Ascanelli: "Es läuft niemals perfekt"
Exklusiv: Der Technische Direktor von Toro Rosso, Giorgio Ascanelli, zieht eine Zwischenbilanz zum Aufbau des Teams und spricht über seine Fahrer
(Motorsport-Total.com) - 17 Punkte aus neun Rennen: Toro Rosso belegt zur Saisonhälfte 2011 den siebten Platz in der WM-Gesamtwertung der Konstrukteure, doch mit dieser Zwischenbilanz kann sich Giorgio Ascanelli sehr gut arrangieren. Im Interview mit 'Motorsport-Total.com' spricht der Technische Direktor des aus Italien stammenden Rennstalls über die aktuelle Situation im Team und die Aussichten für die zweite Hälfte des Jahres. Laut Ascanelli kommt Toro Rosso in der Formel 1 nämlich immer besser in Fahrt.

© Red Bull/Getty
Giorgio Ascanelli ist mit den Fortschritten bei Toro Rosso überaus zufrieden
Frage: "Girgio, mit 17 Punkten liegt Toro Rosso derzeit auf dem siebten Platz der Konstrukteure. Wie lautet dein Zwischenfazit zur Saisonhälfte?"
Giorgio Ascanelli: "Zu Beginn des Jahres sagten wir uns, dass wir an neunter Stelle liegen und uns glücklich schätzen dürften, Platz acht zu belegen. Position neun wäre im Hinblick auf unsere Größe und unsere kurze Teamgeschichte zwar durchaus vertretbar, würde uns aber nicht zufriedenstellen."
"Deshalb fassten wir Platz acht ins Auge und nun rangieren wir sogar noch eine Stelle weiter vorne. Ich denke daher, wir sind ein bisschen besser als erwartet. Wir geben uns nicht der Illusion hin, den siebten Platz halten zu können, aber Platz acht wäre ebenfalls ein sehr ordentliches Ergebnis für uns."
Frage: "Die technischen Anlagen des Teams mussten massiv aufgestockt werden, denn früher wurde Toro Rosso ja auch von Red Bull Technology mitversorgt..."
Ascanelli: "Das ist so nicht korrekt. Wir erhielten Zeichnungen von einigen Teilen und etwa 60 Prozent dieses Materials stammten von Red Bull Technology. Das leugneten wir nie."
"Wir mussten diese Dinge anschließend - hauptsächlich - an unser Motorenumfeld anpassen. Es war nie der Fall, dass wir Bauteile von Red Bull bekamen. Wir mussten dergleichen stets von außen zukaufen, weil wir keine oder nur beschränkte Produktionsstätten hatten. Jetzt verfügen wir über die entsprechenden Anlagen, über eine Technikabteilung, Designer und über einen Windkanal."
"Zugegeben: Dieser Windkanal ist nicht auf dem neusten Stand der Dinge, aber immerhin besser, als überhaupt keinen Windkanal zu haben. Unsere technische Abteilung bauten wir zum größten Teil im Sommer 2009 auf, in diesem Jahr vergrößern wir unsere Produktionsanlagen. Jetzt wird das Chassis bei uns im Haus gemacht und auch 70 Prozent der Verbundstoffe produzieren wir selbst. Ich würde sagen, wir machen Fortschritte."
Der Aufbau ist schwierig, aber notwendig
Frage: "Damit wären wir bei meiner ursprünglichen Frage angekommen: 2009 begann der Aufbau des Teams und jetzt habt ihr diesbezüglich das Ziel erreicht, das ihr angepeilt hattet. Wie ist das Zusammenspiel dieser Elemente? Läuft alles perfekt?"
Ascanelli: "Es läuft niemals perfekt."
"Wir müssen versuchen, noch viel besser zu arbeiten. Ich zitiere einen Burschen, der viel klüger - und aus diesem Grund auch viel erfolgreicher - ist, als ich es bin. Ein gewisser Jean Todt sagte nach dem Titelgewinn 2000, dass es ihm in nur sieben Jahren gelungen sei, Ferrari zu einem Team zu formen."
"Als Herr Todt die Leitung dieses Rennstalls übernahm, lag Ferrari an zweiter Stelle der Formel-1-Hackordnung und trug das Erbe, eines der erfolgreichsten Teams in der Geschichte der Rennserie zu sein. Als wir vor zwei Jahren mit unserer Aufgabe begannen, waren wir lediglich 140 Personen. Jetzt haben wir knapp 300 Angestellte. Das ist eine wesentliche Vergrößerung."
"Beim Einstellen von Leuten machst du manchmal nicht alles richtig. Wenn du einen guten Mitarbeiter findest, musst du ihn erstmal dazu bekommen, nach Italien zu gehen. Das ist manchmal ein Vorteil, manchmal nicht. Du musst verstehen, was die Stärken und Schwächen des Einzelnen sind. Jeder kann irgendetwas besonders gut. Du musst nur herausbekommen, was diese eine Sache ist. Wir verbessern uns."
"Was uns sehr zufrieden stimmt, ist die Tatsache, dass wir den Windkanal in Bicester in Großbritannien nutzen. Meine früheren Erfahrungen mit Arbeiten auf der anderen Seite des Ärmelkanals, erstmals mit dem Ferrari von 1988/1989 und zum zweiten Mal 1995, wurden immer besser. Das lag wahrscheinlich daran, dass die Technologie eine so große Hilfe ist. Breitband-Verbindungen und Datenübermittlungen sind heute viel einfacher."
Frage: "In welchen Bereichen konnte sich das Team in den vergangenen zwei Jahren am meisten steigern?"
Ascanelli: "Auf technischer Seite natürlich. Um die Wahrheit zu sagen: Wir mussten das Chassis für 2010 im September 2009 entwerfen, hatten aber bis November 2009 keinen Zugang zum Windkanal. Das Chassis des vergangenen Jahres entstammte also mehr meinem Bauchgefühl als der Wissenschaft oder experimentaler Arbeiten."
"Beim aktuellen Auto ist es viel besser und technisch sind wir nun auch deutlich besser aufgestellt. Als ich Toro Rosso 2007 beitrat, hatten wir meiner Meinung nach 17 Ingenieure. Bis ich mich an sie gewöhnt hatte, waren es nur noch zwölf. Aktuell stehen wir bei 45 oder 48 Ingenieuren."¿pbvin|512|3905||0|1pb¿
Ist ein größeres Budget die Lösung?
Frage: "Das Team arbeitet aber nach wie vor unter den Vorgaben des Ressourcen-Restriktions-Abkommens, nicht wahr? Plant ihr eine Aufstockung?"
Ascanelli: "Das Budget schränkt uns ein. Alles Weitere musst du Herrn Mateschitz fragen."
"Unterm Strich musst du halt akzeptieren, dass wir nicht alle dieselbe Ehefrau haben können. Mit derselben Frau könnte es funktionieren, wenn du ihr Ehemann bist und ich ihr Lover. Anders funktioniert es nicht. Herr Mateschitz hat eine Strategie und er muss mit Red Bull Rennen gewinnen. Wir ziehen hingegen die jungen Fahrer heran. Das ist unsere Aufgabe."
"Es wäre nicht gerechtfertigt, mehr Geld dafür aufzubringen, um bessere Resultate zu erzielen. Was wir tun, ist, ihnen beizubringen, um was es in der Formel 1 geht. Sie sollen sich entwickeln. Wäre es gerechtfertigt, zehn Millionen mehr auszugeben, um in der Gesamtwertung eine Position weiter nach vorne zu gelangen. Wahrscheinlich nicht, denke ich."
Frage: "Aus der Sicht eines Ingenieurs klänge das aber doch verlockend..."
Ascanelli: "Ich als Ingenieur würde ich natürlich gerne besser abschneiden, ohne mehr Geld zur Verfügung zu haben. Die perfekte technische Aufstellung ist ohnehin die, bei der man Rennen gewinnt, ohne Geld auszugeben - und das geht nicht."
Frage: "In welchen Bereichen konnte sich das Team am meisten steigern?"
Ascanelli: "Überall. Wenn man nur in allen Bereichen Spitzentechnologie zum Einsatz bringt, verbessert man sich ganz automatisch drastisch."
Die Fahrer machen gute Fortschritte
Frage: "Kommen wir auf die beiden Fahrer, Jaime Alguersuari und Sebastien Buemi, zu sprechen. Wie entwickelt sich das Duo?"
Ascanelli: "In diesem Jahr punkteten wir in sechs von bisher neun Rennen. Zweimal konnten wir nicht in die Top 10 vordringen, weil wir Fehler begingen."
"Ich würde sagen, die beiden haben sich gemacht. Jeder von ihnen hat seine gewissen Stärken und Schwächen. Das ist aber nur natürlich. Bislang ist Sebastian an den Orten der Schnellere, an denen er auch schon 2010 der Schnellere war. Das Gleiche ist auch für Jaime der Fall. Sie entwickeln sich positiv und ihre Rückmeldung hat sich verbessert."
"Dessen sind sie sich bewusst. Was ihnen fehlt, ist die Möglichkeit, ohne Druck zu testen. Die Zeiten, in denen man 500, 600 Kilometer pro Tag abspulen konnte, ohne den Druck zu haben, sich Gedanken über das Setup für die Qualifikation , die Rennreifen oder die Strategie machen zu müssen, sind schon lange vorbei. Ich sage: Insgesamt leisten die beiden gute Arbeit."
Frage: "Apropos Testfahrten: Die Teamvereinigung FOTA denkt darüber nach, Testfahrten während der Saison zu einem gewissen Grad wieder einzuführen oder auch separate Tests für junge Fahrer abzuhalten. Was würde das für das Budget bedeuten?"
Ascanelli: "Das wäre ein Fehler."
"Wir können es uns kaum leisten, mehr zu tun als das, was wir im Augenblick tun. Es ist unweigerlich so, dass wir mehr Geld bräuchten, wenn wir mehr Kilometer abspulen würden. Entweder müssten wir Abstriche bei der Entwicklung machen oder irgendjemand wäre so weise, uns mehr Geld an die Hand zu geben."

