Adventskalender 2010: Red Bull

Wie die Überlegenheit des RB6 über so manche Schwäche hinweggetäuscht und warum Adrian Newey so großen Anteil am Red-Bull-Erfolg hat

(Motorsport-Total.com) - Die Saison 2010 geht als eine der spannendsten in die Formel-1-Geschichte ein. Vier Fahrer kämpften beim letzten Rennen in Abu Dhabi noch um den Gewinn der Weltmeisterschaft; den Sieg sicherte sich letztendlich einer, der die Fahrerwertung zuvor noch nie angeführt hatte. Auf dem Weg nach Abu Dhabi kam es zu zahlreichen Sternstunden und Dramen. Grund genug für 'Motorsport-Total.com', das Jahr noch einmal Revue passieren zu lassen. Thema heute: Red Bull.

Titel-Bild zur News: Adrian Newey

Hinter dem Erfolg von Red Bull steht vor allem ein Mann: Adrian Newey

Der Star des Jahres heißt unterm Strich natürlich Sebastian Vettel, er hätte auch genauso gut Mark Webber heißen können. Doch da wir auf die Saison der beiden Red-Bull-Piloten im Rahmen unserer Adventskalender-Serie ohnehin später noch genauer eingehen, konzentrieren wir uns heute auf die wahren Stars der Formel-1-Weltmeisterschaft 2010: den Red-Bull-Renault RB6 und dessen Chefdesigner Adrian Newey.

Schnellstes Auto im Starterfeld

Mit 15 Pole-Positions in 19 Qualifyings hat der RB6 eindrucksvoll unter Beweis gestellt, dass er das schnellste Rennauto der Generation 2010 war. Samstags-Niederlagen setzte es lediglich in Montréal (um 0,268 Sekunden), Monza (0,471), Singapur (0,067) und São Paulo (1,049); bis auf Monza stand aber immer zumindest eine der "rollenden Energydrink-Dosen" in der ersten Startreihe. Und wie so oft in der Formel 1, wenn ein Team derart überlegen ist, kamen schnell Spekulationen auf, dass möglicherweise nicht alles mit rechten Dingen zugehen könnte.

Sebastian Vettel

Gleich in Bahrain zeigte Red Bull den Gegnern, wo der Hammer hängt Zoom

Gleich nach dem Saisonauftakt in Manama vermutete die Konkurrenz eine Art aktive Radaufhängung am RB6, weil auffällig war, dass die Dominanz im Rennen (also mit viel Benzin an Bord) nicht mehr ganz so eklatant ausfiel. Später dann unterstellte man Red Bull einen flexiblen Frontflügel. Der war zwar auf Fotos eindeutig zu erkennen, aber die FIA-Tests meisterte der RB6 ohne Probleme - und als die FIA-Tests ab Spa-Francorchamps und Monza in zwei Stufen verschärft wurden, musste nicht nur Red Bull umrüsten, sondern auch der Rest.

Fazit: "Mir scheint, dass Newey einer der Wenigen ist, die das aktuelle Reglement richtig verstehen - wie man mit vollem und leerem Tank ein konkurrenzfähiges Auto haben kann", analysiert 'Motorsport-Total.com'-Experte Marc Surer. "Er war der Wiederentdecker des angeblasenen Diffusors, was ihnen einen großen Vorsprung gebracht hat. Auch wenn es die anderen kopiert haben, hatte man das Gefühl, dass das niemand so gut hinbekommen hat wie er selbst."

Viel Anpressdruck, viel Luftwiderstand

"Auf den Geraden hatten sie ein kleines Defizit, weil sie einfach zu sehr auf Abtrieb gesetzt haben, aber das konnten sie mit dem F-Schacht einigermaßen wettmachen. Die Rundenzeit gewinnst du in den Kurven und nicht auf den Geraden. Insofern haben sie das richtig gemacht. Das Problem ist immer nur entstanden, wenn sie nicht vorne waren, weil sie auf den Geraden zu langsam waren und nicht überholen konnten", so der ehemalige Formel-1-Pilot. Nur: Vorne stand Red Bull meistens...

Wenn der RB6 neben der Höchstgeschwindigkeit eine Schwäche hatte, dann war es die Zuverlässigkeit. Meistens traf es Vettel: In Manama verlor er einen sicheren Sieg wegen einer defekten Zündkerze, in Melbourne wegen einer kaputten Radmutter. In Barcelona ließ er Punkte wegen schadhafter Bremsen liegen, in Istanbul verpasste er die erste Startreihe wegen eines Stabilisator-Problems in Qualifying. Der Renault-Motorschaden in Yeongam kostete bereits zum dritten Mal einen Sieg.

¿pbvin|512|3300||0|1pb¿Aber: "Vielleicht ist das der Preis, den sie für dieses schnelle Auto bezahlen mussten. Wenn du alles so am Limit baust, ist das Auto natürlich defektanfälliger", relativiert Surer und philosophiert vor sich hin: "Newey erinnert mich da an Colin Chapman. Dessen Motto war immer: 'Das Auto muss schnell sein, dann schauen wir weiter.' So hat Newey dieses Auto gebaut. Dass da ein paar Dinge zu leicht waren oder unterdimensioniert oder Sachen überhitzt haben, ist der Preis für den Speed."

Dann waren da noch teaminterne Kollisionen wie in Istanbul, Fahrfehler wie in Spa-Francorchamps, unnötige Zeitstrafen wie in Budapest. Red Bull hatte diese Saison eine extrem hohe Fehlerquote, wurde dafür aber dank des schnellsten Autos nicht bestraft. Aber: "Es stimmt schon: Wenn du nicht überlegen bist, geht das natürlich ins Auge. Sie haben Glück gehabt, haben sich selbst das Leben sehr schwer gemacht", kritisiert Surer die angesprochene Pleiten-, Pech- und Pannensträhne.

Team eher auf Vettels Seite

Zu Saisonmitte war zudem Fingerspitzengefühl in Sachen Fahrermanagement gefragt, denn Webber fühlte sich teamintern nicht gleich geliebt wie Vettel. Das zeigte sich erstmals nach der Kollision in Istanbul, für die fast alle Paddock-Experten Vettel die Schuld in die Schuhe schoben, die Red-Bull-Führung um Helmut Marko aber Webber verantwortlich machte. Als dann in Silverstone Vettels Frontflügel kaputtging, der Deutsche aber jenen von Webber bekam, war der Australier endgültig sauer. Nach seinem Sieg funkte er schnippisch: "Nicht schlecht für eine Nummer zwei, oder?"

Christian Horner, Dietrich Mateschitz und Adrian Newey

Horner, Mateschitz, Newey: Beginnt mit ihnen eine neue Ära in der Formel 1? Zoom

Klar ist, dass Webber die Vergangenheit und möglicherweise auch noch die Gegenwart von Red Bull in der Formel 1 ist, aber die Zukunft heißt Vettel. Vielleicht bricht mit dem WM-Titel 2010 sogar eine neue Ära an: "Das kann ich mir durchaus vorstellen", traut Surer dem Dreamteam Vettel/Newey zu, der Königsklasse auf Jahre hinweg seinen Stempel aufzudrücken, wie es einst Prost/Senna/Dennis bei McLaren oder Schumacher/Todt/Brawn/Byrne bei Ferrari getan haben.

"Man muss sich Neweys Werdegang einmal anschauen: Bei Williams war er zuständig für das Auto, das Michael Schumacher geschlagen hat, später auch bei McLaren - und jetzt hat er bei Red Bull 'sein eigenes' Team, was ihn motiviert hat, überhaupt in der Formel 1 zu bleiben", sagt Surer. "Früher wollte er ja Jachten für den America's Cup bauen, aber er hat wieder Lust an der Formel 1 gefunden, weil er bei Red Bull seine Ideen verwirklichen kann, ohne dass ihm jemand dreinredet."

Formel 1 statt Jachtbau

Als sich Newey im Sommer 2001 schon mit Jaguar einig war, dann aber von Ron Dennis doch zum Bleiben bei McLaren überredet werden konnte, kündigte das introvertierte Genie seinen Rückzug aus der Formel 1 an. Davon kann heute keine Rede mehr sein. Seine Autos strotzen ganz im Gegenteil nur so vor Kreativität: "Das Problem bei ihm", so Surer, "war immer die Standfestigkeit, weil er mehr Wert auf Schnelligkeit legt. Aber jetzt hat er offensichtlich eine gute Truppe beisammen, die die Standfestigkeit auch in den Griff bekommt."

Sebastian Vettel

Trotz einiger Pannen reichte es für Sebastian Vettel zum WM-Titel Zoom

Und dass sich Newey im Auftreten massiv verändert hat, kann ebenfalls keiner übersehen, der ihn erst während seiner McLaren- und nun während seiner Red-Bull-Zeit erlebt hat. Surer: "Er ist durch das Team lockerer geworden. Bei McLaren war er eine Nummer unter vielen, aber jetzt hat er das Gefühl, dass er sich verwirklichen kann. Ich kenne schon relativ lange, weil er eine Schweizer Frau hat, und wir haben uns häufig bei Oldtimer-Rennen wie in Goodwood getroffen. Er redet aber nach wie vor nicht gerne über seine Arbeit."

Angeblich ist Neweys Vertrag an jenen von Teamchef Christian Horner gekoppelt - sprich: Wenn einer geht, kann auch der andere gehen und umgekehrt. Es gibt nicht wenige im Fahrerlager, die der Meinung sind, dass Horner von dieser Konstellation mehr profitiert als Newey. Denn als der Streit zwischen Vettel und Webber im Sommer zu eskalieren drohte, fehlte in den Augen vieler Experten eine starke Hand, um einmal rigoros durchzugreifen. Im Nachhinein betrachtet ist es freilich fehl am Platz, einem Weltmeister-Teamchef Schnee von gestern vorzuwerfen.

Horner oder Marko: Wer ist der starke Mann?

Auch Surer verteidigt den jüngsten Teamchef der Formel 1 (37): "Ich glaube, dass er einen schweren Stand hat, denn bei Red Bull gibt es einen Helmut Marko, der auf die Ausrichtung des Teams Einfluss nimmt, auch was die Fahrer angeht. In der Formel 1 muss einer das Sagen haben, aber ich denke, dass Horner da einen schweren Stand hat - da ist einfach einer, der zu den Rennen kommt und dreinredet. Natürlich, Marko macht das mit seiner Erfahrung sehr gut, aber es ist doch so, dass es da zwei Personen gibt. Horner ist da irgendwie in einer Zwickmühle."

Und Marko, der als Leiter des Juniorteams so etwas wie Vettels "inoffizieller Mentor" ist, hat durch den Titelgewinn seines Fahrers teamintern sicher nicht an Standing verloren. Andererseits gibt es mit Konzernchef Dietrich Mateschitz immer noch einen, der über allen anderen steht, auch wenn er dabei auf öffentliches Brimborium verzichtet. Doch der zurückhaltende Österreicher ist ein klarer Fall für den "Ehrenpreis für das Lebenswerk" von 'Motorsport-Total.com'. Surer nickt zustimmend: "Er hat eine sehr positive Tendenz in der Formel 1 ausgelöst."

¿pbvin|512|3296||0|1pb¿"Ich glaube auch, dass Red Bull mit der Energy-Station ausgelöst hat, dass auch die anderen Teams zu den Journalisten ein bisschen freundlicher sein mussten. Wenn einer die verwöhnt und sich alle nur noch dort aufhalten, müssen die anderen überlegen, was sie falsch machen. Dadurch hat er dafür gesorgt, dass die anderen Teams auch freundlicher geworden sind", betont der 82-fache Grand-Prix-Teilnehmer und ergänzt: "Er hat gezeigt, dass man in der Formel 1 gleichzeitig Spaß haben und erfolgreich sein kann. Das finde ich sehr stark."

Besonders hoch rechnet man Mateschitz in der Branche an, dass er sich im Gegensatz zu anderen Formel-1-Milliardären nicht in seinen Erfolgen sonnt (obwohl er der einzige Formel-1-Milliardär ist, der großen Erfolg hat), sondern das Rampenlicht im Gegenteil anderen überlässt. Selbst beim Saisonfinale in Abu Dhabi kam er nicht einmal auf die Idee, gemeinsam mit Vettel auf das Podium zu steigen: "Dafür ist er nicht der Typ. Verglichen mit anderen ist er wirklich ein Monsieur", lobt Surer.

Saisonstatistik:

Team:

Konstrukteurswertung: 1. (498 Punkte)
Siege: 9
Pole-Positions: 15
Schnellste Rennrunden: 6
Podestplätze: 20
Ausfallsrate: 13,2 Prozent (3.)
Durchschnittlicher Startplatz: 2,4 (1.)

Qualifyingduelle:

Vettel vs. Webber: 12:7

Sebastian Vettel (Startnummer 5):

Fahrerwertung: 1. (256 Punkte)
Gefahrene Rennen: 19/19
Siege: 5
Podestplätze: 10
Pole-Positions: 10
Schnellste Rennrunden: 3
Durchschnittlicher Startplatz: 1,9 (1.)
Bester Startplatz: 1.
Bestes Rennergebnis: 1.
Ausfallsrate: 15,8 Prozent (10.)

Mark Webber (Startnummer 6):

Fahrerwertung: 3. (242 Punkte)
Gefahrene Rennen: 19/19
Siege: 4
Podestplätze: 10
Pole-Positions: 5
Schnellste Rennrunden: 3
Durchschnittlicher Startplatz: 2,8 (2.)
Bester Startplatz: 1.
Bestes Rennergebnis: 1.
Ausfallsrate: 10,5 Prozent (3.)


Fotos: Highlights 2010: Red Bull


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