Bleibt für die "Silberpfeile" nur noch Silber?
Mercedes-Sportchef Norbert Haug weiß, dass der Titel in weite Ferne gerückt ist - Speed in Ordnung, Zuverlässigkeit weiterhin miserabel
(Motorsport-Total.com) - In einer Formel-1-Saison, in der fast alle Teams so zuverlässig wie nie zuvor sind, ist ausgerechnet der schnellste Rennstall auch der defektanfälligste. Kimi Räikkönen bekam dies immer wieder zu spüren und musste wegen der streikenden Technik seines "Silberpfeils" 2005 schon fünf mögliche Siege in den Wind schreiben. Mit dem jüngsten Hydraulikschaden heute Nachmittag in Hockenheim ist der WM-Zug daher ohne den Finnen in Richtung Oviedo in Spanien, wo Fernando Alonso zu Hause ist, abgefahren.

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Haug ist ein bekannter Kämpfer, doch seine Aufgabe ist nun denkbar schwierig
36 Punkte fehlen Räikkönen inzwischen schon auf die Spitzenposition, womit er bei jedem der noch ausstehenden sieben Rennen mehr als fünf Punkte aufholen müsste. Dass dies fast nicht mehr zu machen ist, musste heute im Interview selbst Mercedes-Sportchef Norbert Haug eingestehen: "Wer bei jedem Grand Prix fünf Punkte mehr machen muss als der Gegner, der weiß, dass das eine sehr schwierig zu lösende Aufgabe ist", so der Deutsche. Aber: "Wir kämpfen weiter."#w1#
Haug gibt zu: "Der Abstand ist ein großer"
In der Frage, ob das WM-Rennen damit nun schon gelaufen sei, ließ er sich nicht festnageln: "Es gibt nicht viele Punkte dafür, wenn ich sage, dass wir noch drin sind im Titelkampf oder nicht mehr. Das wird sich ergeben. Der Abstand ist ein großer", meinte er mit einem Hauch von Resignation. "Wir sind nicht als WM-Favoriten gestartet, aber wir sind die mit dem besten Speed. Wir haben auch einen besseren Speed als Renault. Darauf werden wir aufbauen."
Der Defekt heute, der übrigens im Chassisbereich und somit in der McLaren-Verantwortung liegt, sei für die britisch-deutsche Truppe "überraschend" gekommen, "weil alles andere nach Fahrplan lief. Kimi hatte sich schon etwas zurückgenommen und pushte nicht mehr so wie am Anfang." Und: "Wir waren schon mal besser unterwegs als heute. Jetzt müssen wir schauen, dass wir das wieder in den Griff bekommen. Wir haben ein sehr gutes und stabiles Fundament, auf das sich aufbauen lässt."
McLaren-Mercedes hat nach fünf Jahren ohne WM-Titel in beeindruckender Manier den Anschluss an die Weltspitze wieder gefunden, doch das schnellste Auto der Formel 1 hilft nichts, wenn es nicht ins Ziel kommt. Es ist eine Ironie des Schicksals, dass der Satz "To finish first, you first need to finish" ausgerechnet von McLaren-Boss Ron Dennis stammt. Nun gilt es also, die Zuverlässigkeit auf dasselbe Niveau zu bringen wie die Performance des MP4-20.
"Die Zuverlässigkeit sollte parallel gehen"
"Wir haben den Schritt zum Speed in beeindruckender Manier gemacht", so Haug. "Man hat gesehen, wie schwierig es ist, diesen Speed zu entwickeln, denn viele unserer Konkurrenten haben den nicht. Wenn ich wählen darf, dann ist mir erst Speed zu haben viel wichtiger. Die Zuverlässigkeit sollte allerdings parallel gehen. Da haben wir Kritik verdient, die wir auch hinnehmen, aber Formel 1 ist ein Sport am Limit. Das hat nichts mit Serienproduktion zu tun, sondern das ist Limit, Limit, Limit."
"Wir müssen uns dafür kritisieren, dass wir die Zuverlässigkeit noch nicht so im Griff haben wie den Speed. Der Speed ist beeindruckend und überzeugend, aber wir müssen auch in Sachen Zuverlässigkeit die Messlatte im Feld werden - und das sind wir noch nicht. Das ist ein teaminterner Prozess, den wir in aller Ruhe regeln werden. Wir werden uns da genauso steigern wie beim Speed", lieferte er dann doch eine jener Ansagen, denen er sonst um jeden Preis aus dem Weg gehen will.
Montoyas Aufholjagd im Schatten von Räikkönens Pech
In der Enttäuschung um Räikkönen ging die beeindruckende kämpferische Vorstellung von Juan-Pablo Montoya, der gleich in der ersten Runde vom 20. Startplatz aus neun Konkurrenten überholte und am Ende dank einer cleveren Strategie sogar noch Zweiter wurde, beinahe unter. Der Kolumbianer hatte sich seine schwierige Ausgangsposition durch den Dreher im Qualifying selbst zuzuschreiben, doch heute machte er vieles wieder gut.
"Es zeigt, was im Paket und im Fahrer steckt, wenn man von ganz hinten nach fast ganz vorne fährt", lobte Haug. "Juan-Pablo hat durch Kimis Ausfall nur einen Platz geschenkt bekommen, aber alles andere ist erkämpft. Das Team hat eine sehr gute Strategie gezeigt und er eine sehr gute Leistung als Fahrer. Darauf lässt sich aufbauen. Er ist nach Fahrplan gefahren und hat zum richtigen Zeitpunkt gepusht, um vor die Konkurrenten zu kommen."
Was die Weltmeisterschaft angeht, muss McLaren-Mercedes den Fahrertitel nun wohl zu den Akten legen, doch einige Ziele verbleiben noch: Montoya hat als derzeit Vierter lediglich 13 Punkte Rückstand auf Michael Schumacher, könnte also durchaus noch auf das Podium der Gesamtwertung kommen, während bei den Konstrukteuren 22 WM-Zähler auf Renault fehlen. Mit einem guten Saisonfinish könnte man also zumindest noch einen Trostpreis abstauben...

