Formel-1-Saison 2011 im Rückspiegel: Williams

Williams, einst bestes Team der Formel 1, war 2011 nur das Schlusslicht der etablierten Rennställe - Pastor Maldonado überraschend auf Augenhöhe mit Rubens Barrichello

(Motorsport-Total.com) - Während die Teams hinter den Kulissen längst ihren neuen Autos den letzten Feinschliff verpassen, nimmt die Redaktion von 'Motorsport-Total.com' den Jahreswechsel zum Anlass, die Formel-1-Saison 2011 noch einmal unter die Lupe zu nehmen. Unsere Experten Marc Surer und Pit Lane geben ihre Einschätzungen ab und analysieren, was falsch oder richtig gemacht wurde. Heute: Williams.

Titel-Bild zur News: Pastor Maldonado

Das Williams-Team war 2011 nur noch ein Schatten seiner früheren Tage

Noch in den 1990er-Jahren zählte die in Grove beheimatete Traditionstruppe zu den erfolgreichsten Teams der Formel 1. 2011 - traurig, aber wahr - war Williams der schlechteste der etablierten Rennställe. Gerade mal fünf Punkte sammelten Routinier Rubens Barrichello und Rookie Pastor Maldonado, mit zwei neunten Plätzen und einem zehnten Platz. Das bedeutet in anderen Worten, dass Williams nach dem alten Sechser- (bis 2002) oder Achter-Punktesystem, wie es bis Ende 2009 gültig war, keinen einzigen Zähler geholt hätte.

"Ein Trauerspiel" ist das laut Surer, schließlich konnte Williams im Gegensatz zu 2010 auch keine einzelnen Highlights setzen - im Vorjahr schrieb das Team in Valencia und Silverstone sogar zweistellig an und in Sao Paulo fuhr Nico Hülkenberg sensationell auf Pole-Position. Doch schon während der Wintertests schrillten die ersten Alarmglocken, obwohl die Designer große Hoffnungen in die radikale Heckpartie mit innovativem Getriebe gesetzt hatten. Nach und nach zeichnete sich dann ab, dass Williams auch während der Saison kein Umschwung gelingen würde.

Heads Lücke konnte nicht gefüllt werden

Dabei sind viele immer noch davon überzeugt, dass Williams in Grove mindestens über die Ressourcen eines vorderen Mittelfeldteams verfügt. Aber: "Es gab zwei Probleme", analysiert Surer die Talfahrt in den vergangenen Jahren. "Patrick Head, der Technische Direktor, ist alt geworden, ist nicht mehr ganz up-to-date. Also wollte man das Ganze auf Sam Michael abwälzen, aber der war einfach nicht gut genug dafür. Dann haben sie Michael immer mehr aufgehalst, bis er irgendwann völlig überfordert war."

Sam Michael

Sam Michael wechselt 2012 als Sportlicher Direktor zu McLaren Zoom

Michael war 2001 von Jordan (Renningenieur von Ralf Schumacher und später Heinz-Harald Frentzen) zu Williams gekommen, zunächst als Leitender Ingenieur an der Rennstrecke. 2004 übernahm er die Agenden des Technischen Direktors Patrick Head, der damals seinen stufenweisen Rückzug einzuleiten begann - auch auf Wunsch des damaligen Motorenpartners BMW, der sich einen Umbruch in der Technikabteilung wünschte. Nach diesem Wechsel gewann Williams nur noch einen einzigen Grand Prix - 2004 in Sao Paulo mit Juan Pablo Montoya.

Nach dem katastrophalen Saisonstart 2011 wurde die Personalie Michael erstmals in Frage gestellt - und ein paar Monate später war eine Umstrukturierung beschlossene Sache: Der Australier packte seine Koffer gemeinsam mit Jon Tomlinson, dem Chefaerodynamiker. Stattdessen kamen mit dem ehemaligen McLaren-Ingenieur Mike Coughlan (bekannt durch die Spionageaffäre des Jahres 2007), Jason Somerville und Mark Gillan drei Hochkaräter an Bord, die sich schon in der zweiten Jahreshälfte 2011 einleben konnten und 2012 von Beginn an funktionieren sollen.

Auf die bestehenden Probleme mit dem FW33 hatte das neue Trio freilich nur geringen Einfluss. Das gilt auch für die leidigen Sorgen mit dem Hybridsystem KERS, "mit dem sie immer rumgedoktert haben. Dadurch hatten sie weniger Zeit dafür, das Auto abzustimmen", glaubt Surer. "Klar, Williams hat dieses Schwungrad-KERS im Porsche, das aber mit dem KERS für die Formel 1 nichts zu tun hat - das ist eine ganz andere Kategorie."

Eigenes KERS ein entscheidender Fehler?

"Im Porsche funktioniert das KERS hervorragend, also wissen sie schon, womit sie es zu tun haben. Aber auf die Schnelle ein KERS zu entwickeln, wo du als Gegner Ferrari, Magneti-Marelli, Mercedes oder Renault hast, die ja schon in der Vergangenheit Hybriderfahrung gesammelt haben, war schon eine Fehlentscheidung. Man hätte da irgendwo einkaufen müssen", kritisiert der ehemalige Formel-1-Pilot den Mut zur Verwendung eines eigenen Produkts.

"Damit haben sie viel Zeit verloren, denn ich erinnere mich: Am Jahresanfang sind sie häufig rumgestanden, weil das KERS nicht gegangen ist oder sie daran basteln mussten. Dadurch haben sie vielleicht auch in der Weiterentwicklung den Faden verloren", vermutet Surer. "Aber das Hauptthema ist für mich, dass Sam Michael mit der Aufgabe überfordert war. Er ist vielleicht ein guter Techniker, aber kein guter Technischer Direktor. Das war zu viel für ihn."

¿pbvin|512|4295||0|1pb¿Über weite Strecken kämpfte Williams gegen Teams wie Toro Rosso und später auch Sauber in den hinteren Q2-Regionen. Beim Saisonfinale in Sao Paulo wäre man im Qualifying beinahe erstmals von einem der drei neuen Teams, Lotus, geschlagen worden. Allerdings hatte man 2011 zu jenem Zeitpunkt bereits abgehakt, um die Ressourcen der Fabrik in Grove auf 2012 konzentrieren zu können - in der Konstrukteurs-WM ging es ja ohnehin um nichts mehr.

Eine der positivsten Erscheinungen bei Williams in der vergangenen Saison war Pastor Maldonado, 2010 immerhin GP2-Champion und in den Nachwuchsserien als großer Monte-Carlo-Spezialist bekannt. Der Venezolaner ersetzte dank einer Mitgift von angeblich mehr als 20 Millionen Euro aus seiner Heimat Vorgänger Nico Hülkenberg. Surer: "Man dachte vor Saisonbeginn, dass Maldonado als Bezahlfahrer dem Team sportlich nicht dienlich sein würde, aber genau das Gegenteil war der Fall und er fuhr von Anfang an auf dem Niveau von Barrichello."

Maldonado besser als Hülkenberg?

In der zweiten Saisonhälfte, als an Routinier Rubens Barrichello die ungewisse Zukunft zu nagen begann, war Maldonado gefühlt sogar der schnellere Williams-Pilot. Andererseits leistete er sich im letzten Rennen einen unnötigen Fehler. Das Gesamturteil fällt trotzdem positiv aus: "Bezahlfahrer gilt als Schimpfwort, aber wenn einer so starke Leistungen bringt, weiß man auch, warum ihn jemand mit so viel Geld unterstützt. Es war erfrischend zu sehen, wie er dem alten Barrichello eingeheizt hat", lobt Surer.

Die starke Performance des 26-Jährigen kam für viele überraschend, schließlich hatte er das GP2-Stallduell 2009 noch mit 0:10 verloren. Teamkollege damals: Nico Hülkenberg. Im Nachhinein betrachtet hat Williams für den umstrittenen Fahrerwechsel am Ende der Saison 2010 zwar viel Kritik einstecken müssen, doch im Vergleich mit Barrichello hat Maldonado nüchtern betrachtet besser abgeschnitten als sein deutscher Vorgänger.

¿pbvin|512|4293||0|1pb¿"Ich denke, für Hülkenberg kam die Formel 1 ein bisschen zu schnell", sagt Surer. "Er war in den Nachwuchsserien meistens nur ein Jahr lang im besten Team und ist gleich Meister geworden, auch in der GP2. Es ging alles ganz leicht, aber dann kam der Schock, dass in der Formel 1 alles viel schwieriger ist. Nico war einfach noch nicht reif, aber ich bin mir sicher, dass er nächstes Jahr gut aussehen wird. Als Fahrer und als Persönlichkeit hat ihm dieses Jahr vielleicht sogar gut getan."

Ganz ähnlich, wie einst Felipe Massa davon profitiert hat, dass er 2003 auf die Ersatzbank abgeschoben wurde: "Er wurde von Ferrari in den Sauber gesetzt. Man hat gesehen: Der kann zwar schnell fahren, aber er kriegt es nicht auf die Reihe. Dann war er auch ein Jahr Testfahrer - und als er zu Sauber zurückkam, war er reif", erinnert sich Surer. "Genau das Gleiche ist mit Hülkenberg passiert: Er war zwar schnell, darüber kann man nicht diskutieren, aber es immer auf die Reihe zu kriegen, ist halt doch eine andere Fähigkeit. Die hatte er offensichtlich noch nicht."

Wachablöse hinter den Kulissen

Hülkenberg feiert 2012 bei Force India seine Rückkehr in den Grand-Prix-Zirkus, aber ob auch das Williams-Team eine weitere Chance erhalten wird? Fest steht: Frank Williams (69) und Patrick Head (65) sind nur noch eingeschränkt beziehungsweise, im Fall von Head, sporadisch für den Rennstall tätig. Zwar ist Williams nach wie vor Mehrheitseigentümer, aber mit Anteilseigner Toto Wolff (40) und Vorstandschef Adam Parr (46) bahnt sich hinter den Kulissen schon seit längerer Zeit eine geplante Machtübernahme an.

Experten äußern an der neuen Garde jedoch häufig die Kritik, dass sie im Gegensatz zu Williams/Head in erster Linie Geschäftsmänner und keine Racer sind. Surer stimmt dem nur zum Teil zu: "Einem Toto Wolff würde ich zutrauen, dass er so etwas leiten könnte, aber er müsste sich dann voll darauf konzentrieren - er macht das ja auch nebenbei, aber du kannst ein Formel-1-Team nicht führen, wenn du nicht immer dabei bist."

Rubens Barrichello und Pastor Maldonado

Pastor Maldonado war 2011 eine der positiven Überraschungen Zoom

Stattdessen hat Williams seiner Meinung nach kein klassisches Personal-, sondern vielmehr ein Führungsproblem - selbst Frank Williams ist ja bei weitem nicht mehr bei allen Rennen persönlich anwesend, vor allem aus gesundheitlichen Gründen. "Mir fehlt im Moment der Kopf in diesem Team. Frank Williams ist gesundheitlich limitiert, kann sich nicht mehr um alles kümmern", zeigt Surer Verständnis für den gerade stattfindenden Generationswechsel.

"Daneben gibt es einen Anwalt, der zwar fantastische und erfrischende Ideen hat, was die Formel 1 angeht - ich finde es immer interessant, mit ihm zu diskutieren -, aber ein Team zu führen ist eine Mischung aus Rennfahrerinstinkt und Technikverständnis. Ich fürchte, beides fehlt Adam Parr", kritisiert der Schweizer. "Toto Wolff wäre vielleicht gut darin, aber er müsste sich mehr darum kümmern. Der könnte das wohl, weil er Benzin im Blut hat, wie ich gemerkt habe, aber nur so nebenbei kann man Formel 1 nicht machen - das hat Niki Lauda mal bei Jaguar versucht. Das ging in die Hose, und zwar völlig. Für einen täglichen Job als CEO musst du hundertprozentig dabei sein."

Wolff will nicht Teamchef werden

Eine Rolle, die Wolff gar nicht für sich in Anspruch nimmt. Zwar kann sich der Österreicher theoretisch vorstellen, weitere Anteile zu übernehmen, aber in erster Linie sieht er sich als Geschäftsmann. Dass er Benzin im Blut hat, kann er jedoch nicht abstreiten, denn seine Investmentfirmen Marchfifteen und Marchsixteen engagieren sich neben Williams auch bei anderen Motorsport-Rennställen, unter anderem beim Mercedes-Werksteam in der DTM, HWA.

Patrick Head und Frank Williams

Ist die Zeit von Patrick Head und Frank Williams in der Formel 1 abgelaufen? Zoom

"Es sind immer die Menschen, die die Formel 1 machen", dementiert Surer, dass die Zeit der Garagisten-Enthusiasten endgültig vorbei ist. "Das beste Beispiel ist Adrian Newey bei Red Bull. Schlussendlich hängt so ein Team an wenigen Köpfen. Außer McLaren gibt es eigentlich kein Team, wo man das Gefühl hat, dass jeder ersetzbar ist. Bei allen anderen Teams geht nichts vorwärts, wenn nicht die richtigen Köpfe da sind. Deswegen glaube ich nicht, dass man generell sagen kann, die Zeit, wo einzelne Haudegen der Formel 1 ihren Stempel aufdrücken können, ist vorbei. Nur: Williams und Head sind zu alt geworden - ihre Zeit ist abgelaufen."

Außerhalb der Formel 1 freilich ist es Williams gelungen, sich als breit aufgestelltes Unternehmen international zu etablieren. Die auf KERS basierende Hybridtechnologie wird nicht nur an Porsche verkauft, sondern auch für U-Bahn- und andere Verkehrsanwendungen entwickelt. Zudem bietet Williams verschiedene Fahrsimulator-Programme für Spediteure an oder auch Lern-DVDs für britische Schulen. Hinzu kommt noch das Technologiezentrum in Katar, das primär für Forschungsarbeiten genutzt wird.

Geschäftliches Highlight des Jahres 2011 war aber sicher der Börsengang in Frankfurt. Die Williams-Aktie wurde mit einem Wert von 25 Euro erstnotiert und steht derzeit bei rund 20 Euro - das heißt, durch den Börsengang wurden bisher 50 Millionen Euro an Unternehmenswert vernichtet. Allerdings handelt es sich dabei ja keineswegs um ein kurzfristiges Projekt - und sobald es sportlich aufwärts geht, wird wohl auch die Aktie positive Impulse setzen können...

Pit Lane

Pit Lane ist Williams-Fan und schreibt das Team daher immer noch nicht ab Zoom

Pit Lane über Williams:

Saisonstatistik:

Link: Williams in der großen Formel-1-Datenbank

Team:

Konstrukteurswertung: 9. (5 Punkte)
Siege: 0
Pole-Positions: 0
Schnellste Rennrunden: 0
Podestplätze: 0
Ausfallsrate: 24,3 Prozent (11.)
Durchschnittlicher Startplatz: 14,7 (9.)

Qualifyingduelle:

Barrichello vs. Maldonado: 10:9

Rubens Barrichello (Startnummer 11):

Fahrerwertung: 17. (4 Punkte)
Gefahrene Rennen: 19/19
Siege: 0
Podestplätze: 0
Pole-Positions: 0
Schnellste Rennrunden: 0
Durchschnittlicher Startplatz: 14,8 (19.)
Bester Startplatz: 11.
Bestes Rennergebnis: 9.
Ausfallsrate: 16,7 Prozent (14.)

Pastor Maldonado (Startnummer 12):

Fahrerwertung: 19. (1 Punkt)
Gefahrene Rennen: 19/19
Siege: 0
Podestplätze: 0
Pole-Positions: 0
Schnellste Rennrunden: 0
Durchschnittlicher Startplatz: 14,6 (16.)
Bester Startplatz: 7.
Bestes Rennergebnis: 10.
Ausfallsrate: 31,6 Prozent (25.)