Formel-1-Saison 2011 im Rückspiegel: Mercedes

Mercedes ist 2011 im Vergleich zur Premierensaison noch weiter zurückgefallen, aber Michael Schumacher bewies immerhin großes Kämpferherz

(Motorsport-Total.com) - Während die Teams hinter den Kulissen längst ihren neuen Autos den letzten Feinschliff verpassen, nimmt die Redaktion von 'Motorsport-Total.com' den Jahreswechsel zum Anlass, die Formel-1-Saison 2011 noch einmal unter die Lupe zu nehmen. Unsere Experten Marc Surer und Pit Lane geben ihre Einschätzungen ab und analysieren, was falsch oder richtig gemacht wurde. Heute: Mercedes.

Titel-Bild zur News: Michael Schumacher, Lewis Hamilton

Michael Schumacher hat 2011 einige Male mit tollen Zweikämpfen begeistert

Als ehemaliger Journalist weiß Norbert Haug, wie er seinen Optimismus glaubwürdig verkaufen muss, aber 2011 hörten sich seine mit vielerlei Zahlenspielen angereicherten Interviews häufig nach Durchhalteparolen an. Denn Mercedes hat es nicht geschafft, eines der drei Topteams zu überholen und damit die vom Vorstand geforderte Verbesserung in der WM-Wertung zu erreichen - und auch die Einzelergebnisse waren nüchtern betrachtet ein gar nicht mal unerheblicher Rückschritt.

Bahrain 2010: Im Nachhinein ein Highlight...

Als Nico Rosberg und Michael Schumacher beim großen Silberpfeil-Comeback in Bahrain 2010 mit den Plätzen fünf und sechs 18 Punkte sammelten, wurde dies zunächst als schwere Niederlage empfunden. Doch in den folgenden 37 Rennen in den Jahren 2010 und 2011 gelang es dem "deutschen Nationalteam" nur ein einziges Mal, dieses Ergebnis zu übertreffen - mit den Plätzen vier (Schumacher) und fünf (Rosberg) beim Grand Prix der Türkei 2010.

In der vergangenen Saison sammelte Mercedes 165 Punkte - eine Marke, die man im Premierenjahr schon vier Rennen vor Schluss erreicht hatte. "Ich wundere mich immer über die Aussagen, dass alles vorwärts geht, denn in meinen Augen ist es eher rückwärts gegangen", analysiert 'Motorsport-Total.com'-Experte Surer. "Es gibt keine Podestplätze, weniger Punkte - 2011 ist es also faktisch betrachtet definitiv eher schlechter geworden als besser."

¿pbvin|512|4295||0|1pb¿Aber: "Es gab auch ein paar Highlights. Das Auto war nicht auf allen Strecken schlecht, sondern vor allem auf schnellen Strecken haben sie verdammt gut ausgesehen", räumt der 82-fache Grand-Prix-Teilnehmer ein. Das zeigte sich erstmals in Schanghai, wo Rosberg in der Anfangsphase 14 Runden lang führte, und später noch einmal in Spa-Francorchamps, wo es immerhin noch zu drei Führungsrunden reichte.

Aber Mercedes war auch auf schnellen Strecken nicht dazu in der Lage, eine solche Performance ein ganzes Rennen lang zu halten. "Manchmal hatten sie mit den Pirelli-Hinterreifen Probleme", weiß Surer, "aber man muss den Technikern zugute halten, dass sie dieses Überhitzen bis zum Saisonende mit vielen kleinen Änderungen an der Luftführung und so weiter in den Griff bekommen haben. Das ist etwas Positives."

Sogar vom Kundenteam unter Druck gesetzt

"Dann hatten sie Probleme mit dem Schließen des Heckflügels - zumindest hat sich Michael ein paar Mal darüber beklagt, dass der Anpressdruck nicht sofort kam", erinnert sich der 60-Jährige an die Schwierigkeiten mit dem verstellbaren Heckflügel (DRS). "Das sind Unzulänglichkeiten, über die man sich gewundert hat, speziell wenn Force India als Privatteam mit dem gleichen Motor oft vor ihnen rumfahren konnte. Das muss schon wehtun, wenn man Mercedes heißt."

Was fehlte, waren die Highlights in der Ergebnisliste: Rosberg wurde in Schanghai und Istanbul jeweils Fünfter und sammelte in der zweiten Saisonhälfte regelmäßig Punkte, doch mehr als der siebte WM-Schlussrang war gegen die Red-Bull-, McLaren- und Ferrari-Stars utopisch. Dafür kann sich der 26-Jährige an die Brust heften, die Legende Schumacher im Qualifying-Duell erneut mit 16:3 dominiert zu haben.

Lewis Hamilton, Nico Rosberg

Schanghai: Nico Rosberg führt zu Beginn und sorgt für eines der Highlights 2011 Zoom

Trotzdem attestieren die Experten auch dem 43-jährigen Rekord-Weltmeister eine Steigerung im Vergleich zu seiner Comeback-Saison. Schumacher hat es zwar in den Qualifyings nicht geschafft, die phasenweise doch eklatante Lücke zu seinem Teamkollegen zu schließen, sorgte dafür aber mit herzerfrischenden Rennauftritten für Begeisterungsstürme unter seinen eingeschweißten Fans. Lohn dafür: Kein anderer Fahrer hatte am Jahresende mehr Überholmanöver gezeigt.

"Michael hat im Rennen sicherlich einen sehr aggressiven Fahrstil, was uns als Kommentatoren riesig Freude bereitet hat", lobt Surer. "Ich erinnere mich zum Beispiel an das Rennen mit Intermediates in Montreal, wo wir den alten Michael gesehen haben. Das gelang ihm nicht immer, aber sein Rennspeed war viel besser als sein Qualispeed. Bei jemandem, der noch vor ein paar Jahren auf Befehl schnellste Runden in Serie drehen konnte, ist schwer nachvollziehbar, warum das so ist."

Schumacher mit großem Kämpferherz

Seine Klasse stellte Schumacher auch in Monza unter Beweis, wo er in der Anfangsphase über zehn Runden lang dem Druck von Lewis Hamilton im an und für sich überlegenen McLaren standhalten konnte. Zwar verteidigte er sich das eine oder andere Mal am Rande der Legalität, wie einige Beobachter fanden, doch die Rennleitung sprach keine Strafe gegen ihn aus. Sein bestes Ergebnis war allerdings nicht der fünfte Platz beim Italien-, sondern der vierte beim Kanada-Grand-Prix.

Dort schnupperte Schumacher beim Regen-Abbruch-Chaos-Grand-Prix, der insgesamt über vier Stunden dauerte, erstmals wieder an einem Podium - und in einer Formel 1 ohne DRS und KERS hätte er den Podestplatz wahrscheinlich sogar vor Mark Webber und dem späteren Sieger Jenson Button ins Ziel gerettet. Absolutes Highlight: Als er beim Restart nach der Safety-Car-Phase neben Leader Sebastian Vettel auftauchte, schien für ein paar Sekunden sogar ein Sieg in Griffweite...

¿pbvin|512|4293||0|1pb¿Das legt die Frage nahe: Kann Schumacher seinen Aufwärtstrend weiter fortsetzen und 2012 sogar die Nummer eins bei Mercedes werden? "Nein", glaubt Surer. "Wenn es so wäre, wäre es schon längst passiert - dann hätte es 2011 passieren müssen. Nico hatte das Stallduell aber immer ganz klar im Griff und ich denke, das Team weiß genau, dass die Zukunft von Mercedes Nico Rosberg heißt. Michael hat aber ein paar tolle Rennen abgeliefert. Somit hat er Mercedes - kombiniert mit der Werbewirksamkeit, die von ihm ausgeht - sicher einen guten Dienst erwiesen."

Stichwort Mercedes: Wenn ein selbsterklärtes deutsches Nationalteam mit einem siebenfachen Weltmeister und einem aufstrebenden Star an den Start geht, aber in zwei Jahren keinen einzigen Sieg holt, muss man objektiv betrachtet von einer Enttäuschung sprechen. Aber die Stuttgarter lassen sich im Gegensatz zu anderen Automobilherstellern von Enttäuschungen nicht aus der Ruhe bringen und leiten stattdessen Neuerungen in die Wege, um auf die Erfolgsspur zurückzufinden.

Teamchef Brawn erhält Verstärkung

Also wurde das in Zeiten der Wirtschaftskrise propagierte Effizienz- und Sparsamkeits-Credo unauffällig beiseite geschoben und in Umstrukturierungsmaßnahmen investiert. Insgesamt arbeiten nun fünf (!) ehemalige Technische Direktoren in der Fabrik in Brackley, um den Silberpfeilen neues Leben einzuhauchen: Teamchef Ross Brawn, Loic Bigois (vormals Prost) und dazu die Neuzugänge Bob Bell (Renault), Geoff Willis (HRT) und Aldo Costa (Ferrari).

"Mit der Neugliederung für nächstes Jahr muss es einen Schritt vorwärts gehen - zumindest sollten sie den Anschluss schaffen", sagt Surer. Aber besteht nicht auch die Gefahr, dass zu viele Köche den Brei verderben könnten? "Das kann sein", urteilt der Experte aus der Schweiz, früher selbst aktiver Formel-1-Pilot. "Meine einzige Hoffnung ist Ross Brawn, denn er ist ein hervorragender Stratege. Ich traue ihm zu, dass er die Leute richtig einsetzt."

Michael Schumacher, Norbert Haug, Nico Rosberg und Ross Brawn

Der Mercedes-V8-Motor war 2011 eher Stärke als Schwäche Zoom

Die sollten es rein von ihrer Kompetenz her auch schaffen, endlich ein von Anfang an konkurrenzfähiges Auto zu bauen, das keine konzeptionellen Fehler aufweist. Denn genau wie schon 2010 waren die Mercedes-Designer auch 2011 monatelang damit beschäftigt, Probleme zu lösen - und fielen im Entwicklungsrennen immer weiter zurück. Erst gegen Saisonende schien die Formkurve wieder leicht nach oben zu zeigen.

"Es war wie letztes Jahr: Als sie nichts mehr weiterentwickelt haben, wurde das Auto besser und besser, was nicht für die technische Mannschaft spricht", kritisiert Surer. "Die ist jetzt verstärkt, also können wir darauf hoffen, dass es im neuen Jahr besser wird, aber grundsätzlich war das ein Schwachpunkt. Sie haben zu lange gebraucht, um etwas auf die Reihe zu bekommen. Als sie vom seitlichen Auspuff auf den angeströmten Diffusor gewechselt haben, war es ein Drama, bis es endlich funktioniert hat."

Pit Lane über Mercedes:

Pit Lane

Fünf ehemalige Technikchefs, kann das gutgehen? Einen Versuch ist's wert... Zoom

Saisonstatistik:

Link: Mercedes in der großen Formel-1-Datenbank

Team:

Konstrukteurswertung: 4. (165 Punkte)
Siege: 0
Pole-Positions: 0
Schnellste Rennrunden: 0
Podestplätze: 0
Ausfallsrate: 18,4 Prozent (6.)
Durchschnittlicher Startplatz: 8,9 (4.)

Qualifyingduelle:

Schumacher vs. Rosberg: 3:16

Michael Schumacher (Startnummer 7):

Fahrerwertung: 8. (76 Punkte)
Gefahrene Rennen: 19/19
Siege: 0
Podestplätze: 0
Pole-Positions: 0
Schnellste Rennrunden: 0
Durchschnittlicher Startplatz: 10,3 (8.)
Bester Startplatz: 5.
Bestes Rennergebnis: 4.
Ausfallsrate: 26,3 Prozent (18.)

Nico Rosberg (Startnummer 8):

Fahrerwertung: 7. (89 Punkte)
Gefahrene Rennen: 19/19
Siege: 0
Podestplätze: 0
Pole-Positions: 0
Schnellste Rennrunden: 0
Durchschnittlicher Startplatz: 7,5 (7.)
Bester Startplatz: 3.
Bestes Rennergebnis: 5.
Ausfallsrate: 10,5 Prozent (5.)

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