Der Krieg der Supercomputer

52 Meter lang und zehn Tonnen schwer: Renaults Supercomputer Mistral und das CFD-Zentrum in Enstone unter der Lupe

(Motorsport-Total.com) - Die Zugangsstraße zu Renaults unterirdischer Wunderwelt im englischen Enstone erinnert an die berühmte Bathöhle aus dem legendären Comic-Klassiker Batman: Plötzlich steht man vor einem Tor, hinter dem sich offensichtlich ein streng gehütetes Geheimnis verbirgt. Mit dem feinen Unterschied, dass darin nicht Albert die Arbeit verrichtet, sondern Mistral.

Titel-Bild zur News: Renault-Supercomputer Mistral

Der Renault-Supercomputer Mistral setzt in der Formel 1 neue Maßstäbe

Das Renault-Team setzt seit Juli 2008 auf den Supercomputer Mistral, einen der 100 stärksten Rechner der Welt. Damit folgte man dem Weg des BMW Sauber F1 Teams, das 2007 mit Albert2 endgültig das Zeitalter der Supercomputer in der Formel 1 einläutete. Doch die Franzosen entwickelten die Idee weiter, bauten sogar ein unterirdisches Gebäude, in dem der Rechner sowie die Büros der CFD-Ingenieure untergebracht sind.#w1#

Mistral hat Rechenpower von 4.000 Standard-PCs

Ein eigenes Gebäude für einen Computer - ist das nicht etwas übertrieben? Ausgerechnet in einer Zeit, in der man in der Formel 1 ständig vom Sparen spricht? Die Dimensionen von Mistral sorgen für Verständnis: Der Computer ist 52 Meter lang, wiegt zehn Tonnen. Und er hat die Rechenpower von 4.000 Standard-PCs.


Fotos: Renaults CFD-Zentrum in Enstone


Mistral weist eine Rechenleistung von 38 Teraflops auf, das sind 38.000.000.000.000 Rechenoperationen pro Sekunde. Zum Vergleich: "Klassenprimus" Albert3 kommt auf 50,7 Teraflops, Vorgänger Albert2 kam auf zwölf, der von Williams eingesetzte Lenovo-Supercomputer schafft acht Teraflops. Auch die Speicherkapazität von Mistral kann sich sehen lassen: Die Festplatte würde 14 Millionen iPod-Tracks Platz bieten.

Renault investierte 50 Millionen Euro

Bathöhle? Der Eingang zu Renaults neuem Technologiezentrum Zoom

Diese unglaubliche Leistung verlangt eine enorme Kühlung. Aus diesem Grund arbeitet der Computer unter der Erde, wo die Temperatur stabil bleibt. 1,5 Meter unter der Oberfläche beträgt die Temperatur das gesamte Jahr über rund zehn Grad Celsius, dadurch benötigt man weniger Energie, um das Gebäude zu erwärmen oder abzukühlen. Der Bau des Technologiezentrums samt Computer kostete Renault 50 Millionen Euro. Da auch Boeing und Nissan die Einrichtung nützen, deckt man so einen Teil der Kosten ab.

Doch wozu der Aufwand? Renault nützt die Rechenleistung vor allem, um die Oberfläche der Karosserie zu simulieren und damit die Aerodynamik zu verbessern. Das spart Zeit, denn man kann Aerodynamiklösungen aussortieren, ohne für den Windkanal extra Teile anzufertigen. Zudem verfügt man über Möglichkeiten, die ein herkömmlicher Windkanal nicht bietet: Die Verbrennung im Motor sowie der Gasstrom im Auspuff können simuliert werden.

Supercomputer günstiger als Windkanal?

"CFD kann ständig weiterentwickelt und aufgerüstet werden, das ist bei einem Windkanal nicht möglich." Bob Bell

Laut Renaults Technischem Direktor Bob Bell trägt der Einsatz eines Supercomputers sogar dazu bei, die Kosten zu senken. Er argumentiert: "Windkanäle sind in der Formel 1 fast so etwas wie ein Allgemeingut. CFD (Computational Fluid Dynamics beziehungsweise numerische Strömungsmechanik; Anm.) kann hingegen im Laufe der Zeit ständig aufgerüstet und weiterentwickelt werden, um mehr Leistung abzurufen. Das ist bei einem physischen Windkanal nicht möglich."

Supercomputer sind zwar aus der Formel 1 nicht mehr wegzudenken und bei allen Teams im Einsatz, bis jetzt hat sich diese Technologie aber noch nicht als Erfolgsgarant entpuppt. Virgin-Technikchef Nick Wirth verließ sich bei der Konstruktion des VR-01 zu 100 Prozent auf Computersimulationen und verzichtete gänzlich auf einen Windkanal. Dass dieser Weg Risiken birgt, bewiesen schon die ersten Testfahrten: Bei Timo Glocks Boliden brachen Front- und Heckflügel, auch der Speed des Auto beeindruckte bisher nicht.

Supercomputer kein Erfolgsgarant

Dem BMW Sauber F1 Team gelang zwar 2008 der erste Sieg, im Jahr darauf blieb man jedoch deutlich hinter den Erwartungen zurück. Ähnlich geht es Williams, wo man seit Jahren Probleme mit der Aerodynamik hat. Und auch Renault erlebte im Vorjahr, als Mistral erstmals voll in die Konstruktion des Boliden einbezogen war, eine enttäuschende Saison. Kurios ist, dass der Mann, der das derzeit beste Formel-1-Auto designte, immer noch auf sein altes Zeichenbrett schwört: Red Bulls Stardesigner Adrian Newey.

"CFD ist nur ein Werkzeug, letztendlich hängt es von den Menschen und ihren Ideen ab, ob man Erfolg hat." Nick Wirth

Und der bricht eine Lanze für den guten alten Windkanal: "Bei CFD gibt es Fallen und Einschränkungen. Ich muss für jede Veränderung der Variablen einen neuen Versuch starten, zum Beispiel wenn sich die Bodenfreiheit ändert. Im Windkanal kannst du gleich 20 verschiedene Konstellationen hintereinander durchlaufen lassen. In anderen Worten: Ein Versuch im Windkanal ist das Gleiche wie 20 Durchläufe in CFD."

Sogar Nick Wirth - ein Verfechter der CFD-Technologie - erklärt im Interview mit 'Motorsport-Total.com', warum ein Supercomputer kein Erfolgsgarant ist: "CFD ist ein Werkzeug, um aerodynamische Antworten zu bekommen - genau wie zum Beispiel auch ein Windkanal. Aber letztendlich hängt es von den Menschen und ihren Ideen ab, von den Formen, die sie designen. Das Werkzeug sagt nur, ob eine Idee besser oder schlechter ist als eine andere."