Analyse: Wie die Formel 1 Amerika erobert hat
"Drive to survive", drei Grands Prix in den USA, viele neue Fans und finanzkräftige Sponsoren: Die Formel 1 ist endlich angekommen in Amerika
(Motorsport-Total.com) - Miami ist in der Saison 2025 nur die erste USA-Station der Formel 1. Denn die Rennserie kehrt im Jahresverlauf noch zwei weitere Male in die Vereinigten Staaten von Amerika zurück. Das war aber nicht immer so: Lange tat sich die Formel 1 schwer damit, in den USA Fuß zu fassen. Doch jetzt scheint sie den so wichtigen US-Markt endlich richtig zu bedienen.

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US-Flagge im Wind an einer Rennstrecke Zoom
Wie das gelingen konnte? Darüber hat Motorsport-Total.com mit einigen Insidern gesprochen, allen voran mit Formel-1-Chef Stefano Domenicali, der auf eine "gezielte Strategie" verweist und sagt: "Wir wollten die Formel 1 den amerikanischen Fans näherbringen. Das war unsere Mission in den vergangenen fünf Jahren."
War diese Strategie erfolgreich? Nun, wäre Shakira Mathematikerin, hätte sie zweifellos zugestimmt, dass Zahlen nicht lügen - denn um bei diesem etwas angestrengten musikalischen Bild zu bleiben: Die Formel 1 hat Amerika erobert, ähnlich wie die Beatles in den 1960er-Jahren.
Formel-1-eigene Zahlen zeigen, dass es nun 52 Millionen Formel-1-Fans in den USA gibt - ein Anstieg von mehr als zehn Prozent gegenüber 2024-, während die Hälfte dieser Anhänger erst in den zurückliegenden fünf Jahren dazugekommen ist.
Auch die Einschaltquoten sind gestiegen: ESPN könnte zwar bald nicht mehr die Heimat der Formel 1 in den USA sein, doch das Live-Rennpublikum hat sich seit 2018 verdoppelt. Und auch im bisherigen Verlauf dieser Saison gab es bei den ersten fünf Rennen einen deutlichen Anstieg der Zuschauerzahlen.
"Die Formel 1 war global gesehen noch nie stärker, und das Wachstum in den Vereinigten Staaten ist einer der Haupttreiber unserer Entwicklung in den vergangenen Jahren," sagt Domenicali.
Wie die Formel 1 ihr Publikum erreicht
Dieses Wachstum gehe auf die Art und Weise zurück, wie die Formel 1 ihr neues Publikum erreiche: "Wir bieten den Fans das, was sie wollen, und zwar in einer Form, in der sie es konsumieren möchten", erklärt Domenicali.
"Wir müssen uns bewusst sein, dass wir zwar eine Sportart sind, unser Angebot und unsere Reichweite jedoch erweitert haben und wir nicht nur mit anderen Sportarten, sondern mit allen Formen von Unterhaltung konkurrieren. Es ist ein äußerst umkämpfter Bereich, in dem verschiedene Altersgruppen unterschiedliche Erwartungen an Marken und Unterhaltung haben."
Entscheidend ist aus seiner Sicht, die Formel 1 "über das ganze Jahre hinweg relevant zu halten", so Domenicali. Viel verspricht sich der Serienchef deshalb vom neuen Formel-1-Film, der 2025 in die Kinos kommt. "Das ist ein bedeutender Moment für unseren Sport, um neue Fans weltweit zu erreichen, besonders in den USA", sagt Domenicali.
F1-Film mit Brad Pitt: Der offizielle Teaser
Ein erster Teaserclip des neuen Formel-1-Films mit Brad Pitt, der im Sommer 2025 in die deutschen Kinos kommen soll. Weitere Formel-1-Videos
"Außerdem kommen neue Partnerschaften hinzu, die unsere Marke weiter im US-Markt verankern werden. Und natürlich wird Cadillac, eine ikonische amerikanische Marke, ab 2026 in der Startaufstellung vertreten sein. Denn kulturelle Relevanz in den USA zu haben, ist das Herzstück unserer Strategie."
Wie die Teams den Formel-1-Aufschwung erleben
Auch die zehn aktuellen Teams sind Teil dieser Strategie. Jefferson Slack, Geschäftsführer für Marketing bei Aston Martin, hat einen besonderen Einblick darin, wie sich die Fankultur in den USA entwickelt hat - zumal er auch die dunklen Stunden von Indianapolis 2005 miterlebt hat, als 14 Michelin-Fahrer aus Sicherheitsgründen nicht am Rennen teilnahmen.
Nun meint er: "Die Formel 1 hat den US-Markt geknackt. Sagen wir es mal so. Denn ich bin Amerikaner, und als ich jung war, spielte die Formel 1 für uns einfach keine Rolle."
"Bernie Ecclestone hat zwar einige Versuche unternommen. Aber ich werde nie vergessen, wie ich das Rennen in Indy gesehen habe, als die 14 Autos nach der Einführungsrunde abgebogen sind. Ich dachte nur: 'Okay, so gewinnt man keine Fans in den USA.'"
Der Netflix-Effekt für die Formel 1
Was hat aus Slacks Sicht letztendlich die Wende gebracht? Netflix - der mögliche künftige Rechteinhaber der Formel 1 in den USA - scheint eine große Rolle gespielt zu haben. Laut Slack hat "Drive to survive" als Formel-1-Serie "weltweite Auswirkungen gehabt, aber war besonders wichtig in den Vereinigten Staaten".
"Ich habe ständig Meetings mit Leuten wie mir, und ich frage: 'Magst du Formel 1?' Und ein Amerikaner sagt: 'Naja, ich verfolge es eigentlich nicht, aber meine Tochter im College liebt die Formel 1, also schauen wir zusammen.'"
Die Formel 1 ist also angekommen im amerikanischen Mainstream. Das sieht auch John Rowady als Gründer und Geschäftsführer der US-Marketingagentur rEvolution so: "Sie ist die einzige wirklich globale 'Superliga', die weltweites Fandom ermöglicht, ohne traditionelle Sportarten in den USA zu verdrängen."
"Amerikanische Sportfans schätzen Authentizität - und nun, da die Formel 1 authentisch und bedeutsam in den amerikanischen Markt und Zeitgeist eingetreten ist, verbinden sich die Fans, entdecken die Formel 1 und engagieren sich."
Warum auch Firmen auf den Zug aufspringen
Das von der Formel 1 aufgebaute Modell - zu dem auch drei Grands Prix pro Jahr in Austin, Miami und Las Vegas gehören - zieht nicht nur Fans, sondern auch amerikanische Marken an. Für Slack ist das kein Wunder: "Es gibt einfach keine vergleichbare globale Plattform."
"Jetzt liegt es an uns, das gut zu nutzen und zugleich sicherzustellen, dass wir das Fan-Engagement richtig gestalten, um das Interesse zu erhalten. Aber der Anfang war extrem erfolgreich - und die Formel 1 wächst weiter. 50 bis 75 der Top-100-Tech-Firmen sind schon engagiert. Das findet man so auf keiner anderen weltweiten Plattform."
Besonders US-Marken sind aktiv geworden: "Seit 2018 hat sich die Zahl der amerikanischen Partner in der Formel 1 mehr als verdoppelt," erklärt Bjorn Stenbacka von Spomotion Analytics.

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US-Konzern Visa ist einer der neuen Großsponsoren in der Formel 1 Zoom
"Im Jahr 2024 haben wir ein Allzeithoch von 115 erreicht, und 2025 wurde dieser Wert erneut geschafft. Mit weiteren Partnerschaften vor den anstehenden US-Rennen könnte 2025 sogar ein Rekord aufgestellt werden."
"Allerdings scheint das rapide Wachstum der vergangenen Jahre sich zu verlangsamen - die Zahl der US-Partner stabilisiert sich auf diesem hohen Niveau."
"Ferrari ist ein gutes Beispiel für die Reichweite amerikanischer Marken: Italien war historisch gesehen das Land mit den meisten Partnerschaften - doch im vergangenen Jahr haben die USA Italien überholt. Dieses Jahr sind beide Länder bisher gleichauf."
Hat die Formel 1 noch mehr Potenzial in den USA?
Da stellt sich die Frage: Wie weit kann die Formel 1 in Amerika noch wachsen - insbesondere angesichts der Konkurrenz durch etablierte Sportarten wie American Football, Basketball, Baseball, Eishockey und College-Sport sowie andere Rennserien?
"Es ist kein Entweder-oder", meint Slack. "Die NFL ist das beste Sportgeschäftsmodell, das je geschaffen wurde, aber es ist sehr US-zentriert. Wir dagegen erschließen eine globale Plattform. So großartig die NFL auch ist - sie ist nicht global. Die Formel 1 erreicht fast jeden wichtigen Markt der Welt. Keine andere US-Sportart schafft das."
Doch Domenicali betont: "Wir müssen respektvoll gegenüber den traditionsreichen US-Sportarten bleiben. Wir haben 24 Events im Jahr, andere Ligen haben jede Woche mehrere Spiele - das Angebot unterscheidet sich also."
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"Unser Ziel ist es, auf unserer leidenschaftlichen Fangemeinde und unseren fantastischen Partnerschaften aufzubauen und weiter zu wachsen."
"Die zurückliegenden fünf Jahre haben gezeigt, was möglich ist, und ich glaube, dass wir als Sport kulturelle Bereiche erreichen können, die andere nicht erschließen, und kommerziell ein einzigartiges globales Angebot bieten. Wir lieben es, in den USA Rennen zu fahren, die Fans sind unglaublich leidenschaftlich - und wir stehen erst am Anfang."
Wo die Formel 1 noch Nachholbedarf hat
Rowady wiederum zeigt auf, wo die Formel 1 noch Nachholbedarf gegenüber etablierten US-Sportarten hat, die "tief in lokalen Communitys verwurzelt sind", wie er es beschreibt. "Das verfälscht die Analyse der großartigen Erfolge der Formel 1 in den USA."
"Der eigentliche Erfolgsfaktor ist die demografische Entwicklung. Im Vergleich zu den großen vier Sportligen hat die Formel 1 ein jüngeres Publikum, insbesondere viele 16- bis 24-Jährige und viele Frauen."
"In den USA ist der durchschnittliche Formel-1-Fan zwischen 32 und 35 Jahre alt - deutlich jünger als im American Football (50 Jahre), Basketball (42), Baseball (57) und Eishockey (49)."

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Fans in Austin Zoom
"Die Formel 1 muss nicht um das 40- bis 50-jährige Publikum werben, sie erreicht bereits die Generationen Z und Alpha, die künftigen Meinungsführer und Konsumenten Amerikas."
"Dank der verstärkten Einbindung amerikanischer Unternehmen durch Sponsoring und kommerzielle Entwicklung wird zudem das amerikanische Wirtschaftswachstum angetrieben. Das episodische Engagement der Formel 1 in den USA vor 2018 ist damit endgültig vorbei", meint Rowady.
Defizite sieht er hingegen bei der Monetarisierung. Lizensiertes Merchandising gelinge US-Ligen beispielsweise besser als der Formel 1, wo viele Angebote "schwer zugänglich, nicht vorhanden oder überteuert" seien.
"Obwohl der 'Formel-1-Lifestyle' in den USA sehr begehrt ist, bleibt die Marke für viele unnahbar", erklärt Rowady. "Das ist ein Hindernis auf dem Weg zur Massenbeliebtheit, wie sie die anderen großen US-Ligen schon erreicht haben."


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