Berger: "McLaren müsste wieder Weltmeister werden"
Gerhard Berger im Interview über die Ambitionen von Red Bull, den Wurz-Wechsel und seine Topfavoriten auf den WM-Titel 2006
(Motorsport-Total.com/ORF) - Das Jahr über verbringt Gerhard Berger in seiner Wahlheimat Monaco, doch im Winter hält sich der ehemalige Grand-Prix-Pilot meistens in Österreich auf. Die Feiertage verbrachte er mit seiner Frau und seinen Kindern in Tirol, wo er sich gestern höchstpersönlich als Feuerwerksmeister betätigte. Heute Abend stand er schließlich unseren Kollegen von 'Sport am Sonntag' für ein Interview zur Verfügung, welches nun dank der freundlichen Genehmigung des 'ORF' in voller Länge auf 'F1Total.com' nachgelesen werden kann.

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Verbrachte die Feiertage in seiner österreichischen Heimat: Gerhard Berger
Frage: "Gerhard, beginnen wir bei Red Bull. Sie haben mit Minardi ein zweites Team gekauft. Macht es Sinn, zwei Teams in der Formel 1 zu haben?"
Gerhard Berger: "Das kann sehr viel Sinn machen. Das Technische Reglement der Zukunft geht in eine Richtung, wo es heißt, dass Teams, die eine große Entwicklungsabteilung für ihre eigenen Autos haben, auch Teile an andere Teams verkaufen können. Sollte das ab 2007 oder 2008 der Fall sein, kann Red Bull Teile von Red Bull Racing an das neue Team liefern. Damit hätten sie die vollen Synergien."#w1#
Berger sieht Sinn im Kauf eines zweiten Formel-1-Teams
"Daneben können sie ihre jungen Fahrer ausbilden und müssen diese nicht irgendwo bei anderen Teams einkaufen. Sie können sie selbst hochziehen, können sie Erfahrungen sammeln lassen - und wenn sie sehen, dass sie die Richtigen sind, können sie sie zum Red-Bull-Team transferieren. Es gibt also einige Synergien. Der Kauf des zweiten Teams war ein geschickter Schachzug."
Frage: "2006 wird Red Bull Racing mit Ferrari-V8-, die Scuderia Toro Rosso mit Cosworth-V10-Motoren fahren. Da wird es eher noch keine Synergien geben, oder?"
Berger: "In diesem Jahr hat man sicherlich noch nicht die Möglichkeit der vollen Synergien. Trotzdem muss man schauen, ob der V10 wegen der Einstufung des Reglements, was die Drehzahlbegrenzung angeht, nicht doch ein ganz guter Schachzug ist. Vielleicht ist der Motor gleich gut oder sogar noch besser als ein V8. Ich glaube zwar schon, dass die FIA dementsprechend darauf reagieren wird, um eine Ausgeglichenheit zu schaffen, aber unterm Strich werden wir ein ehemaliges Minardi-Team sehen, das viel, viel stärker sein wird als in der Vergangenheit. Es sind dort schon jetzt einige neue Leute am Werk. Auch das zweite Red-Bull-Team wird stark sein."
Frage: "Stichwort Ferrari: Inwieweit rechnest du damit, dass Ferrari Topmaterial an Red Bull Racing liefern wird? Immerhin würde man dadurch ja einen Konkurrenten stärken..."
Berger: "Da gibt es gar keine Frage: Man baut nicht unterschiedliche Motoren, sondern man entwickelt einmal einen Motor. Dann gibt es zwar im Jahr vielleicht zwei oder drei Ausbaustufen, aber Ferrari steht da drüber. Die liefern an Red Bull die gleichen Motoren, die sie selbst auch einbauen. Was Motoren anbelangt, wird Red Bull dieses Jahr meiner Meinung nach sehr gut bedient sein."
Smith und Newey eines der besten Designteams überhaupt

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Der neue RB2 von Red Bull Racing zählt zu den heißen Außenseitern für 2006 Zoom
Frage: "Was ist Christian Klien und David Coulthard dieses Jahr zuzutrauen?"
Berger: "Man muss einmal schauen, wie gut das Auto ist, das gebaut worden ist. Da war Adrian Newey noch nicht am Werk. Ich halte aber auch vom jetzigen Konstrukteur, Mark Smith, sehr viel. Die haben ein gutes Auto gebaut, einen guten Motor - und Newey wird natürlich Einfluss nehmen. Ab Februar wird er selbst Hand anlegen, und dann wird das Auto schnell sein."
Frage: "Traust du Red Bull Racing auch Podestplätze zu?"
Berger: "Das ist nicht ausgeschlossen. Coulthard und Klien haben in diesem Jahr fantastische Voraussetzungen. Ich glaube, beiden ist zuzutrauen, dass sie da oder dort auch mal den Schritt auf das Podest schaffen."
Frage: "Siehst du Red Bull auch irgendwann einmal als Formel-1-Weltmeister?"
Berger: "Man sieht natürlich schon, dass das ganz klare Ziel von Red Bull in diese Richtung geht. Sie setzen auch dementsprechende Schritte. Jemand, der im ersten Jahr ein Team kauft, sich im zweiten Jahr bereits mit Ferrari zusammenlegt, was Motor und Antriebsstrang angeht, im gleichen Jahr schon Newey, den ganz klar besten Mann in der Formel 1, was Konstruktion angeht, verpflichtet, der gibt ganz klar eine ehrgeizige Linie vor. Ich traue das Red Bull zu."
Mateschitz zeigt, dass es auch ohne Automobilindustrie geht
"Was mir am besten daran gefällt: Seit vielen Jahren zeigt wieder einmal ein Quereinsteiger, dass es nicht nur geht, wenn man die Automobilindustrie und viele Sponsoren hinter sich hat. Einer, der sich mit der Materie auseinandersetzt und innerhalb seiner Möglichkeiten die richtigen Schritte setzt, kann sich ebenfalls durchsetzen."
Frage: "Hältst du es für möglich, dass Michael Schumacher 2007 für Red Bull Racing fahren wird?"
Berger: "Das sollte man nie ausschließen, aber es wäre schon ein sehr großer Schritt (lacht)! Ob der Michael von Ferrari noch einmal zu einem anderen Team wechselt, ist natürlich die große Frage."
Frage: "Alexander Wurz wurde bei McLaren-Mercedes ausgemustert und soll jetzt bei Williams fahren. Er selbst war noch zu keiner Stellungnahme bereit. Warum macht McLaren-Mercedes das? Er hat ja fünf Jahre für das Team getestet und nimmt viel Technologiewissen mit."
Berger: "Was die genauen Hintergründe sind, weiß ich nicht. McLaren wird schon gewusst haben, warum sie diesen Schritt machen. Man wird sich mit Paffett einen Vorteil sehen, sonst hätte man es nicht gemacht."
Wurz bringt wertvolles Know-how zu Williams mit
"Für Alexander ist Williams noch einmal eine Chance. Für mich ist es nicht verwunderlich, dass sich Williams den Alexander geholt hat, denn über diese Schiene bekommt man immer wieder einige Informationen von einem anderen Team. McLaren war immerhin das Team mit dem schnellsten Auto. So gesehen sieht man bei Williams den ersten Testfahrten natürlich sehr gespannt entgegen, weil man den Alexander aussaugen wird. Sie werden ihn fragen: 'Wie macht McLaren dies, wie funktioniert bei McLaren jenes?' Das ist ganz klar. Ich verstehe Williams also."
"Für Alexander ist es wie gesagt eine Chance. Ich sehe es aber nicht so, dass er Webber oder Rosberg ersetzen wird, denn Rosberg ist einer der schnellsten Nachwuchspiloten. Es gibt wirklich keinen Grund, ihn jetzt auszutauschen. Aber es kann immer sein, dass sich einmal einer weh tut oder dass einmal etwas passiert - und dann hat Alexander die Möglichkeit, als Stammfahrer zurückzukommen."
Frage: "Noch überraschender war die frühe Bekanntgabe des Wechsels von Fernando Alonso zu McLaren-Mercedes. Warum ist man damit so früh an die Öffentlichkeit gegangen?"
Berger: "Zuerst einmal muss man sich fragen, warum Alonso das macht. Das kann eigentlich fast nur heißen, dass er weiß, dass es bei Renault dem Ende zugeht, dass Renault nicht mehr langfristig in der Formel 1 plant. Ansonsten wäre es nämlich sehr schwierig, zu diesem Zeitpunkt ein Team zu verlassen, mit dem man gerade Weltmeister geworden ist. Vielleicht geht es aber genau in diese Richtung."
Hat Räikkönen für 2007 schon woanders unterschrieben?
"Dann ist die Frage, warum man das jetzt schon bekannt gegeben hat. Da kann ich mir nur vorstellen, dass Ron Dennis bereits weiß, dass Räikkönen McLaren verlassen wird, denn sonst sagt man nicht einem von den beiden sehr kompetenten Fahrern, dass einer von ihnen nächstes Jahr draußen ist. Das wäre kein Vorteil, sondern ein Nachteil. Vielleicht hat Räikkönen aber gesagt: 'Pass auf, Ron - ich bin 2007 nicht mehr bei dir, sondern woanders.'"
Frage: "Wird man Fernando Alonso bei Renault noch voll unterstützen, obwohl man weiß, dass er das Team verlassen wird?"
Berger: "Da sehe ich überhaupt kein Problem. Alonso ist der Mann schlechthin im Team, die absolute Nummer eins. Wenn Renault gewinnen will, müssen sie auf die Karte Alonso setzen. Somit wird das volle Unterstützung für Alonso bedeuten. Auf der anderen Seite wird es ja genauso sein, wenn Räikkönen weiß, dass er 2007 nicht mehr für McLaren fahren wird. Okay, man wird vielleicht versuchen, Montoya als Nummer eins hinzubekommen, aber unterm Strich weiß man, dass Räikkönen derjenige ist, der die Kohlen aus dem Feuer holt."
"Silberpfeile" laut Berger mit den besten Titelchancen

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Gerhard Bergers große WM-Favoriten sind auf diesem Bild komplett abgebildet Zoom
Frage: "Glaubst du, dass Fernando Alonso trotzdem noch Favorit auf den WM-Titel 2006 ist?"
Berger: "2006 sehe ich momentan so, dass man erst einmal abwarten muss, welcher Reifenhersteller den besseren Reifen haben wird. Sollte Michelin den besseren Reifen haben, ist sicherlich McLaren mit Räikkönen der ganz große Favorit. Sollte es Bridgestone sein, dann gehe ich davon aus, dass Michael Schumacher wieder die besten Karten hat. Dann würde ich mein Geld auf ihn setzen. Wenn es ausgeglichen ist, kann es schon sein, dass auch Alonso wieder ein Wort mitreden wird, aber ich glaube, dass McLaren letztes Jahr bewiesen hat, dass sehr viel Potenzial in ihnen steckt. Sie müssen standfester werden, sie müssen weniger Fehler machen - aber dann müssten sie eigentlich dazu in der Lage sein, wieder einmal eine Weltmeisterschaft zu gewinnen."
Frage: "Zum Abschluss noch eine Frage zu deiner Person: Lehnst du nach wie vor alle Angebote aus der Formel 1 ab?"
Berger: "Zunächst einmal freue ich mich, wenn ich ein Angebot bekomme, aber man hat immer bestimmte Abschnitte im Leben. Manchmal hat man das Gefühl, etwas beweisen zu müssen, Verantwortung tragen und arbeiten zu müssen. Manchmal gibt es aber auch Abschnitte, in denen man das Gefühl hat, lieber Skifahren zu gehen. In so einem Abschnitt befinde ich mich momentan. Ich weiß nicht, wie lange noch, aber sollte sich das irgendwann einmal ändern, wäre ich sehr froh, eines der tollen Angebote, die ich bekommen habe, aufgreifen zu können."

