Werde jetzt Teil der großen Community von Motorsport-Total.com auf Facebook, diskutiere mit tausenden Fans über den Motorsport und bleibe auf dem Laufenden!
Brawn: "Alle sitzen im selben Boot"
Der Ferrari-Technikchef über seine Erwartungen vom Bahrain-Wochenende, das Qualifying-Format und die Speed-Debatte
(Motorsport-Total.com) - Frage: "Ross, wie schätzt du die Performance deines Teams in den bisherigen beiden Rennen dieser Saison ein?"
Ross Brawn: "Natürlich sind wir erfreut über die beiden Siege. Letztes Jahr war der Beginn recht steinig für uns und wir haben versucht, unsere Lehren daraus zu ziehen. Ich glaube nicht, dass wir letztes Jahr die neuen Regeln recht gut im Griff hatten, aber in dieser Hinsicht sind wir jetzt in einer viel besseren Position. Außerdem fahren wir seit Saisonbeginn mit einem neuen Auto. Letztes Jahr begannen wir mit dem alten Auto. Rory und seine Leute haben beim Chassis einen fantastischen Job gemacht und Paolo hat einen großartigen Motor gebaut, daher sind wir sehr zufrieden, aber wir haben die Füße auf dem Boden. Es ist ein launenhaftes Geschäft. Alles kann sich ändern, sehr leicht sogar, sehr schnell, über Nacht. Daher sehen wir nichts als gegeben an, aber es war ein fantastischer Auftakt."#w1#

© xpb.cc
Ross Brawn heute Nachmittag an der neuen Rennstrecke in Bahrain
Frage: "Wechseln wir das Thema, sprechen wir über das bevorstehende Rennen. Was sind die größten Herausforderungen auf einer neuen Strecke wie dieser?"
Brawn: "Es ist eine große Herausforderung, eine neue Strecke, aber wir sitzen alle im selben Boot. Ich schätze, dass gerade hier eventuell die Möglichkeit besteht, dass eine Reifenfirma es hinkriegen wird und die andere nicht, denn wir kennen den Belag nicht, niemand weiß, wie sich der Asphalt im Laufe des Wochenendes verändert. Vielleicht dominiert also einer der beiden Hersteller, denn sie sind diejenigen, die ihre Hausaufgaben erledigen und richtig schätzen mussten. So etwas passiert oft beim ersten Rennen auf einer neuen Strecke, aber beim zweiten Mal wird der Abstand dann schon geringer in der Regel. Technisch gesehen ist es ein Kurs, wo du gute Traktion brauchst, gute Bremsen, denn es gibt nicht allzu viele schnelle Kurven, was unserem Paket nicht unbedingt entgegen kommt. Betrachtet man die Sektorenzeiten von Malaysia, dann waren wir mit Mittelsektor schnell, wo die vielen schnellen Kurven waren, aber in den anderen beiden Abschnitten war die Differenz geringer. Es wird daher ein spannendes Rennen. Eigentlich wurde die Strecke mit einem schnellen Kurvenkomplex geplant, aber das wurde in der Bauphase wieder geändert und jetzt gibt es eigentlich keine wirklich schnellen Passagen. Was das Überholpotenzial angeht, kann man schwer etwas sagen, bevor man nicht einmal gefahren ist. Ein paar Formel-1-Fahrer sind schon einige Runden in Straßenautos gefahren, aber davon kannst du das auch nicht wirklich beurteilen, denn es hängt davon ab, welche Linien ein- und ausgangs der langsamen Kurven gewählt werden. Rein von der Skizze her müsste es einige gute Stellen zum Überholen geben und ich schätze, dass die Streckenarchitekten dabei die Erkenntnisse von anderen Strecken, die kürzlich gebaut worden sind, nutzen konnten. Sand wird ein entscheidender Faktor sein. Diejenigen, die schon länger dabei sind, können sich noch an Zandvoort erinnern, wo wir auch immer wieder vor eine Herausforderung gestellt worden sind. Die meisten Teams verwenden hier sicherlich viel dickere Luftfilter und man hat auch ein Auge auf die Öffnungen, wo eventuell Sand eindringen könnte. Dabei reden wir nicht von dem Sand, der auf dem Boden liegt, sondern von einem ganz feinen Staub, der in der Luft ist. Das könnte uns Kopfzerbrechen bereiten. Es ist also eine wirklich neue Herausforderung, aber wie gesagt, alle sitzen im selben Boot."
Brawn wäre von Dominanz einer Reifenfirma nicht überrascht
Frage: "Du hast die Schätzungen im Bereich der Reifen erwähnt. Sind das wirklich Schätzungen, kann man das so sagen?"
Brawn: "In dieser Phase schon ein bisschen. Beide Reifenfirmen waren im Vorfeld hier und haben die Zusammensetzung des Asphalts analysiert. Man schaut sich dabei an, wie kernig der Asphalt ist, man kann auch kleine Stücke mitnehmen und in der Fabrik analysieren, aber es gibt auch Fragezeichen wie die Farbe, denn dieses dunkle Schwarz absorbiert Hitze sehr stark. Die Streckentemperatur wird gemessen an der Umgebungstemperatur relativ hoch sein und man wird sehen, wie die Reifen darauf reagieren. Man könnte also von einer wissenschaftlichen Schätzung sprechen, aber die Chance, es nicht hinzukriegen, ist größer als anderswo."
Frage: "Wie kann man eine Runde auf dieser Strecke simulieren?"
Brawn: "Wir haben eine ziemlich gute Skizze von der Strecke bekommen, aus der wir die Linienführung herleiten konnten und dann haben wir - genau wie jedes Team - sehr gute Leute, die anhand dieser Daten Simulationen durchführen können, was Kurvengeschwindigkeiten und Getriebeübersetzungen angeht. Es ist eine mittlere bis harte Strecke für die Bremsen und wir konnten ein Bremsbelastungsdiagramm erstellen und so weiter. Abtrieb ist nicht mehr so problematisch, weil sowieso nur noch ein Flügel erlaubt ist. Man würde heute auf den meisten Strecken mehr Flügel fahren als erlaubt, daher steht man sowieso am oberen Rand an und muss sich nicht mehr allzu viele Gedanken machen. Die Simulationen sind ziemlich gut und man kommt sicher mit mehr Informationen auf so eine Strecke als das noch vor ein paar Jahren der Fall gewesen wäre. Darum sage ich, es ist eine interessante Herausforderung. Es wird sicher ein paar Dinge geben, mit denen wir nicht gerechnet haben, aber heutzutage kann man sich recht gut vorbereiten."
Frage: "Hat es schon solche Überraschungen gegeben? Zum Beispiel die Streckentemperaturen oder die heutige Lufttemperatur?"
Brawn: "Es ist vielleicht einen Tick wärmer als in unseren Vorhersagen prophezeit. Es war die Rede von eine Periode der mittleren bis hohen 20er, aber da wir gerade aus Malaysia kommen, ist uns das ja nicht neu. Beide Fahrer werden die Strecke begutachten und sicher ihre Kommentare abgeben. Sie sind wirklich die besten Anhaltspunkte in solchen Situationen. Wir gehen auch um die Strecke und sehen einige interessante Dinge, aber wenn du Fahrer vom Kaliber von Michael und Rubens hast, geben sie dir einen echten ersten Eindruck, worauf man sich zu konzentrieren hat. Man kann anhand der Skizze sehen, es geht um Bremsen und Traktion, also keine Überraschungen bis jetzt."
Qualifying: "Man sollte das Format nicht zu oft ändern..."
Frage: "Es wurde viel über das Qualifying diskutiert. Gibt es nicht die Möglichkeit, das Format noch ein bisschen anzupassen?"
Brawn: "Ich weiß nicht. Ich finde, das ist ein sehr delikater Punkt, die Qualifying-Situation. Wir alle wollen etwas möglichst Unterhaltsames, aber selbst unter euch Journalisten seid ihr nicht einig, was die beste Lösung wäre, denn es gibt so viele verschiedene Vorschläge. Genauso ist es bei den Teams, auch da hat jeder andere Vorstellungen und leider hat man in der Formel 1 nicht viele Gelegenheiten, so etwas einfach auszuprobieren. Ich denke, die getätigte Anpassung ist ein guter Schritt. So haben die TV-Sender die Möglichkeit, sich auf die eine Stunde echtes Qualifying zu konzentrieren und falls ein Auto in der ersten Session kaputt geht, kann es notfalls repariert werden. Bis jetzt mussten die Fahrer in der ersten Session sehr konservativ fahren, denn sonst hätten sie das Auto nach einem Dreher nicht rechtzeitig zurückbekommen. Solche Veränderungen helfen, damit so etwas nicht passiert, und die zweite Stunde ist dann die eigentliche Veranstaltung. Änderungen einzuleiten, ist schwierig. Viele Teams haben Autos mit kleineren Tanks gebaut, weil wir nur noch selten nur einmal stoppen, da man sich ja mit Sprit qualifizieren muss. Eine Änderung würde also eventuell einige Teams bestrafen, die sich auf dieses System eingestellt haben. Ich finde außerdem,. man sollte das Format nicht zu oft ändern. Wenn etwas wirklich schlecht ist, dann muss man es natürlich im Sinne der Formel 1 rasch ändern, aber ich hoffe, dass das nicht notwendig sein wird. Die intelligentesten Köpfe haben diesbezüglich oft unterschiedliche Ansichten und das zeigt nur, wie schwierig es ist, ein optimales Qualifying-Format auszutüfteln."
Frage: "Noch einmal zu den Simulationen, gibt es schon Schätzungen bezüglich der Rundenzeit?"
Brawn: "Die Rundenzeit ist momentan quasi beliebig. Das interessiert uns gar nicht. Wir interessieren uns für die Kurvengeschwindigkeiten, die Getriebeübersetzungen und dergleichen, damit wir beginnen können, uns über das Setup Gedanken zu machen. Die Rundenzeit ist nur eine Zahl. Wir wissen natürlich nicht, wie viel Grip die Strecke hat, was auch der Grund dafür ist, dass die geschätzten Rundenzeiten teils stark variieren. Unser Eindruck ist, dass es viel Grip gibt, aber ändert man den Faktor Grip in der Simulation, dann kann es gleich einen Unterschied von ein paar Sekunden ausmachen."
Ab 2006 sollen Autos über das Reglement stark eingebremst werden
Frage: "Die Rundenzeiten sind in letzter Zeit stark gesunken und es wird daher immer wieder ein erhöhtes Risiko zur Sprache gebracht. Wie siehst du diese Debatte und wenn etwas getan werden muss, was sollte es sein?"
Brawn: "Jedes Team ist in der Technischen Arbeitsgruppe vertreten, deren Vorsitz Charlie Whiting inne hat. Diese Gruppe versucht im Hintergrund die Performance der Fahrzeuge zu analysieren und herauszufinden, wo wir damit stehen sollten. Wir wollen das strukturiert machen und 2006 wird es im Design eine Veränderung geben, die die Autos sicherlich langsamer machen wird. Im Reifenkrieg kann man schwer einschätzen, wie sich solche Veränderungen schlussendlich auf die Zeiten auswirken werden, aber für 2006 arbeiten wir gerade an einem Paket an Veränderungen, damit die Geschwindigkeiten wieder reguliert werden. Von Zeit zu Zeit ist das einfach notwendig. Das ist ein natürlicher Prozess und alle sind damit einverstanden, denn wir müssen uns ja alle an dieselben Regeln halten. Wir sind nicht am absoluten Speed interessiert, sondern an unserer Leistungsfähigkeit im Vergleich zu den anderen Teams, weil wir sie besiegen wollen. Wenn das mit einem Auto geschieht, das um fünf Sekunden langsamer ist, macht es uns nichts aus. Das alles ist also in Arbeit und 2006 wird es wie gesagt einen großen Schritt geben und 2008 kommt dann ja auch eine neue Motorenformel und wir müssen uns deren Auswirkungen demnächst genauer zu Gemüte führen, aber es sind noch viele unbekannte Faktoren wie das Concorde Agreement und es wäre nett, all das einmal geregelt zu bekommen. Meiner Meinung nach müssen wir aber auch die PS reduzieren, denn wir klopfen schon an 900 an und haben diese Formel vor ein paar Jahren mit 700 begonnen. Also sage ich, wir müssen zurück zu 700 und den Prozess, zur 900er-Marke zu kommen, wieder von vorne beginnen."
Frage: "Du hast kürzlich die Motorenregel kritisiert, weil es in gewissen Situationen den Teams erlaubt wurde, den Motor zu wechseln, wenn beispielsweise ein Auto von der Strecke abgekommen ist oder dergleichen. Gab es hinsichtlich dieses Themas eine Klarstellung seitens der FIA?"
Brawn: "Manchmal neige ich wohl dazu, ein bisschen zu viel zu sagen. Das war nicht wirklich harte Kritik von mir, sondern ein Kommentar. Ich finde nur, dass ein Motor nur gewechselt werden sollte, wenn es ein Motorenproblem gibt, nicht aus strategischen Gründen, denn als diese Regel ausgearbeitet wurde, haben wir über strategische Motorwechsel diskutiert und die Absicht war nicht, diese zuzulassen. Man könnte beispielsweise nach Monza kommen und zwei Tage voll trainieren, dann für das Rennen einen neuen Motor einbauen und dafür die Rückversetzung um zehn Startplätze in Kauf nehmen. Wir wollen das nicht tun, wir wollen einen Motor bauen, der auf einer Strecke wie Monza 700 oder 800 Kilometer durchhält, denn in diese Richtung wollen wir uns mit dieser Regel bewegen und in Zukunft soll dieses Konzept ja noch verschärft werden. Wenn dann einmal ein Motor zwei oder drei Rennen halten muss, sollte es Klarheit über den strategischen Faktor eines Motorwechsels geben. Dann würde man vielleicht einen 350-Kilometer-Motor bauen und einen für 700 Kilometer und das würde wieder die Kosten eskalieren lassen, was wir alle nicht wollen. Ich finde einfach, es sollte genauere Richtlinien geben, wann ein Motor gewechselt werden darf. Die Autos, auf die ich mich bezogen habe, waren im Parc Fermé - und im Parc Fermé darf man Elemente nur auswechseln, wenn es einen guten Grund dafür gibt. Daher strengere Richtlinien."

