• 27.03.2014 12:25

  • von Dieter Rencken & Stefan Ziegler

Eine Formel für alle? Lob und Kritik für die neuen Regeln

Was dem einen gefällt, stört den anderen massiv: Die Formel 1 erntet für ihr neues Reglement einerseits viel Lob, muss aber auch reichlich Kritik einstecken

(Motorsport-Total.com) - Die Formel 1 hat sich verändert. So viel steht fest. Und das ist ganz offensichtlich. Oder besser: deutlich hörbar. Denn die Antriebsstränge der Generation 2014 sind wesentlich leiser als die bisherigen V8-Motoren. Das ist zwar nur eine der vielen Änderungen, vielleicht aber die am meisten diskutierte im Fahrerlager der Formel 1. Und teilweise wird ein vernichtendes Urteil über sie gefällt.

Titel-Bild zur News: Nico Rosberg, Lewis Hamilton, Daniel Ricciardo, Kevin Magnussen

Start in eine neue Ära: In Melbourne begann vor zwei Wochen die neue Formel-1-Saison Zoom

Weltmeister Sebastian Vettel macht vor dem Großen Preis von Malaysia in Sepang, dem zweiten Formel-1-Saisonrennen 2014 (im Live Ticker verfolgen!) jedenfalls keinen Hehl aus seiner Sicht der Dinge und nahm ganz sicher kein Blatt vor den Mund. Für ihn ist der neue Formel-1-Sound nämlich schlicht und ergreifend "scheiße". Er empfinde den V6-"Staubsauger" als eine Enttäuschung.

"Leider mache ich die Regeln nicht, sonst hätten wir einen schönen V12-Motor im Heck. Und die Batterien wären im Handy, da wo sie hingehören", meint Vettel, der den Lärm bisheriger Formel-1-Autos schon jetzt schmerzlich vermisst. Wie Abhilfe zu schaffen sein könnte, weiß aber auch er nicht: "Mal eben in den Shop fahren und ein neues Endrohr kaufen, ist wahrscheinlich nicht so einfach."

Neue Geräuschdimension für die Fans vor Ort

"Es wäre halt schön, wenn man den Motor hört und nicht die quietschenden Reifen", meint Vettel. "Wir sind ja schließlich nicht auf dem Verkehrs-Übungsplatz." Doch was der aktuelle Formel-1-Champion so vehement kritisiert, stößt bei anderen im Fahrerlager auf große Gegenliebe. Graeme Lowdon, Sportdirektor bei Marussia, bezeichnet sich zum Bespiel als großen Fan der neuen Formel-1-Regeln.

Und er liebt auch die neue Geräuschkulisse, wie er bei 'Sky Sports Online' betont. "Der Sound ist nun nicht mehr so dominant. Die Zuschauer an der Strecke hören nun auch ganz andere Geräusche. Ja, es ist viel leiser, aber so hört man halt auch mal einen Verbremser. Dergleichen ging vorher einfach unter", sagt Lowdon und fügt hinzu: "Den Fans erschließt sich so also eine ganz neue Dimension."

Was beim Saisonauftakt in Melbourne in der Schlussphase des Rennens nicht zu überhören war: Vom großen Jubel der australischen Fans angespornt, fuhr Red-Bull-Fahrer Daniel Ricciardo bei seiner Heimveranstaltung als Zweiter ins Ziel (wurde aber nachträglich disqualifiziert). Jubel der Fans? Den hatte man früher meist nur bei der Siegerehrung gehört, aber nicht so sehr während des Grands Prix'.

Wie wichtig ist der "Wow-Faktor"?

Der frühere Formel-1-Pilot Olivier Panis macht sich aber nichts aus solchen "Randerscheinungen", wie er es wahrscheinlich betiteln würde. Er wettert bei 'sport365' mit Nachdruck gegen den neuen Sound: "Die Formel 1 ist nicht mehr, was sie mal war. Ich denke, der Sound ist ein Teil der Formel 1. Denn so hast du die Möglichkeit, die Leistung dieser Rennwagen zu fühlen. Das fehlt nun aber", sagt Panis.

Auch Lowdon räumt ein, dass ein gewisser Teil der Faszination auf der Strecke geblieben ist. Er nennt es den "Wow-Faktor" und erklärt: "Der hat dabei geholfen, darzustellen, dass die Formel 1 wirklich etwas ganz Außergewöhnliches ist. Denn das Zünden eines Formel-1-Motors war immer sehr beeindruckend, weil es einfach so unglaublich laut war. Aber das ist halt eine Sache, die nun anders ist."


Fotostrecke: Pressestimmen zum GP Australien

Ex-Champion Jacques Villeneuve kann sich mit den neuen Formel-1-Geräuschen jedenfalls gut abfinden. "Mich stören die leisen Töne gar nicht", sagt er bei 'Sport Bild'. "Okay, vielleicht hört es sich nicht mehr so dramatisch an wie früher, aber es hat keinen Einfluss auf das Racing. Und es bedeutet auch, dass die Kinder auf den Tribünen ihr Gehör nicht verlieren. Das finde ich sogar ziemlich gut."

Die Technologie rückt wieder mehr ins Zentrum

Razlan Razali, Streckenchef in Sepang, dem Austragungsort des zweiten Saisonrennens, pflichtet Villeneuve bei. "Die leiseren Motoren müssen doch nichts Schlechtes sein, auch wenn sie anders sind als das, was man früher im Motorsport eingesetzt hat. Eltern müssen nun nicht mehr so viel Angst davor haben, ihre Kinder mit zu den Rennen zu nehmen, weil der Lärmpegel reduziert ist", meint er.

"Außerdem", das sagt Razali im Gespräch mit der 'New Strait Times', "leisten selbst die kleineren Motoren etwa 750 PS und sind fast so schnell wie die V8-Motoren im vergangenen Jahr. Es ist doch erstaunlich, welche technologischen Fortschritte dabei gemacht wurden." Und genau das ist es, was den Safety-Car-Piloten der Formel 1, Bernd Mayländer, so sehr am neuen Reglement fasziniert.

"Es ist wichtig, dass die Formel 1 als Königsklasse des Motorsports ein technologischer Vorreiter bleibt. Das ist mit den neuen Regeln gewährleistet", schreibt Mayländer in seiner Kolumne bei 'Motorsport-Total.com'. Der Deutsche weiter: "Die neue Antriebsgeneration ist nicht mehr so laut, aber sie ist sehr effizient. Die Zeiten ändern sich eben - das war schon immer so. Daran muss man sich gewöhnen."

Was, wenn die Nachwuchsserie lauter ist?

Doch Panis widerspricht: Auf die "grüne" Technologie hätte man seiner Ansicht nach gut und gern verzichten können. Alles Augenwischerei? "Die Formel 1 ist Leistung pur. Das ist, was die Fans lieben. Grün war dieser Sport noch nie", meint der frühere Grand-Prix-Pilot. Dafür ist die Formel 1 jetzt leiser als die GP2-Nachwuchsserie. Ein Zustand, der einem anderen Ex-Formel-1-Fahrer sauer aufstößt.

"Wenn man die GP2-Autos am gleichen Wochenende fahren sieht, sind diese Fahrzeuge lauter. Und sie scheinen auch schneller zu sein. Da stimmt also etwas nicht", sagt Franck Montagny gegenüber 'Le Figaro'. Und Panis missfällt auch die neue Rennstruktur: "Früher waren es Sprintrennen, keine Marathons. Die Formel 1 hat sich inzwischen zum Langstrecken-Sport entwickelt." Spritsparen ist angesagt.


Fotostrecke: Fünf Gründe pro und contra Vettel

Immer nur Vollgas, das war einmal. Doch Ex-Weltmeister Villeneuve sagt das neue Format durchaus zu. "Mir gefällt die Idee des Spritsparens", sagt er bei 'Sport Bild'. "Was ich aber nicht mag: dass es hauptsächlich elektronisch kontrolliert wird. Alles, was sich außerhalb der Kontrolle des Fahrers abspielt, ist schlecht. Könnte der Pilot mit seinem Fahrstil wirklich den Unterschied machen, wäre das doch viel mehr wert."

Für den Fan ein Buch mit sieben Siegeln

Und was aus seiner Sicht noch viel schlimmer ist: Der Zuschauer bleibt bei all der Technologie und deren Umsetzung völlig außen vor. "Was dabei rauskommt, hat man im Fall von Ricciardo und Red Bull gesehen", sagt Villeneuve und erklärt: "Ein kleiner Sensor hat falsch gearbeitet. Deshalb wird er bei seinem Heimrennen disqualifiziert. Der Fan versteht doch gar nicht mehr, worum es da geht."

Dabei hat sich für die unmittelbar Beteiligten gar nicht so viel verändert. Zumindest nicht, wenn man Force-India-Fahrer Nico Hülkenberg in Sepang zuhört. Dort sagt er: "Es ist nicht viel anders als 2013. Aufgrund der Regeln sind wir halt ein bisschen langsamer, denn die Autos haben an Abtrieb verloren." Ansonsten, so glaube er, seien die Veränderungen und deren Konsequenzen "sehr aufgebauscht" worden.

"Es wurde ja viel darüber geschrieben, wie es schlimm es kommen würde und wie viele Autos nicht fahren könnten. Dann hat man das erste Rennwochenende gesehen. Und es ging eigentlich ziemlich gut über die Bühne", sagt Hülkenberg. "Bei uns war es wie ein Wochenende aus dem vergangenen Jahr, als wir noch konstante Regeln hatten." Force India habe den Wechsel also gut gemeistert.

Allem Schwarzmalen zum Trotz

Was für Teamchef Vijay Mallya nicht überraschend kam. Er meint: "Die Neuerungen wurden kritisch beäugt. Ja, die ganze Sache ist kompliziert und ja, wir bewegen uns auf Neuland. Das hat für reichlich Spekulationen gesorgt. Und als einige der größeren Teams bei den Tests Probleme hatten, hat das zusätzlich Öl ins Feuer gegossen. Doch dann kamen beim Saisonauftakt in Melbourne viele Autos ins Ziel."

"Das zeigt: Die Teams haben es im Griff und die Unwägbarkeiten wurden schon weitestgehend aus dem Weg geräumt", so Mallya. Abgesehen davon vielleicht, dass die Formel 1 der Saison 2014 sehr unvorhersehbar zu sein scheint. "Es war ja schon früher sehr schwierig, von Rennen zu Rennen eine Prognose abzugeben. In diesem Jahr ist das noch mal verschärft", sagt beispielsweise Kimi Räikkönen.


Fotostrecke: Triumphe & Tragödien in Malaysia

Ist das nun gut oder schlecht? Das lässt der Ferrari-Pilot offen. Sein Formel-1-Fahrerkollege Adrian Sutil geht hingegen hart ins Gericht mit den neuen Regeln. Er fühlt sich, bei 1,83 Metern Körpergröße und einem Gewicht von 75 Kilogramm, nämlich benachteiligt. Es koste ihn "eine halbe Sekunde pro Runde", wenn er sich direkt mit seinem leichteren Sauber-Teamkollegen Esteban Gutierrez vergleiche.

Nur einer fühlt sich wirklich wohl in seiner Haut...

"Das ist eine ganz andere Situation als in der Vergangenheit. Und ich halte das für unfair. Ich kann eben nicht noch mehr Gewicht verlieren. So bin ich eben. Ich bin ein großer Mann und kann nicht viel mehr machen. Kleinere Piloten haben einen klaren Vorteil", meint der Deutsche. "Das liegt auf der Hand und alle wissen darüber Bescheid. Ich hoffe nur, das schlägt sich bald auch im Reglement nieder."

Nur wenig überraschend ist: Mercedes steht den Regeländerungen positiv gegenüber. Klar, denn Nico Rosberg hat den Saisonauftakt in Melbourne für sich entschieden, der Mercedes-Antriebsstrang gilt als Klassenprimus. Und so ist zumindest der WM-Spitzenreiter hochzufrieden. "Es war ein guter Schritt für die Formel 1", sagt Rosberg über die neuen Regeln. "Die Meisterschaft ist nun wieder zeitgemäß."