• 28.02.2002 11:30

  • von Reinhart Linke

Berger: "Ferrari bleibt der Benchmarker"

BMW-Motorsportdirektor Gerhard Berger erklärt im Interview, warum er ganz beruhigt in die neue Formel-1-Saison geht

(Motorsport-Total.com/sid) - Während BMW-Williams-Teamchef Sir Frank Williams mit seinen Fahrern Ralf Schumacher und Juan-Pablo Montoya in diesem Jahr um die WM-Titel kämpfen möchte, hält BMW-Motorsportdirektor Gerhard Berger nach wie vor den zweiten Platz in der Konstrukteursweltmeisterschaft als realistisches Ziel für 2002. Doch auch dazu müssen die Blauweißen zunächst McLaren-Mercedes schlagen, die in der Winterpause mit beeindruckenden Testzeiten auf sich aufmerksam gemacht haben.

Titel-Bild zur News: Gerhard Berger

BMW-Motorsportdirektor Gerhard Berger geht ganz ruhig in die neue Saison

In Interview erklärt der BMW-Motorsportdirektor, warum Sir Frank Williams die Ziele so hoch setzt, wie weit BMW bisher seit dem Wiedersteinstieg gekommen ist und was die beiden Fahrer des Teams noch lernen müssen.

Frage: "Wer wird in der neuen Saison Vizeweltmeister in der Formel 1?"
Gerhard Berger: "Platz zwei ist ganz klar unser Ziel. Aber das wird ein hartes Stück Arbeit. Denn McLaren-Mercedes ist auch ein potenzieller Kandidat für den Platz, wenn nicht sogar für den Titel. Aber nachdem wir die Saison zweimal als Dritter abgeschlossen haben, wollen wir nun natürlich einen Schritt nach vorn machen."

"Ferrari zu schlagen wird ganz, ganz schwer"

Frage: "Damit ist der Titel also erneut für Ferrari reserviert?"
Berger: "Ferrari ist für mich weiter ganz klar der Benchmarker. Sie zu schlagen, wird ganz, ganz schwer."

Frage: "Auch wenn Ferrari wie in Melbourne mit dem Vorjahresauto antritt?"
Berger: "Das ist sicher eine kluge Entscheidung. Erfahrungsgemäß geht es im ersten Rennen der Saison primär darum, sich ein gutes Punktepolster zu verschaffen. Dafür spielt die Haltbarkeit eine entscheidende Rolle. Was nützt ein Auto, dass pro Runde eine Sekunde schneller fährt als die Konkurrenz, aber nicht über die Renndistanz kommt. Der letzt jährige Ferrari war schnell und extrem standfest und dürfte damit in Melbourne nach wie vor das Maß aller Dinge sein."

Frage: "Wenn jemand unbedingt auf BMW-Williams als Weltmeister wetten will: Wie würden Sie es demjenigen ausreden?"
Berger: "Ich würde es ihm nicht ausreden. Ich würde nur sagen: Heute darauf zu wetten, ist ein Glücksspiel. Wir sind während der Tests noch nie auf McLaren-Mercedes oder Ferrari getroffen. Wir wissen nicht, wie gut die wirklich sind. Ferrari hat 21 Jahre gebraucht, um über den Dingen zu stehen. Aber es ist nicht allzu lange her, da stand McLaren-Mercedes über den Dingen. Und ich hoffe, es wird bald die Zeit kommen, in der auch BMW-Williams über den Dingen steht."

"Wir sind über dem Soll"

Frage: "Wo ist BMW-Williams Ihrer Meinung nach auf dem langen Weg vom Wiedereinstieg bis zum WM-Titel inzwischen angelangt?"
Berger: "Wir sind ganz klar über dem Soll und haben mehr als die Hälfte erreicht. Aber die letzten zehn Prozent sind immer das Schwierigste. Wir sind von Anfang an aufs Podium geklettert. Da sind die weiteren Schritte viel mühsamer, als wenn man von hinten kommt. Unsere Rolle in diesem Geschäft ist die von David im Kampf gegen Goliath."

Frage: "Der neue Motor scheint gut, das Fahrwerk weniger gut zu sein?"
Berger: "Tatsache ist, dass wir in den ersten Testfahrten schnellere Rundenzeiten erwartet hatten. Tatsache ist aber auch, dass wir ein sehr gesundes Paket haben. Von der Standfestigkeit sind wir weiter als im Vorjahr zur selben Zeit. Wir brauchen noch mehr maximalen Abtrieb. Es besteht noch Aufholbedarf im aerodynamischen Bereich. Daran arbeiten wir. Ich gehe ganz beruhigt in die Saison."

Frage: "Wie beurteilen Sie das Verhältnis Ihrer Fahrer?"
Berger: "Die beiden sind nicht die größten Freunde, aber sie sind konstruktiv für das Team. Sie treiben sich zum Limit. Deshalb wollen wir ja solche Burschen haben. Die braucht man nicht mehr anzuheizen."

Frage: "Wer von den beiden hat im internen Duell die Nase vorn?"
Berger: "Fahrerisch kann man das nicht abschätzen. Es gibt den emotionalen, sehr talentierten Südamerikaner. Und es gibt den analytischen, sehr talentierten Deutschen. Wer die größten Chancen hat, Michael Schumacher zu schlagen, ist offen."

"Frank setzt die Ziele immer sehr hoch"

Frage: "Was müssen die beiden noch lernen?"
Berger: "Der Emotionale muss noch lernen, analytischer vorzugehen. Der Analytiker muss noch lernen, über eine ganze Saison konstant Leistung zu bringen."

Frage: "McLaren-Mercedes hat den Reifenhersteller gewechselt und vertraut wie Sie künftig auf Michelin. Ist das ein Nachteil?"
Berger: "Es ist ein Vorteil. McLaren-Mercedes liefert zusätzlich wichtige Informationen an Michelin. McLaren-Mercedes hat sich sehr schnell auf den neuen Reifen eingestellt. Wir haben aber noch einen kleinen Wissensvorsprung. Jetzt geht es darum, wer den besseren Motor, das bessere Chassis und die besseren Fahrer hat. Ich freue mich auf diese Herausforderung."

Frage: "Frank Williams hat bei der Präsentation des neuen Autos gesagt, dass BMW-Williams ein ernsthafter Herausforderer um den WM-Titel sei. Wie gehen Sie damit um?"
Berger: "Frank setzt sich die Ziele immer sehr hoch. Das fordert uns. Je mehr man sich selbst unter Druck setzt, je mehr ist man in der Lage zu leisten. Wir können damit sehr gut umgehen."

Frage: "Gibt es eine spezielle Prämie für den Fall, dass einer Ihrer Fahrer Weltmeister wird?"
Berger: "Nein. Das Team bezahlt seine Fahrer sehr gut, und wir gehen davon aus, dass sie unter allen Umständen bestmögliche Leistungen bringen."