• 29.08.2010 11:00

  • von Dieter Rencken

Barrichello: "Ich kann mich an jedes Rennen erinnern"

Der Brasilianer im großen Interview vor seinem 300. Rennen über Erinnerungen an das Debüt, die guten alten Zeiten und seine neue Aufgabe in der GPDA

(Motorsport-Total.com) - Frage: "Eine weitere Platzierung in den Top 10 für dich..."
Rubens Barrichello: "Eine großartige! Grundsätzlich haben wir uns in den dritten Qualifying-Durchgang hinein gequetscht. Das war wie immer ein ziemlich harter Job."

Titel-Bild zur News: Rubens Barrichello

Rubens Barrichello mit Jubiläums-Overall und Lackierung vor dem 300. Rennen

"Das Team fragte mich, mit welchem Reifen ich glaube, schneller fahren zu können. Aufgrund der Probleme, die ich mit dem Auto hatte, dachte ich, dass der härtere Reifen mir die Möglichkeit gibt, schneller zu fahren. Das war dann auch so. Ich hatte eine gute Runde. Ich war in der Lage, mein bestes Qualifying des Jahres zu fahren."#w1#

Warum überhaupt auf Regen hoffen?

Frage: "Du verfügst unter wechselhaften Bedingungen über eine gute Statistik - auf welche Bedingungen hoffst du im Rennen?"
Barrichello: "Ich denke nicht, dass ich hoffen muss! Ich glaube, dass es wechselhafte Bedingungen geben wird! Es ist ziemlich offensichtlich, dass es so an jedem Tag sein wird."

"Ich denke, dass die Chance 60 Prozent beträgt, dass es nass ist. Ich muss einfach für jede Situation gerüstet sein. Ich ziehe nicht die eine oder andere vor."

Frage: "Wie sieht es bei dir mit den Intermediate aus, hast du noch zwei nicht angefahrene Sätze?"
Barrichello: "Hat man pro Rennwochenende drei Sätze?"

Frage: "Ich denke, es sind vier Sätze."
Barrichello: "Ich habe drei nicht verwendete Sätze. Ich hatte am ersten Tag mit der Lenkung Probleme, deswegen bin ich nicht viel im Nassen gefahren."

Barrichello kann sich immer noch überraschen lassen

Frage: "Du fährst nun dein 300. Rennen. Hast du schon alles gesehen, oder kann dich noch etwas überraschend?"
Barrichello: "Du hast niemals alles gesehen! Vor allem in Spa kann man nur sehr schwer sagen 'Ich war hier schon, ich habe hier schon alles gesehen'. Es kann sich alles verändern."

"Man muss nur das Qualifying anschauen, das war ein so wechselhaftes Qualifying. Erst war es in der fünften Kurve nass, dann in Kurve 14. Danach war es dort nicht mehr nass, stattdessen in der achten Kurve. Das hat einige Leute überrascht."

Jeder Regenschauer bringt Chancen

Frage: "Wie ist es, wenn du den Regen heranziehen siehst? Hast du dann Respekt davor oder das Gefühl, dass du deinen ersten Grand Prix unter diesen Bedingungen gewonnen hast?"
Barrichello: "Ja, eher so. Ich genieße es sehr. Aus diesem Grund lächle ich, wenn ich Regen sehen."

Frage: "Du denkst also, dass dir dies einen Vorteil verleihen kann?"
Barrichello: "Nun, das ist nicht immer ein Vorteil. Es ist einfach eine Chance, denn Regen bringt immer eine Chance mit sich."

Die Erinnerung an die erste Pole ist noch frisch

Frage: "Du hast dir deine erste Pole-Position unter ähnlichen Bedingungen geholt. Kannst du dich daran erinnern?"
Barrichello: "Ja, natürlich, das war so ähnlich wie heute. Das war eine sehr enge Entscheidung, für welchen Reifen man sich entscheidet."

"Ich kann mich daran erinnern, dass Eddie Irvine auf Regenreifen fuhr und ich mich für die Slicks entschied. Er fuhr tatsächlich eine ziemlich gute Runde. Er war in der Startaufstellung Vierter. Aber in der allerletzten Minute war ich in der Lage, das Auto so hinzubekommen, wie ich es wollte."

"Wahnsinn": Barrichellos Elefanten-Gedächtnis

Frage: "Wenn du sagst, dass Irvine Vierter war, kannst du dich an jedes einzelne deiner 300 Rennen erinnern?"
Barrichello: "Ja, das kann ich. Das ist wahnsinnig, denn meine Sammlung an Erinnerungen an all die Jahre ist beeindruckend. Ich arbeite nicht an einem Buch, aber wann auch immer ich Freizeit habe, schreibe ich sie nieder. Ich habe immer Freizeit, wenn ich auf die Flüge warten. Wenn ich zuhause in meiner Heimat Brasilien bin, habe ich nicht viel freie Zeit. Zum Beispiel habe ich die gesamten vergangenen drei Wochen mit den Kindern verbracht."

"Aber wann auch immer ich Zeit habe, versuche ich, mich an etwas zu erinnern und schreibe das nieder. Die Erinnerungen, welche ich nieder schreibe, sind sehr alte, zum Beispiel an meine Zeit im Go Kart, an die schwierigen und an die schönen Zeiten, die wir hatten."

"Es ist nicht so, dass ich da etwas vorbereite, es veröffentlichen möchte. Aber es ist einfach eine schöne Geschichte über eine Familie, die ein sehr knappes Budget hatte. Und jetzt hier zu sein, und 300 Grands Prix zu fahren, das ist schon eine Leistung."


Fotos: Rubens Barrichello, Großer Preis von Belgien


Frage: "Was sind deine Erinnerungen an dein erstes Rennen?"
Barrichello: "Das war ein anderes Klima, denn wir testeten unter kühlen Bedingungen und dann war es so unglaublich heiß. Die Erwartungen des Teams waren nicht groß. Sie verloren im Qualifying mit Ivan Capelli ein Auto. Ich war schneller als er, das war für mich gut. Ich qualifizierte mich auf Platz 14. Es war einfach ein positives Gefühl, mit von der Partie zu sein."

"Ich kam bis auf den siebten Platz nach vorne, lag zeitweise hinter Berger. Dann ließ mich das Getriebe im Stich. Ich wäre wohl in die Punkte gekommen. Ich kann mich noch daran erinnern, wie ich mir das Ende des Rennens angeschaut habe, und es dann gute Zweikämpfe im Nassen gab. Ich hätte wohl einen oder zwei Punkte geholt."

"Ich hatte mich zwar nur auf Platz 14 qualifiziert, was keine gute Leistung war. Aber im Rennen wurde die Leistung des Autos besser und besser. Einige Leute waren bereits ausgefallen und ich war bis auf den siebten Platz nach vorne gekommen. Das fühlte sich schon gut an."

Wie ein Wechsel der Schule

Frage: "Wie war es gewesen, sich als Grand Prix-Fahrer zu fühlen?"
Barrichello: "Das ist eine mentale Angelegenheit. Man muss sich einfach immer gut fühlen. Wenn man zum Beispiel die Schule wechselt, kann man sich auf zwei verschiedene Arten und Weisen fühlen: die Leute mögen mich nicht, aber ich habe sie auch nicht gefragt, oder die Leute mögen mich, denn sie schauen mich an."

"Das hängt davon ab, wie die eigene mentale Herangehensweise aussieht. Das ist wie ein Wechsel der Schule. Als ich das erste Mal in die Formel 1 kam, hat es Spaß gemacht."

War die "alte Formel 1" die bessere?

Frage: "Die Formel 1, in der du 1993 begonnen hat, und die heutige Formel 1 sind zwei völlig verschiedene Paar Schuhe. Hast du das Gefühl, dass du zur richtigen Zeit in die Formel 1 gekommen bist, oder glaubst du, dass die heutige Formel 1 für dich besser gewesen wäre?"
Barrichello: "Das Beste ist, dass ich mich an jede Veränderung gewöhnt habe, ohne dass ich das Gefühl hatte, dass jenes gut oder jenes schlecht war. Die bessere Formel 1 ist die heutige, wegen der Sicherheit."

"Natürlich habe ich heute weniger Zeit. Als ich 1993 das Qualifying beendet habe, hätte ich Golfspielen können, wenn ich es damals gemacht hätte. Man konnte Mansell und Prost damals Golf spielen sehen. In der heutigen Zeit gibt es für so etwas keine Zeit. Es gibt einfach viel mehr zu tun."

"Die Sponsoren zahlen mehr Geld, also wollen sie auch mehr. So ist die heutige Formel 1. Aber das habe ich ganz gut akzeptiert. Aber ich denke, dass ich zur richtigen Zeit in die Formel 1 gekommen bin. Ich war darauf vorbereitet, verfügte über die Geschwindigkeit und Jordan gab mir die Möglichkeit."

"Ich war schon immer ein Redner..."

Frage: "Was denkst du über deine neue Rolle in der GPDA? Bist du glücklich, sie zu haben?"
Barrichello: "Ich denke nicht, dass das eine allzu große Veränderung ist, außer der Tatsache, dass du nach vorne gehst und redest. Um ehrlich zu sein, ich war schon immer ein Redner. Die Ideen kommen nicht nur vom Direktor, sie kommen von allen. Leute wie Webber und de la Rosa haben gute Ideen und Herangehensweise. Aber Direktor zu sein ist keine allzu große Angelegenheit, man sagt einfach, was man denkt."

Frage: "Es geht also nicht allzu sehr um die Rolle des Anführers?"
Barrichello: "Nein."

Frage: "Es gibt aber schon einen Unterschied zwischen dir und Pedro de la Rosa und Nick Heidfeld, denn du bist ein aktiver Grand-Prix-Fahrer und sie waren Testfahrer. Sie hatten also mehr Zeit. Glaubst du, dass du als aktiver Fahrer angesichts deiner ganzen nebenher zu erledigenden Dinge ausreichend Zeit hast?"
Barrichello: "Tatsächlich habe ich diese Frage gestellt. Wenn es meine Aufgabe sein sollte, Orte zu besuchen und immer bei Treffen dabei zu sein, so habe ich diese Zeit nicht. Es ist in Ordnung, wenn ich mit der FIA und Jean Todt spreche. Ich bin glücklich, das machen zu können."

Barrichello "muss" wieder mit Jean Todt zusammenarbeiten

Frage: "Ist deine frühere Beziehung zu Jean Todt in deiner Rolle als Direktor der GPDA ein Vorteil oder ein Nachteil?"
Barrichello: "Das Leben geht weiter. Das muss positiv sein. Man hat Probleme im Leben, aber ich habe sie gelöst. Jedes Problem, das ich in der Vergangenheit hatte, habe ich gelöst. Die Sache ist geklärt. Er war großartig in dem, was er gemacht hat. Er hat beim Aufbau des Teams fantastische Arbeit geleistet. Ich bin mir ziemlich sicher, dass er für die FIA gute Arbeit leistet."

Frage: "Du bist in der Qualifikation vor Michael Schumacher gelandet. Ist es auch dein Ziel, im Rennen vor ihm zu liegen?"
Barrichello: "Das ist nicht mein Ziel. Mein Ziel ist es, für das Team so weit vorne wie möglich ins Ziel zu kommen. Wir haben aus den Top 10 mit beiden Autos großartige Chancen. Michael ist nicht mein größtes Ziel. Wenn man Weltmeister werden möchte, dann muss man alle schlagen. Da wurde nach dem Überholmanöver schon eine Situation aufgebaut. Aber mich stört das nicht, mir ist es egal, um wen es sich da handelt."