• 08.09.2003 10:44

Berger im Interview: "Es ist der richtige Zeitpunkt"

Gerhard Berger spricht über die Beweggründe seines Rücktritts, die Arbeit als BMW Motorsportdirektor und seine Zukunft

(Motorsport-Total.com) - Frage: "Angesichts der derzeitigen Leistungen des BMW-Williams-Teams kann man nicht sagen, sie verließen ein sinkendes Schiff. Weshalb gehen Sie als Lotse von Bord?"
Gerhard Berger: "Man soll doch gehen, wenn es am schönsten ist, oder nicht? Im Ernst: Ich habe wirklich sehr lange mit dieser Entscheidung gerungen. Aber letztlich hat sich das Gefühl durchgesetzt, dass jetzt für mich persönlich der richtige Zeitpunkt zum Aufhören ist. Ich mag einfach nicht mehr so hektisch leben, ich will mich zurücklehnen können und herausfinden, was mir außer einem wie auch immer gearteten Job im Motorsport noch etwas bedeutet."

Titel-Bild zur News: Gerhard Berger

Gerhard Berger freut sich auf die Freizeit mit der Familie

"Ich hatte eine wunderschöne Zeit als Fahrer, und ich hatte fünf tolle Jahre bei BMW. Ich bin dankbar, dass man mir dort das Vertrauen entgegengebracht hat, mich auch unternehmerisch zu profilieren. Die Zusammenarbeit mit den Leuten, allen voran mit Mario Theissen, hat hervorragend harmoniert. Einen Partner wie den Mario, mit dem die Ergänzung so optimal klappt und zu dem ich so großes Vertrauen habe, werde ich kaum wieder finden, was auch immer ich vielleicht noch beruflich anfange. Wir haben viel auf die Beine gestellt und viele Erfolge erzielt."

"Die Truppe ist reif für den Titel"

Frage: "Wenn BMW eines Tages wieder die WM gewinnen sollte, dann sind Sie nicht mehr im Boot. Würde das schmerzen?"
Berger: "Nein, überhaupt nicht. Ich wäre stolz, immerhin habe ich die Mannschaft, die jetzt um die WM kämpft, ja mit aufgestellt. Ich bin überzeugt, dass die Truppe reif für den Titel ist und drücke ihr die Daumen."

Frage: "Wie schwer war die Umstellung vom Piloten zum Direktor?"
Berger: "Team- und Konzerndenken waren die wichtigsten Aufgaben. Als Pilot muss man Egozentriker sein, als Mannschaftskapitän ist das kontraproduktiv. Beim Einfinden in das nüchterne Konzerndenken und die Strukturen eines großen Automobilherstellers wie BMW hat mir Mario natürlich sehr geholfen. Er kennt das Unternehmen mit all seinen Systemen in- und auswendig. Ich habe gelernt, mich mit vielen Details und Parametern auseinanderzusetzen, die einem als Fahrer herzlich egal sind."

"Ich denke, dass ich meinen Auftrag optimal erledigt habe"

Frage: "Was hatten Sie sich als BMW Motorsportdirektor vorgenommen, und was haben Sie erreicht?"
Berger: "Es waren fünf erfolgreiche Motorsport-Jahre für BMW. Der Le Mans-Sieg 1999, der gute Formel-1-Einstieg, die ersten Siege, der zweite WM-Platz im vergangenen Jahr, dazu Siege in der Tourenwagen-Europameisterschaft, und auch die Formel BMW entwickelt sich sehr gut. Diese Erfolge kann ich mir nicht allein ans Revers heften. Aber ich denke schon, dass der Auftrag, den ich 1998 vom damaligen BMW Vorstandsvorsitzenden Bernd Pischetsrieder bekommen habe, optimal erledigt worden ist."

"Wir haben für die verschiedenen Bereiche schlagkräftige Mannschaften aufgestellt und gut organisiert. Dabei war es uns immer wichtig, BMW sowohl in sportlicher Hinsicht als auch im Auftritt so zu platzieren, dass es zum Unternehmen passt und ihm nützt. Der Fünfjahres-Vertrag mit WilliamsF1, an dem wir hart verhandelt haben, war genau der richtige Abschluss für meine Amtszeit."

"Ich hatte mich nicht gerade beliebt gemacht"

Frage: "Welcher Erfolg hat Ihnen in den fünf Jahren am meisten bedeutet?"
Berger: "Normalerweise ist für mich die Formel 1 das Maß der Dinge. Aber einer der schönsten Momente war doch der Le Mans-Sieg 1999. Wir sind gegen ein außergewöhnlich starkes Feld angetreten. Und wir waren sicher nicht in der Favoritenrolle. Ich weiß noch, wie Journalisten mir erklärt haben, was die Konkurrenz alles drauf hat und dass wir praktisch keine Chancen haben. Aber ich hab an unser Konzept geglaubt. Wir hatten ein richtig gutes Chassis mit dem unverwüstlichen BMW V12-Zylinder und hatten damit schon das 12-Stunden-Rennen in Sebring gewonnen."

"Die BMW Techniker zusammen mit der Schnitzer-Truppe waren eine Top-Mannschaft, Charly Lamm ist für mich eh der beste Stratege, und wir hatten auch richtig schnelle Piloten verpflichtet. Diese 24 Stunden waren ein unvergessliches Erlebnis und mit Sicherheit auch für mein Standing im Hause BMW wichtig. Ich hatte mich mit ein paar Entscheidungen nicht gerade beliebt gemacht."

"Ich habe keine Sekunde gezweifelt"

Frage: "Waren Sie anfangs skeptisch, weil BMW den Formel-1-Motor mit allem, was dazugehört, in Eigenregie bauen wollte?"
Berger: "Nachdem ich mir einmal habe zeigen lassen, was in München, speziell im FIZ (BMW Forschungs- und Innovationszentrum; Anm. d. Red.), alles möglich ist, habe ich keine Sekunde gezweifelt. Ich bin sicher, dass BMW mit all seinen Ressourcen auch ein gutes Formel-1-Chassis bauen könnte."

"Aber es stimmt schon: Am Anfang haben einen die Leute für größenwahnsinnig gehalten. Und es war schon ein gewisses Risiko, beispielsweise das Motormanagement von Anfang an selbst zu entwickeln und herzustellen. Schlussendlich war es goldrichtig, eine eigene Fabrik und andere Anlagen wie die Formel-1-Gießerei zu bauen und die eigenen Leute herzunehmen. Dass die BMW-Techniker und Ingenieure gut sind, sieht man auch daran, dass die Konkurrenz hinter ihnen her ist."

"Manchmal kommt eine gewisse Nervosität auf"

Frage: "Können Sie bei einer Grand-Prix-Übertragung ruhig auf dem Sofa sitzen?"
Berger: "Das kommt drauf an. Bei einem relativ faden Rennen schon. Aber heuer sind die Rennen so spannend, dass mir auch zu Hause bei der Übertragung nie langweilig geworden ist. Und da ich unsere Stärken und Schwächen genau kenne, gibt es schon Momente, in denen eine gewisse Nervosität aufkommt."

Frage: "Welche Grands Prix werden Sie vermissen, und bei welchen Destinationen sind Sie froh, jetzt daheim bleiben zu können?"
Berger: "Meine absoluten Lieblingsziele waren früher Rio und Adelaide. Tolle Städte. Auch nach Montreal und Budapest bin ich immer gern gefahren. Aber ich hatte es noch nie besonders eilig, nach Magny-Cours zu kommen."

"Mein Leben war immer komplett verplant"

Frage: "Was haben Sie vermisst in den vergangenen fünf Jahren?"
Berger: "Dasselbe, was ich schon in meiner Fahrerkarriere angefangen habe zu vermissen: Zeit. Mein Leben war immer komplett verplant. Jede Woche, jeder Tag. Und wenn dann tatsächlich einmal Urlaub anstand, dann habe ich mir vorher schon tausend Sachen überlegt, die ich dann unbedingt tun möchte. Es gelingt mir einfach nicht, in den Tag hinein zu leben."

Frage: "Welche Rolle hat Ihre Familie bei Ihrem Entschluss, den BMW-Vertrag nicht zu verlängern, gespielt?"
Berger: "Keine aktive in der Hinsicht, dass Anna oder die Kinder gesagt hätten, ich soll mit dem Job aufhören. Die wissen schon, dass man mich nicht anbinden kann. Aber ich will einfach mehr von ihnen mitbekommen. Ich habe viel verpasst. In den letzten Monaten hatten wir mehr Zeit füreinander, und ich spür, was sich daraus entwickelt. Trotzdem ist es noch nicht genug Zeit."

Zukunft noch völlig offen

Frage: "Wie stark beschäftigen Sie sich mit der Spedition Ihrer Eltern in Tirol?"
Berger: "Ich habe miterlebt, wie meine Eltern die Firma groß gemacht haben, und momentan steckt dieses ganze Gewerbe in einer schwierigen Phase. Es geht um Arbeitplätze, auch von Leuten, mit denen ich aufgewachsen bin. Insofern setze ich mich schon intensiv für die Spedition ein, ich halte das für eine ganz normale Pflicht. Aber ich gehe davon aus, dass ich da nicht ewig gebraucht werde. Ich werde sicher nie Fulltime- oder Vollblut-Spediteur."

Frage: "Nachdem Sie auch nicht faulenzen können - was machen Sie denn dann?"
Berger: "Das weiß ich noch nicht. Zuerst will ich mal schauen, ob oder wie arg mir die Arbeit im Motorsport fehlt. Falls ich ohne die Formel 1 nicht klarkomme, werde ich mich dort nach einer geeigneten Aufgabe umschauen. Es gibt aber einiges, was mich unternehmerisch außerhalb des Sports interessiert. Immobilien beispielsweise. Ich muss da jetzt nichts übers Knie brechen. Noch bin ich weit davon entfernt, so etwas wie die ersehnte Langeweile zu verspüren."