• 22.07.2009 09:12

Ascanelli: "In diesem Sport gibt es keinen Stillstand"

Toro Rossos Technischer Direktor Giorgio Ascanelli im Teaminterview über das umfangreiche Update, das sein Team am Hungaroring einsetzen wird

(Motorsport-Total.com) - In der langen Geschichte der Formel 1 war eine solide Entwicklungsarbeit selten so wichtig wie in dieser Saison. Aufgrund des allgemeinen Testverbotes sind die Teams dazu gezwungen, ihre Updates sorgfältig vorzubereiten, ehe die neuen Teile in den Rennbetrieb übergehen. Toro Rosso verzichtete bislang auf größere Neuerungen und bringt stattdessen in Ungarn ein großes Paket, von dem sich das Team einiges erhofft. Giorgio Ascanelli nahm im Teaminterview Stellung dazu.

Titel-Bild zur News: Giorgio Ascanelli

Giorgio Ascanelli kennt die Gründe, warum bei Toro Rosso Erfolge ausbleiben

Frage: "Giorgio, das Team schien in den vergangenen Rennen ans Ende der Startaufstellung zu rutschen. Warum verhielt sich das so?"
Giorgio Ascanelli: "Es gibt verschiedene Gründe, warum unsere Leistung nicht so gut war wie in der zweiten Hälfte des vergangenen Jahres. Punkt eins ist, dass die Fahrer ungeheuer wichtig sind. 2008 hat sich Vettel enorm weiterentwickelt und kam über die schwierige Phase hinweg, die jeder junge Pilot durchmachen muss - er begann zu verstehen, warum man langsam oder schnell ist."#w1#

"Ein zweiter Faktor ist, dass wir im vergangenen Jahr im Rahmen unserer eigenen Möglichkeiten einen anderen Weg als Red Bull eingeschlagen haben. Das trifft vor allem auf die Aufhängung und das Bremssystem zu, das sich vom Red-Bull-Auto unterschied. Drittens sind wir im vergangenen Jahr noch in einer Ära gefahren, in der die technischen Regeln für etwa ein Jahrzehnt stabil gewesen waren. Das Leistungsniveau flacht dann irgendwann ab und man kann nur schwer etwas komplett Neues bringen."

"In diesem Jahr hat die Entwicklungsgeschwindigkeit enorm zugelegt. Als kleiner Rennstall konnten wir da einfach nicht mithalten. Red Bull macht in jedem Monat riesige Schritte nach vorn, während wir für einen solchen Kraftakt einfach nicht die nötige Anzahl von Angestellten haben. Außerdem ist es für einen jungen und unerfahrenen Piloten wie Buemi sehr schwierig, sich daran zu gewöhnen, wenn wir neue Teile einführen."

Buemi genießt bei Toro Rosso noch Welpenschutz

Frage: "Darf man das als Kritik an Buemi verstehen?"
Ascanelli: "Ganz und gar nicht. Bislang hat er lediglich an neun Grands Prix teilgenommen und viermal war vorzeitig Schluss für ihn. Hinzu kommt freilich, dass wir überhaupt nicht testen und dass er nur sehr wenig Zeit im Auto verbringen kann. Kommt ein junger Fahrer in die Formel 1, dann ist er ein Draufgänger und geht Risiken ein. Doch mit der Zeit wird er einige Rückschläge erleiden."

"Kommt ein junger Fahrer in die Formel 1, dann ist er ein Draufgänger und geht Risiken ein." Giorgio Ascanelli

"Das kann am Selbstvertrauen nagen, was im Anschluss daran wieder aufgebaut werden muss. Wir können nicht von Buemi erwarten, dass er noch schneller lernt. Er gibt sein Bestes und macht einen guten Job. Man muss sich immer vor Augen halten, dass Vettel seinerzeit schon ein Jahr lang Testfahrer bei BMW gewesen ist und einen Grand Prix absolviert hatte, als er zu uns kam. Dennoch kam er bei seinem ersten Rennen nicht über Startplatz 18 hinaus - in Ungarn."

Frage: "Schon seit Wochen wird nur noch über dieses technische Update gesprochen. Was genau hat es damit auf sich?"
Ascanelli: "In Ungarn werden wir ein umfangreiches Update an den Start bringen. Es beinhaltet den Unterboden, den Heckflügel, dessen Endplatten, neue Bremsleitungen sowie eine Nase, die allerdings erst noch den Crashtest bestehen muss. Das ist also ziemlich viel. Wir haben so hart wie möglich gearbeitet, um dieses Modifikationspaket auf die Beine zu stellen. In diesem Jahr ist das viel schwieriger als die Arbeit in der vergangenen Saison."


Fotos: Toro Rosso, Großer Preis von Deutschland


RB5 und STR-04 sind nicht baugleich

Frage: "Ihr bekommt also keine neuen Teile von Red Bull Technology aus Großbritannien?"
Ascanelli: "Es gibt die Ansicht, wonach der einzige Unterschied zwischen unserem Auto und dem Red Bull darin besteht, dass wir unterschiedliche Motoren fahren. Das ist aber nicht richtig. Diese beiden Fahrzeuge unterscheiden sich beim Motor, dem Getriebe, der Kupplung, dem Hydrauliksystem, dem Wasser, dem Öl und den elektronischen Systemen. Hinzu kommen freilich noch die Aerodynamikteile auf dem Bodywork."

"Wir können nicht einfach irgendwelche Teile kopieren und bei unserem Auto anfügen." Giorgio Ascanelli

"Zusätzlich kompliziert wird die Sache noch dadurch, dass unser Auto darauf ausgelegt ist, das Ferrari-KERS zu verwenden. Dieses System unterscheidet sich deutlich vom Renault-KERS, anhand dessen der RB5 designt wurde. Wir können also nicht einfach irgendwelche Teile kopieren und bei unserem Auto anfügen. Es ging auch nicht darum, die Zeichnungen von Red Bull Technology zu bekommen und den Wagen anschließend einfach zu bauen."

"Die Fahrzeuge mögen zwar gleich aussehen, aber wenn man das Bodywork des einen Autos auf das andere übertragen würde, dann könnte man sehen, dass es nicht passen würde. Die hintere Aufhängung ist ebenfalls ein Unterscheidungsmerkmal. Um denselben Radstand zu erhalten, haben wir eine andere Anordnung gebraucht."

Red Bull legt vor, Toro Rosso zieht nach

Frage: "Wird das Update einen Leistungsvorteil bringen?"
Ascanelli: "Das kann ich beurteilen, sobald wir damit auf der Rennstrecke unterwegs gewesen sind."

Frage: "Wenn du euren Wagen mit der Ungarn-Spezifikation mit der Entwicklung von Red Bull vergleichen würdest - wo würdet ihr stehen?"
Ascanelli: "Das wäre dann ein Paket, das dem nahe kommt, was Red Bull beim Grand Prix in Großbritannien eingeführt hat."

"In diesem Sport gibt es nun einmal keinen Stillstand." Giorgio Ascanelli

Frage: "Wird es gut genug sein, um damit in die Punkte zu fahren?"
Ascanelli: "Das kommt ganz darauf an, welche Fortschritte die anderen Teams gemacht haben. In diesem Sport gibt es nun einmal keinen Stillstand. Es ist nicht so einfach wie zu sagen: 'Wir haben im vergangenen Jahr in der zweiten Saisonhälfte einen technischen Schritt nach vorne gemacht und konnten damit gut abschneiden, also wird das auch in diesem Jahr wieder passieren.'"

"2008 hätten die italienischen Medien gerne gesehen, wie ich mir auf die Brust klopfe und sage: 'Oh ja, ich bin unheimlich klug und habe es geschafft, unsere Vettern von Red Bull zu übertrumpfen.' Die Antwort auf die Frage nach dem Saisonende von 2008 ist schlicht und ergreifend: Vettel ist ein großartiger Fahrer. Ich war im vergangenen Jahr ein Genie - aber glaubt bloß nicht, dass ich in diesem Jahr ein Idiot bin!"