Brawn: Entscheidung gegen Ferrari fiel schon 2004
Ross Brawn spricht erstmals offen über seine einjährige Auszeit von der Formel 1 und seine Beweggründe für den Wechsel zu Honda
(Motorsport-Total.com) - Als Ross Brawn das Ferrari-Team Ende 2006 verlassen hat, um eine einjährige Auszeit von der Formel 1 zu nehmen, rechneten die meisten Experten damit, dass er - wenn überhaupt - wieder nach Maranello zurückkommen würde. Doch es kam alles anders: Am 12. November unterschrieb er als Teamchef bei Honda.

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Nach einer Auszeit von einem Jahr kehrt Ross Brawn in die Formel 1 zurück
Heute vor einer Woche nahm er dann seinen Dienst in Brackley auf - und der Einstand scheint positiv verlaufen zu sein: "Ich bin sehr glücklich über das, was ich in meiner ersten Woche bei Honda gesehen habe", erklärte er in einem Interview mit 'formula1.com'. Diese Woche wird er erstmals an der Rennstrecke mit dem Team zusammenarbeiten, nämlich im Rahmen der Testfahrten im spanischen Jerez: "Ich will mir alles anschauen, alle kennen lernen und mir ansehen, wie alles läuft."#w1#
Weltreise mit der Ehefrau
Brawn sprach mit der offiziellen Formel-1-Internetseite auch erstmals über seine Auszeit, die er vor allem damit verbrachte, gemeinsam mit seiner Ehefrau Jean die Welt zu bereisen. Der ausgedehnte Trip der beiden begann in Südamerika, führte sie zur Zeit des Formel-1-Auftakts in Australien nach Neuseeland und dann wieder zurück nach Südamerika. Dabei nahm sich der 53-Jährige viel Zeit für seine große Leidenschaft, das Fliegenfischen.
"Mir ist klar geworden, dass ich viele Orte bereist habe, von denen ich nur den Flughafen, das Hotel und die Rennstrecke kannte, daher habe ich gemeinsam mit meiner Frau beschlossen, eine ausgedehnte Reise zu machen", sagte Brawn. "Wir begannen am Jahresanfang in Südamerika, flogen dann weiter nach Neuseeland und kehrten anschließend nach Südamerika zurück. Zwischendurch war ich aber auch einmal auf einen Angeltrip in Russland."
Die Formel-1-Rennen hat er im Fernsehen natürlich verfolgt, die Präsenz vor Ort und die damit verbundene Arbeit - zumindest das Meiste davon - fehlten ihm aber zunehmend. Besonders der Grand Prix von Australien, den er vom nahe gelegenen Neuseeland aus anschaute, war "sehr schwierig" für seine innerliche Gefühlslage, "denn ich war so viele Jahre lang bei allen Rennen dabei. Das fühlte sich wirklich merkwürdig an."
Verlangen nach der Formel 1 wurde immer stärker
Je länger die Saison ohne ihn dauerte, desto gefestigter fühlte er sich in seinem Vorhaben, 2008 wieder ins Fahrerlager zurückzukehren. Ein anderes Jobangebot in einem neuen Umfeld kam dabei nie ernsthaft in Frage: "Ja, ich habe einige andere Möglichkeiten außerhalb des Motorsports in Erwägung gezogen, von denen einige sehr interessant waren, aber diese stellten nicht die gleiche Herausforderung wie die Formel 1 dar. Also war eine Rückkehr fast unvermeidlich."
Die Entscheidung, dass er nicht mehr zu Ferrari gehen wird, fiel aber viel früher als angenommen: "Ende 2004 unterschrieb ich einen neuen Zweijahresvertrag bei Ferrari - im Wissen, dass es mein letzter sein würde, weil es das Ende einer Zehnjahresperiode war. Also bauten wir stufenweise neue Strukturen für die Bereiche auf, für die ich verantwortlich war - und das Resultat in diesem Jahr zeigt, dass diese Strukturen funktionieren und dass Ferrari noch ein sehr starkes Team ist", so der Brite.
Brawn gab damit indirekt erstmals zu, dass er und Ferrari die Öffentlichkeit ein Jahr lang an der Nase herumgeführt haben, denn offiziell wurde immer kommuniziert, dass Ferrari im Falle einer Rückkehr immer seine erste Wahl sein würde. Für den Sommer wurden sogar Gespräche mit Jean Todt angekündigt. In Wahrheit fand schon Ende 2006 die erste Kontaktaufnahme zwischen Honda und Brawn statt, die dann im Frühjahr 2007 konkreter wurde.
Comeback in neuer Rolle als Teamchef

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Ross Brawn mit seinem Vorgänger als Teamchef bei Honda, Nick Fry Zoom
Wie erwartet wurde der Honda-Neuzugang aber nicht als Technischer Direktor engagiert, sondern als Teamchef: "Nick (Fry, bisheriger Teamchef; Anm. d. Red.) und ich teilen unsere Verantwortung", schilderte er sein Aufgabengebiet. "Meine Verantwortung liegt in erster Linie im Ingenieurswesen und in der Rennleitung, denn das waren in den vergangenen Jahren instabile Bereiche. Ich möchte da Stabilität einbringen und dann alle Ressourcen nutzen, die hier vorhanden sind."
Als Teamchef hat Brawn natürlich auch in Sachen Fahrerwahl ein kräftiges Wörtchen mitzureden - und Gerüchten zufolge soll es seine erste Amtshandlung gewesen sein, Doppelweltmeister Fernando Alonso zu Vertragsgesprächen nach Brackley einzuladen. Unsere Spione behaupten, dass Brawn Alonso durch die Fabrik geführt und ihm alles gezeigt hat, was das Team aber offiziell umgehend dementieren ließ.
Außerdem hat die Sache einen Haken, nämlich bestätigte Verträge für die bisherigen Fahrer Jenson Button und Rubens Barrichello - und Brawn scheint keine Ambitionen zu haben, einen der beiden zu feuern: "Ich habe wegen unserer Fahrer keine Bedenken. Für das Team und für mich gibt es viel größere Herausforderungen als die Fahrer", gab er zu Protokoll. Die meisten Beobachter rechnen ohnehin mit einem Wechsel von Alonso zu Renault.

