• 03.03.2010 20:30

  • von Christian Nimmervoll & Dieter Rencken

Anderson exklusiv: "Ich gebe nicht auf!"

US-F1-Teamchef Ken Anderson stellt sich im ausführlichen Interview einigen unangenehmen Fragen, gibt den Kampf aber noch nicht verloren

(Motorsport-Total.com) - Das Vorhaben, ein amerikanisches Formel-1-Team 2010 auf den Grid zu bringen, ist kläglich gescheitert, aber Ken Anderson will seinen US-F1-Traum noch lange nicht dauerhaft beerdigen: "Ich gebe nicht auf", sagt der gelernte Ingenieur im Gespräch mit 'Motorsport-Total.com', obwohl der Betrieb in Charlotte gestern eingestellt und die Belegschaft in unbezahlten Urlaub geschickt werden musste.

Titel-Bild zur News: Ken Anderson

Ken Anderson stellte sich heute einem für ihn sehr schwierigen Interview

Trotz der schwierigen Situation erklärte sich Anderson heute bereit, sich in einem halbstündigen Telefongespräch mit 'Motorsport-Total.com' einigen unangenehmen Fragen zu stellen. Der Amerikaner macht derzeit - verständlicherweise - einen höchst unsicheren Eindruck, muss über jede Aussage lange nachdenken. Doch obwohl selbst Bernie Ecclestone schon mit US F1 abgeschlossen hat ("Bye, bye, US F1!"), klammert er sich selbst an einen Strohhalm und sagt: "Bernie ist halt Bernie..."#w1#

Das Offensichtliche will und kann er aber nicht mehr verschweigen: Steht es nun definitiv fest, dass ihr 2010 nicht an den Start gehen werdet, Ken? "Ja", entgegnet er. "Während der Saison sind keine Testfahrten erlaubt und es macht keinen Sinn, zu den Rennen zu gehen, nur um irgendwie dabei zu sein. Das wäre für alle Beteiligten schlecht. Es war für alle neuen Teams schwierig, es zum ersten Test zu schaffen, aber wenn du Probleme hast und dann nicht testen darfst, dann ist es sehr schwierig, die Probleme zu lösen."

US F1 bietet einen Kompromiss an

Am Freitag war Charlie Whiting höchstpersönlich in Charlotte, um sich ein Bild von der Situation zu machen. Der FIA-Inspektor wurde mit einem Kompromissangebot im Koffer zurück nach Paris geschickt: US F1 erklärt sich bereit, bei der FIA "eine signifikante Summe" als Sicherheit zu hinterlegen, dafür soll der Startplatz bis 2011 reserviert werden. In Charlotte rechnet man bis Freitag mit einer Antwort, auch wenn man anderswo hört, dass die Chancen auf eine solche Vereinbarung gering sind.

"Wir warten auf Antwort von der FIA. Ich lege ihnen gerade ein paar Dinge dar und sie schauen sich das an", erklärt Anderson. "Wir reden hier von einer Einlage, die wir zurückbekommen würden, sobald wir dann am Start sind." Diese Praxis ist grundsätzlich nicht unüblich, denn früher musste jedes neue Formel-1-Team vor dem Einstieg bei der FIA eine Sicherheit in Höhe von 48 Millionen US-Dollar hinterlegen. Dieses Geld wurde dann in Raten zurückbezahlt. Auf diese Weise sollten Kurzlebigkeiten wie das Lola-Fiasko von 1997 verhindert werden.

"Wir warten auf Antwort von der FIA." Ken Anderson

Sollte der US-F1-Vorschlag von der FIA akzeptiert werden, "dann gibt es kein Problem", versichert Anderson. Gerade heute habe er Besuch von einem potenziellen Investor gehabt und deswegen das Interview um eine Stunde verschieben müssen; außerdem seien Gerüchte unwahr, wonach sich Hauptinvestor Chad Hurley ("Chad ist großartig") aus dem Staub gemacht habe: "Chad wäre auch weiterhin an Bord. Er würde nicht für das gesamte Geld aufkommen, aber er will weitermachen." Genau wie angeblich auch Peter Windsor.

"Bis Mitte Januar" sei man ohnehin "voll im Fahrplan" gewesen, "bis Schwierigkeiten mit einem Sponsor auftraten. Wir hatten Verträge unterschrieben, aber aus irgendeinem Grund... Und es gab Kommentare in der Presse und so weiter", erklärt Anderson mit stockender Stimme. Um welchen Sponsor es sich dabei handelte, ist nicht bekannt. Infolge dieses geplatzten Deals sei jedoch alles aus den geregelten Bahnen gelaufen.

Betrieb nur vorübergehend eingestellt?

Die logische Konsequenz war dann die gestrige Einstellung des Betriebs, über die nicht Anderson selbst informierte, sondern Produktionsleiter Dave Skog. Anderson pocht darauf, dass es sich dabei nur um eine temporäre Maßnahme handelt, solange keine Antwort der FIA vorliegt, denn: "Es macht keinen Sinn, viel Geld für die Entwicklung des Autos auszugeben, wenn die FIA nein sagt. Wenn sie ja sagen, können wir den Betrieb innerhalb von einer Woche wieder aufnehmen."

"Wenn sie 2011 noch einmal neu ausschreiben, dann gibt es nicht viele, die das haben, was wir haben. Wir haben ein Gebäude, wir haben das Equipment, wir haben die Leute", behauptet er. 90 an der Zahl sollen es zuletzt gewesen sein, davon allerdings viele auf freiberuflicher Basis. Mit diesem Personal sei es möglich, nach der Zusage der FIA "innerhalb von 30 Wochen" ein rennfertiges Auto auf die Beine zu stellen.

"Wir haben ein Gebäude, wir haben das Equipment, wir haben die Leute." Ken Anderson

Der Haken an der Sache: Sollte die FIA das Stefan-Team doch noch zulassen, dann wäre das Starterfeld mit 13 Rennställen voll besetzt. Laut Concorde-Agreement hat jedes Team, das in einer Saison maximal drei Grands Prix versäumt hat, für das Folgejahr automatisch eine Startplatzgarantie. Sprich: Wenn 2010 13 Teams an den Start gehen und diese nicht vorzeitig zusperren müssen, wäre für US F1 definitiv kein Platz mehr.

"Wir planen, im Spätsommer zu testen, um nächstes Jahr bereit zu sein", sagt Anderson unbeirrt und erinnert: "Wir haben unsere Nennung im Dezember 2008 eingereicht. Wir wollten im März das Gebäude beziehen, aber dann kam die Sache mit FIA und FOTA dazwischen, die Budgetobergrenze und so weiter. Wir wurden erst am 12. Juni von der FIA bestätigt und das Concorde-Agreement wurde erst am 31. Juli unterzeichnet. Mit so vielen verschenkten Monaten war es von Anfang an schwierig, die Zeit wieder aufzuholen."

Pläne für 2010 sind ad acta gelegt

"Wir haben alles getan, was wir tun konnten, bis Dinge passiert sind, die außerhalb unserer Macht lagen", stammelt er mit ernüchterter Stimme - und versichert: "Wir sind dazu in der Lage, ein Auto zu bauen. Es macht jetzt keinen Sinn mehr, ein 2010er-Auto zu bauen, sondern wir müssen jetzt ein 2011er-Auto bauen. Die Frage war nicht, ob wir es schaffen können oder nicht, sondern die Frage war, ob wir es rechtzeitig für Bahrain schaffen können."

"Wir haben im Dezember 2008 eingeschrieben - im Glauben, dass wir im März den Abzug ziehen können. Das ist nicht passiert", so Anderson. In der Anfangsphase des Projekts habe er den Businessplan "fast täglich" ändern müssen, denn erst war man auf eine Formel 1 ohne Budgetobergrenze eingestellt, dann auf eine Budgetobergrenze mit technischen Freiheiten für die Teams, die sich daran halten wollen - und dann wurde doch wieder alles über den Haufen geworfen. Klarheit herrsche erst seit August.

US-F1-Fabrik in Charlotte

Der Betrieb in der US-F1-Fabrik in Charlotte steht seit gestern Mittag still Zoom

Genau diese Stabilität ist es, die den US-F1-Teamchef zuversichtlich stimmt, es 2011 doch schaffen zu können, sollte man ihm nur die Chance dazu geben: "Jetzt haben wir genau die Situation, die wir uns ursprünglich gewünscht hatten, nämlich dass wir im März beginnen können und genug Zeit zur Vorbereitung haben." Auf die Frage, was er Kritikern entgegnen möchte, die sich nun in der Annahme bestätigt sehen, dass ein Formel-1-Team in den USA nicht funktionieren könne, fiel ihm allerdings keine plausible Antwort ein.

Seinen Lieblingssatz "Wir haben alles versucht" untermauert Anderson mit dem Verweis auf die vergangenen Wochen, in denen man sich bemüht habe, eine andere Lösung zu finden, wenn man schon kein eigenes Auto rechtzeitig auf die Beine stellen kann. Er bestätigt die von 'Motorsport-Total.com' enthüllten Verhandlungen über eine Partnerschaft mit Campos; später habe man auch Kontakt zu Zoran Stefanovic aufgenommen, der zwei fertige Toyota-Boliden hat.

Gespräche mit Campos, Stefan und Toyota

"Wir haben verschiedene Optionen in Betracht gezogen, um in Bahrain an den Start gehen zu können", bestätigt Anderson. "Eine davon war eine Partnerschaft mit Campos. Natürlich rufen wir nicht die Presse an und sagen: 'Hey, wir sprechen mit Campos!' Sie hätten die Autos gehabt, während wir etwas spät dran waren. Aber das hat nicht geklappt. Wir haben auch mit Stefan gesprochen, aber daraus wurde auch nichts. Wir haben alles versucht, damit man uns nicht vorwerfen kann, wir würden es nicht versuchen."

Vor einigen Wochen fand zudem ein Gespräch mit Toyota-Teampräsident John Howett statt. Anderson wollte sich erkundigen, ob die Möglichkeit besteht, jene 2010er-Boliden zu bekommen, mit denen nun Stefan plant. Aber: "Das war finanziell nicht machbar", gibt der Amerikaner zu. Man sehe daran jedoch, dass US F1 auch nicht aufgegeben habe, als man einsehen musste, dass man es mit den eigenen Autos nicht schaffen würde.

"Das war finanziell nicht machbar." Ken Anderson

Über die FIA sagt Anderson: "Sie sind sehr verständnisvoll und hilfreich. Niemand ist glücklich über diese Situation. Wir haben viel Zeit und Geld investiert, um in die Formel 1 zu kommen, und viele Leute haben darauf gezählt." Geschätzte 20 Millionen Euro wurden bisher nicht verbrannt, sondern genutzt, um etwas aufzubauen. Daher ist er überzeugt: "Wir können für nächstes Jahr einen wirklich guten Job machen."

Dass der ehemalige Technikchef des Ligier-Formel-1-Teams nicht aufgibt, verwundert nicht. Dass er sein Projekt irgendwie am Leben erhalten will, ist bewundernswert. Ob ihm freilich der nötige Abstand fehlt, um die Situation realistisch einschätzen zu können, ist eine andere Frage. Doch voraussichtlich wird sich die FIA ohnehin noch diese Woche zu Wort melden. Dann ist US F1 entweder endgültig Geschichte - oder es kommt ein weiteres Jahr des Rätselratens auf die Szene zu...