• 10.09.2003 11:49

Berger: "Es war der richtige Weg"

Gerhard Berger vor seinem Rücktritt über seine weitere persönliche Zukunft, die Ecclestone-Nachfolge und seine Arbeit bei BMW

(Motorsport-Total.com/sid) - Frage: "Herr Berger, Ihr Vertrag als Motorsportdirektor von BMW läuft aus, der Große Preis von Italien in Monza wird Ihr vorerst letztes Rennen in offizieller Funktion sein. Haben Sie Ihren Schreibtisch schon leergeräumt?"
Gerhard Berger: "Es gibt nichts auszuräumen. Ich habe alles im Kopf."

Titel-Bild zur News: Gerhard Berger

Gerhard Berger: In Zukunft hat er auch mehr Zeit für Motorräder

Frage: "Gibt's schon Pläne für den ersten Tag als Privatier?"
Berger: "Nein, ich lasse mal alles auf mich zukommen. Das ist ja genau eine der Sachen, die ich mir vorgenommen habe, nämlich keinen Plan zu haben, kein Programm zu machen, sondern alles zu nehmen, wie es kommt."

Frage: "Haben Sie sich denn schon mit dem Gedanken vertraut gemacht, dass Sie die Formel 1 nach fast 20 Jahren verlassen?"
Berger: "Das ging und geht Schritt für Schritt. So, wie man Schritt für Schritt aussteigt, geht das auch im Kopf. Man hängt immer weniger im Detail drin, und irgendwann ist man aus der Sache raus."

Frage: "Keine Angst, in ein Loch zu fallen nach fast 20 Jahren Motorsport?"
Berger: "Ich wäre froh, wenn ich in ein Loch fallen würde. Das ist genau das, was ich mir wünsche: einfach mal Langeweile zu haben."

"Würde im Leben auch noch gerne etwas anderes machen

Frage: "Und das funktioniert so einfach nach einem Leben mit und für den Motorsport?"
Berger: "Naja, wenn ich's nicht mehr aushalte, komme ich wieder zurück. Aber ich hoffe, dieser Zeitpunkt kommt nie. Eigentlich würde ich im Leben auch noch gerne etwas anderes machen als Rennsport, wobei mein Leben natürlich der Rennsport ist."

Frage: "Nicht mal Urlaub geplant?"
Berger: "Ja, und ich möchte wieder mehr Sport treiben, keine Frage. Mal Helikopter-Skifahren gehen, mit der Familie einfach das machen, was mir gerade einfällt."

Frage: "Warum läuft Ihr Vertrag eigentlich vor Abschluss der Formel-1-Saison aus?"
Berger: "Im September 1998 haben wir einen Fünfjahresvertrag gemacht, und damals haben wir nicht so genau geschaut, wann der ausläuft. Und jetzt sind die fünf Jahre halt um. Da steckt keine tiefere Absicht dahinter."

Frage: "In ihrer Zeit als Motorsportdirektor war BMW durchaus sehr erfolgreich. Kam denn niemand auf Knien gerutscht, um Sie zu halten?"
Berger: "Nein. Aber es haben intensive Gespräche stattgefunden, um mich zu halten. Es war auch nicht einfach, diese Bestrebungen abzulehnen. Aber ich bin eben zu der Überzeugung gekommen, dass ich mal aufhören muss. Die Zeit war reif, um mal eine Auszeit zu nehmen."

Rückkehr nicht ausgeschlossen

Frage: "Auszeit nehmen heißt aber nicht, dass eine Rückkehr in den Motorsport ausgeschlossen ist ..."
Berger: "Das kann ich jetzt nicht sagen. Ich könnte mir aber nur schwer vorstellen, für irgendjemand anderen im Motorsport zu arbeiten als für BMW. Meine Seele hängt schon sehr an BMW. Aber das ist jetzt ohnehin kein Thema. Wenn ich gleich wieder an eine andere Aufgabe denken oder sie annehmen würde, hätte es ja gar keinen Sinn gemacht, jetzt mal aufzuhören. Dann hätte ich auch gleich bei BMW bleiben können."

Frage: "Wäre es für Sie vorstellbar, einmal der Nachfolger von Bernie Ecclestone zu werden?"
Berger: "Das kann ich mir nicht vorstellen. Man soll sich keine zu großen Schuhe anziehen."

Frage: "Ecclestone ist aber wesentlich kleiner als Sie ..."
Berger: "Aber nicht seine Füße."

Frage: "Unabhängig davon: Was passiert, wenn es Bernie Ecclestone nicht mehr als Formel-1-Impressario geben sollte?"
Berger: "Ich sehe gar keinen, der das machen kann, weil keiner alles so vereint wie Ecclestone."

Frage: "Wäre künftig eine Art Aufsichtsrat denkbar? Und hätten Sie an einem Sitz darin Interesse?"
Berger: "Wenn mich jemand fragt, werde ich mich zur gegebenen Zeit damit auseinandersetzen. Aber die Diskussion über Ecclestone wurde schon vor 15 Jahren geführt, und alle, die damals diskutiert haben, leben heute nicht mehr. Bernie dagegen ist noch sehr fit."

"Die Mannschaft steht auch ohne mich"

Frage: "Ihr Posten wiederum wird von BMW nicht mehr besetzt. Haben Sie sich überflüssig gemacht, oder sind Sie überflüssig geworden?"
Berger: "Meine Aufgabe war es, zusammen mit Mario Theissen ein BMW-Motorsportteam aufzubauen, das in allen Bereichen schlagkräftig und vorne mit dabei ist. Diese Aufgabe ist sicher zu einem großen Teil abgeschlossen. Außerdem hat sich Mario Theissen, mit dem ich eine Doppelspitze gebildet habe, über die Jahre hinweg enorm entwickelt. Er war schon ein First-Class-Ingenieur, kannte den Konzern in- und auswendig, hatte aber vom Motorsport wenig Ahnung. Die hat er sich nun angeeignet. Die Mannschaft steht also auch ohne mich."

Frage: "Haben Sie alles erreicht, was Sie sich vor fünf Jahren vorgenommen hatten?"
Berger: "Wir haben ein Team von anfänglich 30 Leuten auf mehr als 200 Leute aufgebaut, mit der dazu gehörenden Infrastruktur, Schritt für Schritt. Das ist hervorragend gelaufen. Die Mannschaft, die wir entwickelt haben, ist mittlerweile im Motorsport eine der anerkannt besten. Ich bin auch stolz darauf, dass wir die Leute nicht bei den anderen Teams abgeworben haben, sondern zum Großteil aus den eigenen Reihen heraus hochgezogen haben. Wir sind da einen ganz eigenen Weg gegangen. Und es war der richtige Weg."

Frage: "Und da hören Sie jetzt einfach auf?"
Berger: "Das fragt mich jeder, und irgendwie versteht's nicht jeder. Aber ich sage immer, es ist besser, einen guten Nachruf zu bekommen als einen schlechten. Ich glaube, das Timing ist gut. Es gibt Leute in führenden Positionen, die ihr Team so auf sich selbst fixieren, dass es nicht mehr funktioniert, wenn sie nicht mehr sind. Und das war nie meine Absicht. Ich wusste immer, dass BMW keine Lebensaufgabe ist, sondern ein Abschnitt, den ich erfolgreich beenden möchte."

Frage: "Ist BMW in den vergangenen fünf Jahren so weit gekommen, wie sie das anfänglich erwartet haben?"
Berger: "BMW ist ein bisserl weiter. Normalerweise kann man nicht davon ausgehen, dass man nach Le Mans geht und dort gleich im ersten Jahr gewinnt, dass man beim ersten Formel-1-Einsatz gleich aufs Podium fährt, dass man in den ersten beiden Jahren schon Dritter der Weltmeisterschaft wird, dass man im dritten Jahr dann schon Zweiter ist, und dass man dann im vierten Jahr drei Rennen vor Schluss noch um die Weltmeisterschaft mitkämpft und Führender in der Konstrukteurswertung ist. Das ist eine Bilderbuch-Story, die man nicht planen kann."

Berger hätte gerne ein eigenes Auto gebaut

Frage: "Gab es in diesen fünf Jahren eine Entscheidung, die Sie gerne getroffen hätten, aber nicht konnten oder durften?"
Berger: "Ja. Für BMW ein eigenes Auto bauen."

Frage: "Wäre das für Sie auch eine Motivation gewesen, um weiterzumachen?"
Berger: "Würde ich so nicht sagen. Aber es wäre mir wesentlich schwerer gefallen, diese Entscheidung so zu treffen, wie ich sie getroffen habe. Aber das darf nicht falsch rüberkommen. Ich glaube, dass der Weg, der eingeschlagen wurde, der richtige für BMW ist. Als Motorsportdirektor wäre es eine tolle Herausforderung gewesen, den nächsten Schritt mit einem eigenen Auto zu versuchen. Aber aus Sicht von BMW ist der Schritt, mit Williams zu kooperieren, sicher einer, der weniger risikoreich ist und in den nächsten Jahren viel Erfolg bringen wird."

Frage: "Ist Ihnen seinerzeit der Wechsel vom Cockpit an den Schreibtischrektor schwer gefallen?"
Berger: "Es war eine große Umstellung. Als Sportler war ich Egoist, als Motorsportdirektor musste ich Teamplayer sein. Das hat mir zu schaffen gemacht. Als Fahrer stehst du immer im Vordergrund. Als Motorsportdirektor stehst du auch manchmal im Vordergrund, aber du musst wieder immer zurückkommen zur Mannschaft."

Frage: "War es für den Motorsportdirektor Berger trotzdem ein Vorteil, dass es den Fahrer Berger gegeben hat?"
Berger: "Andersrum: Es würde dem Fahrer nicht schaden, schon vorher mal die andere Seite gesehen zu haben. Du bekommst ein ganz anderes Verständnis dafür, was so ein Team ausmacht."

Frage: "Waren Sie lieber Fahrer oder lieber Motorsportdirektor?"
Berger: "Das Schönste in diesem Sport ist, Fahrer zu sein, ein Auto am Limit zu bewegen. Gar keine Frage. Das Fahren ist das Beste und das Höchste."