Adventskalender 2010: Renault

Experte Marc Surer ist nicht mit allem einverstanden, was bei Renault 2010 passiert ist, doch die Gesamtbilanz des Teams fällt positiv aus

(Motorsport-Total.com) - Die Saison 2010 geht als eine der spannendsten in die Formel-1-Geschichte ein. Vier Fahrer kämpften beim letzten Rennen in Abu Dhabi noch um den Gewinn der Weltmeisterschaft; den Sieg sicherte sich letztendlich einer, der die Fahrerwertung zuvor noch nie angeführt hatte. Auf dem Weg nach Abu Dhabi kam es zu zahlreichen Sternstunden und Dramen. Grund genug für 'Motorsport-Total.com', das Jahr noch einmal Revue passieren zu lassen. Thema heute: Renault.

Titel-Bild zur News: Robert Kubica

Für den französischen Automobilhersteller begann 2010 eine neue Zeitrechnung: Der legendäre Teamchef Flavio Briatore sowie Chefingenieur Pat Symonds wurden infolge der "Crashgate"-Affäre von Singapur 2008 mehr oder weniger freundlich hinauskomplimentiert, Fernando Alonso wechselte nach jahrelangem Warten endlich doch noch zu Ferrari und auch in der Chefetage in Enstone blieb kein Stein auf dem anderen.

Neue Führung in Enstone

Denn genau genommen handelt es sich bei Renault nicht mehr um das Team des gleichnamigen Werks, sondern um einen Privatrennstall. Der Renault-Konzern verkaufte 75 Prozent seiner Anteile am einstigen Weltmeisterteam an die luxemburgische Investmentgruppe Genii Capital von Gerard López und übergab auch die operative Leitung in die Hände von Genii, genauer gesagt in jene von Teamchef Eric Boullier.

Gerard López und Eric Boullier

Gerard López und Eric Boullier sind die neuen starken Männer in Enstone Zoom

López gilt als hochintelligenter Geschäftsmann, ist durch verschiedene Start-ups (unter anderem Skype) reich geworden und fährt in seiner Freizeit gerne schnelle Autos. Ansonsten ist sein Motorsportbezug allerdings gleich null. Daher verwundert es auch wenig, dass der gebürtige Spanier das Renault-Team nicht in erster Linie als sein Privatvergnügen sieht, in das er neben Geld und Ideen auch Herzblut investiert, sondern vor allem als Business-Case.

Eine Strategie, die im ersten Jahr recht erfolgreich war, aber nicht Marc Surers Vorstellungen von purem Racing entspricht: "Er gefällt mir überhaupt nicht", sagt der 'Motorsport-Total.com'-Experte über den Ansatz, die Formel 1 als Businessplattform zu nutzen. "Wer nicht mit Leib und Seele in der Formel 1 ist, schmeißt schneller mal den Bettel hin, wenn es nicht so kommt, wie er es sich erwartet hat. In der Formel 1 haben langfristig nur Leute Platz, die das mit Leib und Seele machen."

Renault: Weniger Anteile, weniger Kosten

Immerhin hat López nach "Crashgate" die Scherben des Teams aufgesammelt, Renault eine Möglichkeit angeboten, die Kosten zu senken, aber als Marke dennoch in der Formel 1 vertreten zu bleiben - und damit auch sportlich für einen Ruck gesorgt. Dabei waren die Testfahrten im Winter alles andere als vielversprechend verlaufen - viele Beobachter unkten damals, dass die Genii-Regentschaft der Anfang vom Ende des Teams sein könnte.

Doch je länger der Testwinter dauerte, desto mehr zeichnete sich ab, dass Renault zumindest eine ernstzunehmende Mittelfeldkraft sein würde. Neuzugang Robert Kubica machte sich als unumstrittene Nummer eins breit; im Kampf um das zweite Cockpit setzten sich die russischen Millionen von Vitaly Petrov unter anderem gegen etablierte Kandidaten wie Nick Heidfeld, Timo Glock oder auch Christian Klien durch.

¿pbvin|512|2421||0|1pb¿"Petrov war definitiv überfordert", findet Surer. "Sie hatten so ein gutes Auto, aber er hat so wenig draus gemacht. Wenn man sieht, wie viel Schrott er produziert hat, dann hat er seine Millionen alle selbst verbraucht. Außerdem hat er nicht viele Punkte gesammelt. In Summe hat er mehr gekostet als gebracht." In Zahlen ausgedrückt: Petrov holte 27 Punkte und wurde damit 13. der Fahrer-WM. Zum Vergleich: Kubica ließ gleich 136 Zähler für sich gutschreiben.

Sein mit Abstand bestes Wochenende lieferte Petrov auf dem Hungaroring, wo er im Qualifying einen von immerhin sechs Siegen gegen Kubica erreichte und starker Siebter wurde. Tags darauf reichte es im Rennen zu Rang fünf - zu einem wichtigen Zeitpunkt, denn Teamchef Boullier hatte ihm wenige Tage zuvor quasi die Rute ins Fenster gestellt und ihm gedroht, bei gleichbleibend mäßigen Leistungen keinen neuen Vertrag anzubieten.

Petrov-Highlight auf dem Hungaroring

Doch am Hungaroring setzte Petrov ein erstes positives Signal - und ein weiteres war, dass sich seine Managerin Oksana Kossatschenko in Singapur mit dem russischen Vizepremier traf und ein paar Wochen später Ministerpräsident Wladimir Putin einen Test in einem Formel-1-Renault ermöglichte. Das bedeutet auch in Zukunft viele russische Millionen für das Genii-Netzwerk - und für Petrov auch unter neuer Lotus-Führung ein Grand-Prix-Cockpit.

Robert Kubica

Saisonhighlight: In Monte Carlo war Robert Kubica sogar ein Sieganwärter Zoom

Kubica setzte sein fahrerisches Potenzial indes gut um, schaffte es früh, den Kampf mit den Mercedes-Piloten Michael Schumacher und Nico Rosberg aufzunehmen - und stand in Melbourne als Zweiter zum ersten von insgesamt dreimal auf dem Podium. In Monte Carlo lag der Pole sogar auf Pole-Position-Kurs, startete aus der ersten Reihe und sicherte sich im Rennen erneut Platz drei. Insgesamt holte er fünfmal so viele Punkte wie sein Teamkollege.

"Kubica hat wieder einmal gezeigt, dass er es umsetzt und dass er motiviert ist, wenn er ein gutes Auto hat", lobt Surer. "Aber ich werfe ihm vor, dass er bei BMW im letzten Jahr keine gute Figur mehr gemacht hat. Er war sauer, weil ihn das Team im Jahr davor nicht so unterstützt hat, wie er sich das gewünscht hätte. Jetzt war er wieder motiviert und wollte mit einem Auto, das besser ging, als wir alle erwartet haben, beweisen, dass er noch der Alte ist."

Keine reine Top-10-Weste für Kubica

Kubica hätte auch beinahe das Kunststück geschafft, in allen 19 Top-10-Qualifyings mitzuwirken, was für die Konstanz des Renault spricht. Erst beim Saisonfinale in Abu Dhabi handelte er sich einen schwarzen Punkt auf seiner ansonsten weißen Weste ein, doch dort zog zumindest Petrov ins Finale ein. Am Rennsonntag ärgerte der Russe dann 40 Runden lang den Doch-Nicht-Weltmeister Alonso, der ihm dafür in der ersten Emotion während der Auslaufrunde eine unschöne Geste an den Kopf warf.

Vitaly Petrov

Vitaly Petrov produzierte laut Marc Surer mehr Schrott als Ergebnisse Zoom

Als Team fehlten Renault im Sommer Entwicklungsgelder, doch dieser Engpass konnte dank von Genii akquirierten Sponsoren rasch überwunden werden. Trotzdem reichte es im Endspurt nicht mehr ganz, um Mercedes noch den vierten Platz in der Konstrukteurs-WM streitig zu machen. Daran änderte auch der vielleicht beste F-Schacht der Formel 1 nichts mehr; der räumte dafür mit dem Märchen auf, dass der Renault-Motor keine hohen Topspeeds zulässt.

"Die Truppe, das wissen wir, kann Leistung bringen", spricht Surer ein Kompliment aus. "Sie sind schon unter zwei verschiedenen Namen (Benetton und Renault; Anm. d. Red.) Weltmeister geworden, aber da sind immer noch die gleichen Leute dabei. Das ist einfach eine gute Truppe. Vielleicht hat es diesen Kahlschlag eines Neuanfangs ohne Flavio Briatore und Pat Symonds sogar gebraucht. Dadurch ist eventuell die Motivation, beweisen zu wollen, dass sie es noch können, gewachsen."

Saisonstatistik:

Team:

Konstrukteurswertung: 5. (163 Punkte)
Siege: 0
Pole-Positions: 0
Schnellste Rennrunden: 2
Podestplätze: 3
Ausfallsrate: 21,1 Prozent (7.)
Durchschnittlicher Startplatz: 10,6 (6.)

Qualifyingduelle:

Kubica vs. Petrov: 17:2

Robert Kubica (Startnummer 11):

Fahrerwertung: 8. (136 Punkte)
Gefahrene Rennen: 19/19
Siege: 0
Podestplätze: 3
Pole-Positions: 0
Schnellste Rennrunden: 1
Durchschnittlicher Startplatz: 6,9 (6.)
Bester Startplatz: 2.
Bestes Rennergebnis: 2.
Ausfallsrate: 15,8 Prozent (10.)

Vitaly Petrov (Startnummer 12):

Fahrerwertung: 13. (27 Punkte)
Gefahrene Rennen: 19/19
Siege: 0
Podestplätze: 0
Pole-Positions: 0
Schnellste Rennrunden: 1
Durchschnittlicher Startplatz: 14,2 (15.)
Bester Startplatz: 7.
Bestes Rennergebnis: 5.
Ausfallsrate: 26,3 Prozent (17.)


Fotos: Highlights 2010: Renault


Alle 24 Adventskalender-Türen:

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05. Toro Rosso
06. Sauber
07. Force India
08. Williams
09. Heute: Renault
10. Mercedes
11. Ferrari
12. McLaren
13. Red Bull
14. Christian Klien
15. Timo Glock
16. Nick Heidfeld
17. Sébastien Buemi
18. Nico Hülkenberg
19. Adrian Sutil
20. Michael Schumacher
21. Nico Rosberg
22. Mark Webber
23. Fernando Alonso
24. Sebastian Vettel