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  • 10.10.2008 14:55

  • von Christian Nimmervoll & Dieter Rencken

Analyse: Sparen ja, aber nicht um jeden Preis

Alle sind sich einig, dass in der Formel 1 gespart werden muss, sogar über viele Vorschläge herrscht ein Konsens - Streitpunkt ist der Einheitsmotor

(Motorsport-Total.com) - Die Kostendiskussion gibt es in der Formel 1 schon seit vielen Jahren, doch nie zuvor wurde sie in einer Intensität geführt, wie das im Moment der Fall ist. Hinter den Kulissen scheint es derzeit kaum noch ein anderes Thema zu geben, vor allem seit einem Zeitungsinterview, in dem Bernie Ecclestone einen einheitlichen Motor für alle Teams gefordert hat.

Titel-Bild zur News: Start in Valencia 2008

Die Zukunft der Formel 1 ist hinter den Kulissen weiterhin ein heißes Thema

Damit könnten nach Ansicht des Formel-1-Promoters und seines Kompagnons Max Mosley bis zu 95 Prozent der derzeitigen Motorenbudgets eingespart werden. Diese Zahl mag utopisch klingen, wäre aber gar nicht unrealistisch: Mit einem Einheitsmotor könnte man die Entwicklungsabteilungen komplett auflösen und selbst die Produktionskosten würden bei nur noch zwei erlaubten Motorwechseln pro Saison klarerweise enorm zurückgehen.#w1#

Hersteller strikt gegen den Einheitsmotor

Zum Einheitsmotor wird es jedoch nicht kommen, denn die sechs in der Formel 1 engagierten Hersteller würden die Königsklasse dann mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit geschlossen verlassen. Das können sich Ecclestone und Mosley nicht leisten. Honda-Geschäftsführer Nick Fry lehnt den Einheitsmotor entschlossen ab: "Das ist keine Zukunft, an der wir teilnehmen möchten", stellte er heute gegenüber 'Motorsport-Total.com' klar.

"Uns ist wichtig, dass wir unsere Kompetenz als Motorenhersteller unter Beweis stellen können. Das geht aber auch mit einer strengeren Motorenformel", fügte er an. "Wir begrüßen die Diskussionen über Einsparungen im Motorenbereich und wir unterstützen eine viel strengere Motorenformel, seien es die Zylinder, die verwendeten Materialien, die Drehzahl oder andere teure Elemente des Motors. Darüber kann man reden."

"Uns ist wichtig, dass wir unsere Kompetenz als Motorenhersteller unter Beweis stellen können." Nick Fry

Was die Hersteller nicht wollen, ist "ein Motor, der uns in die Tage des Cosworth DFV zurückversetzt", so Fry. Cosworth war zwar nie vom Reglement vorgeschriebener Monopolist, belieferte aber jahrelang fast alle Teams mit Ausnahme von Ferrari. So eine Situation gilt heutzutage als ausgeschlossen. Fry: "Der Motor ist das Herz des Autos und Honda ist ein Motorenhersteller. Ich glaube, das sehen die anderen Automobilfirmen in der Formel 1 genauso."

Toyota-Teampräsident John Howett ist in diesem Punkt auf einer Wellenlänge mit Honda und sieht noch weitere Gründe, warum ein Einheitsmotor kontraproduktiv wäre: "Wenn man die heutige Serientechnologie betrachtet, dann passieren viele gegenwärtige Entwicklungen im Motorenbereich, zum Beispiel ein Hybridzusatz, direkte Benzineinspritzung, Leichtgewichtsmaterialien und so weiter. Viele dieser Dinge kommen aus der Formel 1."

Einheitsmotor offiziell kein Thema

Bezüglich Einheitsmotor haben auch noch gar keine Verhandlungen mit der FIA stattgefunden, stellte Howett klar, sondern das Thema sei nur durch das Ecclestone-Interview in den Medien aufgekommen. Auch Fry macht sich daher keine großen Sorgen, was diese Angelegenheit betrifft: "Es sind riesige Kostensenkungen möglich, ohne dass das Gesicht der Formel 1 verändert wird. Das müssen wir untersuchen. Ich glaube, dass sich die Vernunft durchsetzen wird."

Derzeit kostet ein einziger Formel-1-Motor bis zu 300.000 Euro. Für unabhängige Teams, die ihre Motoren von einem Hersteller kaufen müssen, ergibt sich dadurch pro Jahr eine Rechnung von teilweise weit über zehn Millionen Euro. Insofern ist es kein Wunder, dass beispielsweise Colin Kolles von Force India die Einführung eines Einheitsmotors grundsätzlich begrüßen würde. Auf jeden Fall müsse man im Motorenbereich Einsparungen vornehmen, sagte er gegenüber 'Motorsport-Total.com'.

"Ich bin für alles, was uns Geld spart." Colin Kolles

"Ich bin für alles, was uns Geld spart", so Kolles, "aber wenn es keine Formel 1 mehr gibt, bringt es uns nichts." Einen Ausstieg der Hersteller zu provozieren, wäre daher unsinnig. Aber Force India tritt für langlebigere Motoren statt eines Einheitsmotors ein: "Wenn ich einen Motor baue, der acht oder zehn Rennen hält, dann brauche ich nicht mehr 45 oder 46 Motoren pro Jahr, sondern nur noch 20. Und wenn man die Weiterentwicklung einfriert, senkt man auch die Kosten."

Dem Force-India-Teamchef ist klar, dass ein Einheitsmotor für BMW und Co. eine Katastrophe wäre, schließlich definieren sich die Hersteller gerade über die Motorentechnologie, die sie in der Formel 1 in die weltweite Auslage stellen. Kolles: "Um diese Leute zufrieden zu stellen, müssen wir einen Mittelweg finden. Wir müssen ein Konzept finden und es einfrieren. Und warum ist es in der DTM möglich, mit einem Motor die Saison durchzufahren, aber in der Formel 1 nicht?"

Standardisierung als Kompromiss

Der 40-Jährige plädiert stark für eine Standardisierung mancher Komponenten, was gegenwärtig erstmals auch von den Herstellern weitgehend begrüßt wird. Selbst Honda zeigt sich kompromissbereit: "Wir müssen feststellen, was das Herz der Formel 1 ist. Ich finde, zur DNA zählt der Motor, ein einzigartiges Chassis, aber sicher nicht das komplette Bremssystem, um ein Beispiel zu nennen", betonte Fry gegenüber 'Motorsport-Total.com'.

Wichtig ist den Herstellern nur, dass die Formel 1 die Königsklasse des Motorsports bleibt, denn "niemand will die Formel 1 zu einer zweiten A1GP-Serie machen", warnte Fry vor allzu dramatischen Standardisierungsbemühungen. Vieles könnte man aber sehr wohl vereinheitlichen, beispielsweise das Getriebe, Teile des Bremssystems oder sogar das Monocoque. Die Zuschauer auf den Tribünen und vor den TV-Geräten würden davon nicht einmal etwas mitbekommen.

"Niemand will die Formel 1 zu einer zweiten A1GP-Serie machen." Nick Fry

Kolles erläuterte den Grundgedanken hinter solchen Maßnahmen gegenüber 'Motorsport-Total.com': "Eine Zehntel pro Kurve sind zwei Sekunden pro Runde. Das ist mit freiem Auge nicht wahrnehmbar. Die Autos würden gleich klingen, gleich aussehen, wären auf den Geraden genauso schnell wie bisher. Die Frage ist, wo man sparen kann und wie effizient das Geld eingesetzt wird. Diese zwei Sekunden kosten sehr viel Geld."

Force India ist das derzeit am schwächsten finanzierte Team - doch selbst dort war die Kostenexplosion in den vergangenen Jahren enorm: 2006 betrug das Jahresbudget unter Midland-Führung noch umgerechnet 40 Millionen Euro, zu Spyker-Zeiten waren es schon 55 und mittlerweile investiert die Truppe nicht zuletzt dank des Engagements von Multimilliardär Vijay Mallya umgerechnet über 90 Millionen Euro pro Saison.

Formel 1 muss rentabel sein

Dieser Zustand ist laut Kolles nicht mehr tragbar: "Dieser Sport ist zu teuer geworden. Kein einziges Team im Paddock würde unter normalen Umständen überleben", erklärte er uns im Fahrerlager in Fuji. "Es gibt derzeit nicht die Möglichkeit, 100 Millionen Dollar über Sponsoren zu finanzieren. Ich glaube, das kann nicht einmal McLaren, denn McLaren würde ohne Mercedes auch kein funktionierendes Business sein."

Denn es gibt einen gravierenden Unterschied zwischen Herstellerteams und unabhängigen Rennställen: Die Herstellerteams haben nicht nur eigene Motoren, sondern werden in der Regel auch noch aus den Konzernkassen massiv subventioniert. Diese Unterstützung fehlt Force India, Williams, Red Bull und Toro Rosso, gleichzeitig müssen sie aber auch noch die Rechnung für die Motorenhersteller bezahlen.

"Es gibt derzeit nicht die Möglichkeit, 100 Millionen Dollar über Sponsoren zu finanzieren." Colin Kolles

Zumindest finden momentan "sehr konstruktive" (Mario Theissen) Gespräche statt, nicht zuletzt dank der Gründung der Formula One Teams Association (FOTA). In dieser Interessensgemeinschaft arbeiten Herstellerteams und unabhängige Rennställe zusammen, um ein gemeinsames Zukunftsreglement zu entwickeln. Schaffen sie das nicht, müssen sie am Ende möglicherweise wieder das akzeptieren, was ihnen von der FIA vorgesetzt wird.

Ein Punkt, der zuletzt nicht mehr aktiv diskutiert wurde, ist die Einführung einer Budgetobergrenze - sehr zum Bedauern von BMW Motorsport Direktor Theissen: "Ich persönlich bin überrascht, dass diese Idee so früh in diesem Jahr begraben wurde. Ich sehe darin Potenzial." Auch um die Kommission von FIA-Mann Tony Purnell, der mit der Ausarbeitung eines Konzepts für eine Budgetobergrenze beauftragt wurde, ist es ruhig geworden.

So konstruktiv wie noch nie

Generell gehen die aktuellen Bestrebungen laut Theissen jedoch in die richtige Richtung: "Meiner Meinung nach sind die Diskussionen unter der Schirmherrschaft der FOTA sehr konstruktiv, sogar die konstruktivsten, die ich in der Formel 1 je erlebt habe, weil allen Teams klar ist, dass wir etwas unternehmen müssen. Wir müssen etwas erreichen - und das funktioniert nur, wenn wir uns auf einen gemeinsamen Vorschlag einigen können", sagte er im Rahmen einer Pressekonferenz.

Howett wünscht sich indes, dass die derzeitige Finanzmarktkrise nicht missbraucht wird, um Schnellschussmaßnahmen durchzusetzen, die am Ende doch keiner so richtig will: "Hoffentlich können wir die Politik in diesen Diskussionen einmal hinter uns lassen und uns auf die wahren Fakten konzentrieren, auf die echten Probleme. Dann werden wir auch Lösungen finden", gab der Toyota-Teampräsident zu Protokoll.

"Hoffentlich können wir die Politik in diesen Diskussionen einmal hinter uns lassen." John Howett

Eine kurzfristige Maßnahme, die von den Herstellern jedoch überwiegend als sinnvoll betrachtet wird und die theoretisch sofort greifen könnte, ist eine Ausdehnung der Motorenlebensdauer von zwei auf drei Rennwochenenden. Mit einem rigoroseren Drehzahllimit (derzeit maximal 19.000 Umdrehungen pro Minute) wäre das ab 2009 durchzusetzen, ohne dass die Homologierung aufgeweicht werden muss. Das würde nämlich auch wieder Geld kosten.

Unabhängig von der Spardebatte gibt es natürlich noch andere Ansätze, um die finanzielle Situation der zum Teil arg gebeutelten Teams - man denke nur an den Schuldenberg von Williams - zu verbessern und wieder ein gesundes Gleichgewicht bei den Budgets herzustellen. Einer davon ist, die Teams noch stärker am Einnahmentopf der Formel 1 zu beteiligen. Derzeit werden davon 50 Prozent nach einem komplizierten Erfolgsschlüssel ausgeschüttet.

Auch einnahmenseitig Handlungsbedarf

"Wir arbeiten an den Einnahmen der Serie", bestätigte Fry gegenüber 'Motorsport-Total.com'. "Leider war unser Ausgangspunkt eine Situation mit einer sehr geringen Einnahmenbeteiligung. Wir haben uns einen etwas größeren Teil des Kuchens erarbeitet, was gut ist, aber als Teams wünschen wir uns noch mehr. Andererseits will Bernie natürlich auch mehr. Das sind kommerzielle Verhandlungen, die durchgeführt werden müssen."

Der Haken an der Sache: Ecclestone hat sich erst kürzlich zum 50-Prozent-Kompromiss erweichen lassen und will nicht schon wieder mehr Geld abtreten. Das würde außerdem das Einverständnis seiner Partner von CVC erfordern, die damit wohl keine Freude hätten. Aber einnahmenseitig kann man den Teams ja auch helfen, indem die Gesamteinnahmen erhöht werden, schließlich sind 50 Prozent von mehr Geld immer noch mehr Geld, auch wenn es 50 Prozent bleiben.

"Wir brauchen einen sehr guten Promoter wie Bernie." Nick Fry

Die Streichung des Rennens in Montréal für 2009, durch die erstmals seit über vier Jahrzehnten nicht mehr auf dem so wichtigen nordamerikanischen Markt gefahren wird, ist den Herstellern diesbezüglich ein gewaltiger Dorn im Auge. Allerdings wurde in dieser Angelegenheit ohnehin noch nicht das letzte Wort gesprochen. Auch ein USA-Grand-Prix soll mittelfristig wieder in den Kalender aufgenommen werden. Indianapolis ist momentan kein Thema.

Voll eingeschlagen hat dafür - auch auf kommerzieller Ebene - das erste Nachtrennen der Formel-1-Geschichte vor zwei Wochen in Singapur. Dafür kassierte Ecclestone seitens der Teams jede Menge Lob: "Wir brauchen einen sehr guten Promoter wie Bernie, der fantastische Dinge wie den Singapur-Grand-Prix auf die Beine stellen kann", erklärte Honda-Mann Fry stellvertretend für all seine Kollegen gegenüber 'Motorsport-Total.com'.