Adventskalender 2010: Sebastian Vettel

Letzter Beitrag der Serie: Wir zeichnen Sebastian Vettels Weg zum WM-Titel nach und nehmen diesen gemeinsam mit Experte Marc Surer unter die Lupe

(Motorsport-Total.com) - Die Saison 2010 geht als eine der spannendsten in die Formel-1-Geschichte ein. Vier Fahrer kämpften beim letzten Rennen in Abu Dhabi noch um den Gewinn der Weltmeisterschaft; den Sieg sicherte sich letztendlich einer, der die Fahrerwertung zuvor noch nie angeführt hatte. Auf dem Weg nach Abu Dhabi kam es zu zahlreichen Sternstunden und Dramen. Grund genug für 'Motorsport-Total.com', das Jahr noch einmal Revue passieren zu lassen. (Letztes) Thema heute: Sebastian Vettel.

Titel-Bild zur News: Sebastian Vettel

Die erste ruhige Minute nach dem Gewinn des Titels: "Super-Seb" und der Pokal

Der 23-jährige Heppenheimer holte in der zurückliegenden Saison zum achten Mal einen Formel-1-WM-Titel nach Deutschland, ist aber erst der zweite deutsche Weltmeister nach Michael Schumacher - und vor allem der jüngste Champion in der Grand-Prix-Geschichte überhaupt! "Als Lewis Hamilton Weltmeister wurde, habe ich mich gefragt, ob es jemals jemanden geben wird, der noch jünger ist als er", philosophiert Vettel und strahlt: "Es ist schön, mit Leuten wie Lewis und Michael, der fast alle anderen Rekorde hält, in einem Atemzug genannt zu werden."

Bis zu 31 Punkte Rückstand

Und vor allem ist es keine Selbstverständlichkeit, denn nach seiner Kollision mit Jenson Button in Spa-Francorchamps hatte der Red-Bull-Pilot schon 31 Punkte Rückstand auf die WM-Spitze. In jener Phase schien alles gegen ihn zu laufen. "Gegen Saisonmitte habe ich zwar nicht den Fokus verloren, aber ich war ein bisschen angespannt", gibt Vettel im Nachhinein zu. "Irgendwann habe ich akzeptiert, dass man nicht alles beeinflussen kann, aber langfristig gibt es so etwas wie Gerechtigkeit."

Jenson Button kollidiert mit Sebastian Vettel

Nach Spa-Francorchamps schienen die Titelhoffnungen schon dahin zu sein Zoom

Auch aus Sicht von Marc Surer war der peinliche Fehler von Spa-Francorchamps ein Schlüsselmoment: "Eigentlich hat sich der Knoten erst gelöst, als er fast hoffnungslos zurücklag und alles egal war", analysiert der 'Motorsport-Total.com'-Experte. "Plötzlich war der alte Vettel, der wann immer er wollte schneller fahren konnte als Webber, wieder da. Das konnte er in den letzten Rennen ganz extrem durchziehen, was für die WM letztendlich entscheidend war. Wie er das Jahr angefangen hat, so hat er es auch beendet, was den Speed angeht."

Und weiter: "Als er keine Chance mehr hatte, war er wieder der Alte. Ich weiß nicht, wie er gefahren wäre, wenn er einen Punktevorsprung gehabt hätte - dann wäre eine schwere Last auf seinen Schultern gelegen. Aber da er die nicht hatte, konnte er nur noch gewinnen, nicht mehr verlieren. Das hat ihn irgendwie befreit", meint Surer. Und genau so, wie Vettel immer lockerer wurde, drohte sein Teamkollege Mark Webber zunehmend an der Last der Favoritenrolle zu zerbrechen...

Über 120 Punkte verloren

"Sebastian", dreht Surer das Rad der Zeit um einige Wochen zurück, "hatte so viel Pech, dass alle mit ihm gelitten haben." Insgesamt verlor der Vizeweltmeister von 2009 mehr als 120 (!) Punkte durch Pleiten, Pech und Pannen - gar nicht auszudenken, wie schnell die WM-Entscheidung unter normalen Umständen gefallen wäre. Gewiss, keiner der Titelanwärter erlebte eine reibungslose Saison, aber so viele mögliche Punkte wie Vettel ließ keiner seiner direkten Konkurrenten liegen.

Das fing schon beim Saisonauftakt in Manama an: Vettel hatte das gesamte Rennwochenende souverän im Griff, bis er wegen einer defekten Zündkerze auf Platz vier zurückfiel. In Melbourne fuhr er wieder in einer eigenen Liga, doch eine abgewetzte Radmutter beförderte ihn ins Kiesbett. Erst in Sepang sicherte er sich dank des gewonnenen Starts gegen Polesetter Webber den ersten Grand-Prix-Sieg - aber in Schanghai folgte mit Platz sechs nach Bestzeit im Qualifying der nächste Rückschlag.

¿pbvin|512|3308||0|1pb¿Dann war da die Kollision mit Webber in Istanbul, zu der es vielleicht nie gekommen wäre, wenn ihn nicht ein maroder Stabilisator im Qualifying auf Platz drei der Startaufstellung zurückgeworfen hätte. In Silverstone schlitzte Hamilton am Start seinen rechten Hinterreifen auf, in Budapest ließ er den Abstand zum Safety-Car zu groß werden - besonders bitter, weil von der Durchfahrstrafe ausgerechnet Webber am meisten profitierte, dem er mit dieser Taktik eigentlich helfen wollte, wie später bekannt wurde. Im Saisonfinish gab es dann noch den Motorschaden von Yeongam.

"Als er beim ersten und zweiten Rennen jeweils in Führung liegend zurück- beziehungsweise ausfiel, war er jeweils klar der Schnellste", sagt Surer. "Aber dann kam eine Phase, wo ich mich ein bisschen gewundert habe, dass Webber vom Speed her mit ihm mithalten konnte. Ich dachte mir: Wenn du so großer WM-Favorit bist, dann kommt natürlich der Druck. Webber hat da den stärkeren Eindruck gemacht - und vor allem hat mich gewundert, dass er den Speed mitgehen konnte, weil ich Vettel eigentlich für den Schnelleren der beiden halte."

Einmal schneller, einmal langsamer als Webber

Davon war beispielsweise in Monte Carlo und Barcelona, also während der "Webber-Wochen" im Frühjahr, nur wenig zu sehen; in Singapur, Suzuka, São Paulo und Abu Dhabi dafür umso mehr. Zwar stellte sich erst nach Saisonende heraus, dass Webber in den letzten vier Rennen an einer Fraktur der rechten Schulter litt, aber der Australier behauptet selbst, dass das kein Handicap für ihn war, das sich auf seine Konkurrenzfähigkeit ausgewirkt hätte.

Sebastian Vettel

Suzuka: Der Rest strauchelte, Sebastian Vettel siegte unbekümmert vor sich hin Zoom

Wie dem auch sei: Während sich Webber um seine Schulter und die Verwaltung seines Punktevorsprungs kümmerte, Fernando Alonso sich vornahm, bei jedem Rennen auf das Podium zu fahren, und Lewis Hamilton augenscheinlich die Nerven wegwarf, zog Vettel unbekümmert sein Ding durch, gewann ein Rennen nach dem anderen und letztendlich auch den WM-Titel. Selbst in Abu Dhabi war noch klar zu erkennen, wie befreit er im Gegensatz zu seinen eifrig rechnenden Gegnern auffahren konnte.

Kleines Detail am Rande: Die WM-Endtabelle 2010 ist der erste Formel-1-Gesamstand aller Zeiten, der Vettel als Spitzenreiter ausweist - zuvor hatte er die Fahrerwertung noch nie angeführt! "Das nenne ich mal Timing", grinste Teamchef Christian Horner nach der Zieldurchfahrt, und der frischgebackene Champion selbst ergänzte im Rahmen der FIA-Pressekonferenz: "Nach dieser Saison mit so vielen Höhen und Tiefen nach dem letzten Rennen die Weltmeisterschaft anzuführen, das ist unglaublich."

Mitleid mit der Konkurrenz

"Jeder von uns kann ein Buch über die Rennen schreiben, in denen er weiter vorne ins Ziel kommen hätte sollen", weiß der gebürtige Heppenheimer, der vor einigen Jahren in die Schweiz ausgewandert ist. "Lewis hatte in Ungarn einen Ausfall, ich in Australien und Südkorea. Jeder hatte Höhen und Tiefen. Es war eine extrem intensive und harte Saison, speziell mental, um immer da zu sein und manchmal zu ignorieren, was gerade geredet wurde. Das hat funktioniert und jetzt bin ich sehr, sehr stolz."

Sebastian Vettel

Der Medienrummel wird um den neuen Weltmeister eher zu- als abnehmen Zoom

Erfolg bedeutet in der Formel 1 aber auch fast zwangsläufig Neid und Missgunst. So geht es jetzt schon los, dass "Everybody's Darling" von gestern plötzlich in Internetforen wegen ganz normaler Regelverstöße als "Verbrecher" beschimpft wird. Im Fahrerlager freilich ist Vettel immer noch ein gern gesehener Interviewpartner, weil er stets ein Lächeln im Gesicht hat, immer freundlich ist und sich auch für alle Anfragen Zeit nimmt, die einigermaßen zumutbar sind.

Ob das auch nach dem WM-Titel so bleiben wird, ist jedoch eine andere Frage: "Er muss sich verändern", glaubt Surer. "Er wird zu viel Druck haben, zu viel Medienrummel, sodass er sich abkapseln muss. Ich hoffe, dass er nicht vergisst, wer seine Freunde sind und gegen wen er das nicht machen muss, denn seine Art sollte er nicht verlieren. Ich hoffe, dass er sein freundliches Wesen behält, aber er wird sich natürlich mehr verstecken müssen."

Saisonstatistik:

Fahrerwertung: 1. (256 Punkte)
Gefahrene Rennen: 19/19
Siege: 5
Podestplätze: 10
Pole-Positions: 10
Schnellste Rennrunden: 3
Durchschnittlicher Startplatz: 1,9 (1.)
Bester Startplatz: 1.
Bestes Rennergebnis: 1.
Ausfallsrate: 15,8 Prozent (10.)

Qualifyingduelle:

Vettel vs. Webber: 12:7


Fotos: Highlights 2010: S. Vettel


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