am Nachmittag mit Benzin und den Reifen für das Rennen. Es sieht so aus, als lägen Rubens und Michael eng beieinander. Rubens will seine Statistik in Brasilien unheimlich gerne aufbessern, es wäre fantastisch, wenn er das schaffen würde. Aber Michael möchte ihn daran auch hindern, ich wäre enttäuscht, wenn er das nicht versuchen würde. Es gibt keine Teamorders, sie dürfen frei fahren. Das wird ein faszinierendes Wochenende werden."

Schumacher und Barrichello dürfen frei fahren

Frage: "Ich denke, dass eure Piloten immer frei fahren durften, bis der letzte Boxenstopp absolviert war. Dann hielten sie zumeist ihre Positionen. Dürfen sie an diesem Wochenende bis zur karierten Flagge frei fahren?"
Brawn: "Wir greifen da nur ein, um die Autos zu schonen. Unsere Zuverlässigkeit ist sehr gut, das kommt nicht von ungefähr. Wir wollen nicht, dass die Fahrer ihre Autos mehr belasten als es nötig ist. Es ist wichtig, dass sie das Rennen beenden, ich denke also nicht, dass wir das beim letzten Rennen ändern werden. Aber sie können schon frei fahren."

Frage: "Durch den einzigen Reifensatz für Qualifying und Rennen werden Reifenwechsel natürlich überflüssig. Wie wird sich das auswirken? Werdet ihr größere Tanks bauen und weniger Stopps einlegen? Und was passiert, wenn ihr einen Plattfuß habt?"
Brawn: "Die Situation mit der Spritmenge wird sich nicht dramatisch ändern, denn wir müssen uns ja weiterhin mit dem Benzin für den Rennstart qualifizieren. Wenn wir da zu viel Benzin drin haben, dann wird das schwierig. Wenn man nach dem Start des Rennens ein wenig freie Bahn hat, dann kann man das auch nutzen. Sehr viel größer werden die Tanks also nicht werden. Auch die Strategien werden sich kaum dramatisch ändern. Es mag Situationen geben, wo wir wegen den Reifen auf zwei Stopps gesetzt haben, da werden dann wohl nur noch zwei eingelegt werden. Ich wäre überrascht, wenn es viele Rennen mit nur einem Stopp geben würde, selbst mit diesen Regeln, aber das kommt auch darauf an, wie sich die Situation entwickelt. Wenn man mit mehr Benzin fährt, dann belastet man nur die Reifen mehr, auf die muss man im Rennen ohnehin achten."

"Wenn es um Reifenschäden geht, dann müssen in diesem Punkt noch einige Details aussortiert werden. Wir wollen Regeln, bei denen wir genau wissen, was wir tun können. Ein Vorschlag ist, dass man den Reifen wechseln darf, allerdings muss es ein schon gebrauchter Reifen sein, also einer, der schon im Freien Training benutzt wurde. Aber nun sind die Regeln klar, jetzt können wir uns mit der FIA an einen Tisch setzen und die Details besprechen."

Frage: "Die neuen Reifenregeln könnten ja dazu führen, dass bei einigen Rennen statt einer Drei-Stopp- wieder eine Zwei-Stopp-Strategie zum Einsatz kommt. Dies steht den Bemühungen der FIA aber entgegen, die in dieser Saison extra die Geschwindigkeitsbegrenzungen in der Boxengasse angehoben haben, um mehr Boxenstopps zu provozieren."
Brawn: "Es gibt immer gute Argumente dafür und dagegen. Ich denke, einer der Gründe, warum wir keine Ein-Stopp-Rennen mehr haben, ist die Benzinmenge. Ich weiß, dass wir lange keine Feuerunfälle mehr hatten, aber die Autos sind mit so viel Benzin extrem schwer. Wenn wir da Unfälle haben, dann könnte das böse enden. Ob die Formel 1 nun mit Boxenstopps besser ist, und wie diese ablaufen sollen, ist eine schwierige Frage. Was an nur einem Reifensatz im Rennen interessant werden könnte, ist, dass der Fahrer nun genau auf die Reifen achten muss. Alain Prost war ein Meister darin, die Reifen zu schonen und sie zu nutzen, wenn sie am besten waren. Ein ähnliches Szenario werden wir wohl auch im nächsten Jahr haben. Man muss in den richtigen Rennphasen auf die Reifen achten und sie als Schlüsselelement nutzen, das wird die Fähigkeiten des Fahrers erweitern. Im Moment gibt es Rennen, da kann der Fahrer immer hundert Prozent geben, das hat ja auch etwas Gutes. Wenn aber zwei Autos unterschiedlich leistungsfähig sind, dann wird man überholt. Die Regel mit nur einem Reifensatz könnte dafür sorgen, dass die Autos unterschiedlich gut sind."

V8-Motoren als Kostensenkungsfaktor?

Frage: "Könnten durch die neuen Regeln nicht auch neue Kosten entstehen?"
Brawn: "Für uns gibt es Einsparungspotenzial auf der Motorenseite. Bis zu einem gewissen Grad verstehe ich die Abneigung gegen die V8-Motoren. Wir sind der Ansicht, dass etwas weniger Motoren gebaut werden, weniger Teile. Wir bauen ohnehin jedes Jahr neue Motoren, und der Aufbau dieser Triebwerke ist oftmals sehr unterschiedlich. Der Übergang zu den 2,4-Liter-V8-Motoren ist nicht gravierend, aber der Motor wird grundlegend billiger sein. Man kann natürlich sagen, dass ein Team wie Ferrari das ausgibt, was sie haben - das stimmt ja auch -, wir werden die freigewordenen Mittel in andere Projekte stecken. Aber für Teams wie Sauber ist es wichtig, die ihre Motoren kaufen müssen. Diese Teams werden einen entscheidenden Unterschied auf ihrer Rechnung entdecken. Auch deswegen haben wir das unterstützt."

Frage: "Wie viele Motoren habt ihr in diesem Jahr gebaut? 100?"
Brawn: "Schon etwas mehr, weil wir ja auch Peter (Sauber) mit Motoren ausrüsten. Vor der Ein-Motoren-Regel haben wir etwa 150 Stück gebaut. Im nächsten Jahr werden wir wohl wieder weniger bauen. Viele dieser Motoren kosten aber nicht den vollen Preis, da schon gebrauchte Teile darin verarbeitet werden."

Frage: "Im nächsten Jahr könnten eine Teams ein drittes Auto einsetzen. Wirkt es sich auf die Rennen aus, wenn dieses dritte Auto Punkte bekommt oder nicht?"
Brawn: "Es wird schon schwierig sein, wenn diese Autos Punkte bekommen. Dann wäre man ja fast verpflichtet, ein drittes Auto einzusetzen. Aber es ist auch schwierig, wenn es im Rennen Autos gibt, die punkteberechtigt sind, während andere keine Zähler bekommen. Vielleicht kann man sich das dritte Auto auch teilen, denn einige Teams könnten sich das gar nicht leisten. Auf diesem Gebiet müssen wir noch einiges klären."

Frage: "Gab es in diesem Jahr eine Situation, die du rückblickend anders angegangen wärst?"
Brawn: "Zum Glück nur sehr wenige. Spa war etwas enttäuschend, weil die Safety-Car-Phasen es etwas erschwert hatten, aber Monaco war wohl die größte Enttäuschung. In einer Situation, in der wir nicht so leistungsfähig waren, wie wir wollten, hatten die zumindest eine Chance im Rennen, aber die wurde uns mit einem dummen Unfall auch noch genommen. Das war wohl unser frustrierendstes Rennen."

Der Anrieb von Ferrari

Frage: "Ihr wollt in jeder Saison eurer bestes Auto bauen, ihr wollt jede Saison in eure beste verwandeln. Aber kann man dieses Jahr eigentlich noch toppen?"
Brawn: "Jede Saison ist anders. 2002 war eine traumhafte Saison. Ich dachte nicht, dass wir das wiederholen könnten, aber in diesem Jahr ist es genauso gut. Jede Saison wird von den eigenen Anstrengungen und denen der anderen Teams geformt. Wir können nur alles versuchen, das beste Auto zu bauen, und abwarten, was die Gegner machen. Es ist schwer vorstellbar, dass eine Saison noch besser laufen wird. Aber wir müssen sie auch unterschiedlich einschätzen. 2003 war sehr gut, denn am Ende gewannen wir die Meisterschaft unter sehr schwierigen Bedingungen und wir haben gezeigt, dass wir hart kämpfen können, wenn wir es müssen. Jedes Jahr, in dem man die Meisterschaft gewinnt, ist fantastisch. Das vergessen wir nicht."

Frage: "Über die Tiefpunkt der Saison hast du schon gesprochen, aber was war der Hochpunkt des Jahres oder die witzigste Geschichte?"
Brawn: "Der Hochpunkt war sicher Melbourne, als wir sahen, wie konkurrenzfähig wir sind. Bridgestone hat emsig an den Mischungen, den Konstruktionen und den Reifenformen gearbeitet, aber wir sind den endgültigen Reifen für 2004 erst sehr spät gefahren. Beim Testen schien es zuweilen, dass wir zurückliegen würden, aber mit dem neuen Auto wurde in Melbourne alles klarer. Das war für mich der Hochpunkt der Saison. Wir hatten natürlich auch andere großartige Rennen. Der Verrückteste für mich war der Unfall hinter dem Safety-Car in Monaco."

Frage: "Viele Teams kamen und gingen in der Formel 1, aber ist es nicht besonders schade, dass ein Name wie Jaguar nun verschwindet?"
Brawn: "Ich habe für das Sportwagenprogramm von Jaguar in der 80er und 90er Jahren gearbeitet. Sie haben viel Tradition in Le Mans, vielleicht waren sie genau da am stärksten. Ich denke nicht, dass die Beziehung Jaguar und Formel 1 richtig funktioniert hat. Es ist schade, sie gehen zu sehen. Ich bin ja auch ein Brite und sie hätten ein starkes Nationalteam werden können, das sich gut schlägt. Ich habe das Temperament gesehen, welches Ferrari in Italien auslöst, das ist fantastisch. Wenn das durch Jaguar in Großbritannien erreicht worden wäre, dann wäre es eine wirkliche Leistung gewesen. Aber sie waren eben nicht in der Lage, mit ihrem Formel-1-Programm einen Erfolg einzufahren - aus welchen Gründen auch immer."

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