Der Grand Prix der unbegrenzten Möglichkeiten

Interview mit dem New-York-Promoter: Was Ex-Racer Leo Hindery plant, warum New York anders ist als Austin und wie gut er seinen Vertrag mit Ecclestone verhandelt hat

(Motorsport-Total.com) - Würde man einen der jüngeren Fans, die die Königsklasse erst seit ein paar Jahren verfolgen, nach den traditionsreichsten Formel-1-Ländern fragen, dann könnten Antworten wie Monaco, Belgien oder Spanien kommen. Daran, die USA zu nennen, würde wohl kaum jemand denken. Tatsache ist aber: Mit bisher 63 WM-Läufen liegen die USA in der ewigen Rangliste vor Monaco (59), Belgien (57) und Spanien (49) an vierter Stelle - hinter Italien (90), Deutschland (73) und Großbritannien (66).

Titel-Bild zur News: Simulation des Paddocks des US-Grand-Prix in New York

Vor der Skyline von Manhattan: Der Grand Prix der unbegrenzten Möglichkeiten

In den 1950er-Jahren zählten die legendären 500 Meilen von Indianapolis (US-Bundesstaat Indiana) als erster US-Grand-Prix der Geschichte zur Formel-1-Weltmeisterschaft. 1959 wurde in Sebring (Florida) gefahren, 1960 in Riverside (Kalifornien), von 1961 bis 1980 in Watkins Glen (New York), von 1976 bis 1982 in Long Beach (Kalifornien), 1981 und 1982 auf dem Parkplatz vor dem Caesars-Palace-Hotel in Las Vegas (Nevada), von 1982 bis 1988 in Detroit (Michigan), 1984 in Dallas (Texas), von 1989 bis 1991 in Phoenix (Arizona) und von 2000 bis 2007 wieder in Indianapolis - allerdings nicht mehr auf dem Oval, sondern auf einem eigens errichteten Grand-Prix-Kurs.

Teilweise gastierte die Formel 1 als Grand Prix USA West und Grand Prix USA Ost in den Vereinigten Staaten, also an jeder der beiden Küsten. Schon diese Saison kehrt sie von 16. bis 18. November ins relativ zentral und nahe Südamerika gelegene Texas zurück, wo in Austin gerade der brandneue Circuit of The Americas entsteht. Doch Bernie Ecclestone wünscht sich weitere Rennen in den USA - am liebsten eines in Texas, eines an der West- und eines an der Ostküste. In Kombination mit Montreal (Kanada) könnte die Formel 1 dann eine kleine Nordamerika-Tournee veranstalten.

Ab 2013 mehr als 20 Grands Prix möglich

Schlüssel dazu ist das neue Concorde-Agreement, mit dem die derzeitige Beschränkung auf maximal 20 Grands Prix pro Saison wahrscheinlich ab 2013 fallen wird. Unter der neuen Vereinbarung "könnten wir es in Amerika genau wie in Europa machen, mit drei oder vier Rennen im gleichen Monat. Die NASCAR wäre darüber wahrscheinlich nicht glücklich. Aber wenn wir es sorgfältig planen, dann könnten wir noch zwei oder drei Rennen mehr unterbringen." Etwa eine Back-to-Back-Woche mit Austin und einer neuen Strecke in Kalifornien, dann zwei Wochen Pause und dann eine weitere Back-to-Back-Woche mit Montreal und New York.

Denn in der inoffiziellen Hauptstadt der westlichen Welt soll die Formel 1 im Juni 2013 erstmals gastieren. Sebastian Vettel gegen Fernando Alonso mit der Skyline von Manhattan im Hintergrund - ein Traum, den Formel-1-Boss Ecclestone schon seit Jahrzehnten träumt. Jetzt geht er endlich in Erfüllung: "Es ist ein Privileg für uns, dabei zu helfen, diesen Traum wahr zu machen", schwärmt Leo Hindery, der als Veranstalter die Fäden zieht, im Interview mit 'Motorsport-Total.com'. "Das Schwierigste war immer, einen Standort zu finden, der der Qualität und dem Professionalismus der Formel 1 gerecht wird und trotzdem einigermaßen zentral liegt."

Leo Hindery

Leo Hindery ist der Mastermind hinter dem US-Grand-Prix in New York Zoom

Den hat der umtriebige Geschäftsmann, Autor und politische Aktivist in Weehawken gefunden. Weehawken befindet sich zwar genau genommen nicht in New York, sondern nordwestlich des Hudson Rivers in New Jersey, aber die Strecke liegt "nur sieben Minuten mit der Fähre von Manhattan entfernt", sagt Hindery, dem die Rennen in Valencia und Singapur aufgezeigt haben, dass man in Großstädten Grands Prix veranstalten kann: "Das hat bewiesen, dass man auch in fast jeder Stadt die Qualität erreichen kann, die von der Formel 1 verlangt wird." Auch dank Hermann Tilke und dessen Partner Peter Wahl, die Hindery mit der Planung der Strecke beauftragt hat.

Ursprünglich nach NASCAR-Standort gesucht

Alles begann "vor vier oder fünf Jahren" mit einem Anruf bei Port Imperial Weehawken, also dem Fährhafen, der New Jerseys Tür zu Manhatten ist. Ein paar Jahre zuvor hatte ihn ein gewisser David Hill, beim US-TV-Sender Fox Sports Media für die Motorsport-Lizenzrechte verantwortlich, mit Ecclestone bekannt gemacht. Hindery breitete seine damals noch vage Vision für einen New-York-Grand-Prix aus - und Ecclestone meinte, das könnte gehen. "Eigentlich war ich auf der Suche nach einem NASCAR-Standort", schmunzelt Hindery, aber ab jenem Zeitpunkt war er Feuer und Flamme für die Formel-1-Idee: "Dann haben wir angefangen, Geld zu investieren, und haben Hermann Tilke und Peter Wahl beauftragt, sich mit der möglichen Umsetzung einer Rennstrecke zu befassen."

Wer "wir" sind, will der 64-Jährige (noch) nicht verraten: "Das Gesamtprojekt bewegt sich in der Größenordnung um 100 Millionen Dollar (umgerechnet 80 Millionen Euro; Anm. d. Red.). Zum jetzigen Zeitpunkt geben wir aber noch nicht alle Investoren bekannt. Ich selbst bin auf jeden Fall ein recht erheblicher Investor. Ich bin auch Veranstalter." Und Ex-Rennfahrer: 2005 gewann Hindery als Teamkollege von Mike Rockenfeller und Marc Lieb die GT2-Klasse bei den 24 Stunden von Le Mans in einem Porsche 911 GT3 RSR. "Ich bin danach noch ein Rennen gefahren, aber das war im Grunde das Ende meiner aktiven Karriere", erinnert sich der langjährige Sportwagen-Racer.

Hindery war jedoch nie Profi, sondern leidenschaftlicher Gentleman-Driver. Sein Vermögen scheffelte er im Medienbusiness (InterMedia Partners), unter anderem als Chef jenes Telekommunikations-Unternehmens (TCI), das 1999 im Zuge einer Fusion vom US-Großkonzern AT&T übernommen wurde, oder auch als Geschäftsführer des in den USA berühmten YES-Networks, der TV-Heimat der New York Yankees. Politisch ist er unter anderem als wirtschaftlicher Berater von US-Präsident Barack Obama engagiert. Sein Vermögen wurde schon 2007 von der New York Times auf 150 Millionen US-Dollar (umgerechnet 120 Millionen Euro) geschätzt - und ist seither sicher nicht kleiner geworden.


Simulation: Eine Runde auf dem Kurs in New York

Verglichen mit den Scheich-Dynastien etwa in Abu Dhabi oder Bahrain ist Hindery aber ein armer Schlucker. Also wirft er Ecclestone nicht wahllos Millionen in den Rachen, sondern er hat dem Vernehmen nach einen überaus guten Deal ausgehandelt. Die Grand-Prix-Gebühr etwa, die den Großereignisse-Subventionsfonds in Texas für Austin pro Jahr 25 Millionen Dollar kostet, soll in New York (pardon, Weehawken) deutlich geringer sein, hört man. Offenbar lässt sich selbst der sonst so coole Ecclestone bei der Emotion packen, wenn es um ein weltweit einmaliges Prestigeprojekt wie New York geht.

Hindery schweigt über Vertragsinhalte

Auch mit dem elitären Paddock-Club, mit dem Ecclestones Teilfirma Allsport pro Jahr mehr als 200 Millionen Dollar einnimmt, scheint New York neue Wege zu gehen. Doch Hindery hat begriffen, dass man sich nach Ecclestones Spielregeln richten muss, wenn man in der Formel 1 eine Zukunft haben will, und schweigt daher zu sämtlichen Vertragsinhalten: "Es ist ein Zehnjahresvertrag mit bestimmten Rechten auf Verlängerung. Das geplante Datum für das erste Rennen ist Juni 2013", verrät er, weicht aber aus, wenn es um finanzielle Fragen geht: "Wir wurden gebeten, unsere Vertragsinhalte mit der Formel 1 nicht öffentlich zu diskutieren. Das darf nur Herr Ecclestone selbst."

Immerhin lässt er durchblicken, Ecclestone für die Konditionen des Vertrags "sehr dankbar" zu sein: "Wir sind sehr zufrieden mit unserem Vertrag, den wir mit Herrn Ecclestone ausgehandelt haben. Er ist ein guter Partner", lobt Hindery den 81-jährigen Formel-1-Geschäftsführer. "Wir sind mit der Einstellung in dieses Projekt gegangen, dass es ein Privileg ist, Herrn Ecclestones Unterstützung zu haben. Es war zwischen den drei involvierten Gruppen - also Bernie Ecclestone, Hermann Tilke und Peter Wahl sowie uns in New York - vom ersten Tag an eine Partnerschaft, die viel Spaß gemacht hat, um ehrlich zu sein."

Streckenskizze des New-York-Grand-Prix

Der Unterschied zwischen dem tiefsten und höchsten Punkt beträgt fast 60 Meter Zoom

Besonders großen Wert legt er auf die Feststellung, dass der Businessplan komplett anders ausgelegt ist als in Austin, denn: "Wir erhalten keinen Cent aus der öffentlichen Hand, von niemandem. Ganz im Gegenteil: Wir bezahlen den beteiligten Gemeinden für das Privileg, bei ihnen ein Rennen abhalten zu dürfen, eine jährliche Gebühr." Und Hindery ergänzt: "Wir haben unsere eigenen Reinigungstrupps, unsere eigenen Bautrupps. Wir bezahlen für die Straßen und haben dafür ungefähr 30 Verträge abgeschlossen. Momentan arbeiten ein paar hundert Menschen an der Strecke, aber nichts davon kommt aus öffentlicher Hand."

Parkplätze und Asphalt für das Gemeinwohl

Die betroffenen Gemeinden profitieren sogar vom Grand Prix - einerseits durch den Tourismus, auf den New York jedoch nicht zwingend angewiesen ist, andererseits durch die Verbesserung der Infrastruktur. Denn jenes Paddock-Gebäude, in dem am Rennwochenende zum Beispiel Medienvertreter oder auch VIPs im sogenannten "Club America" untergebracht werden (für den eine New Yorker Bank übrigens jetzt schon 1.500 hochpreisige Tickets geordert hat), wird an allen anderen Tagen des Jahres in eine Parkgarage umfunktioniert. Und weil der Asphalt Formel-1-Standards entsprechen muss, bekommen die Autofahrer in Weehawken ab sofort jedes Jahr runderneuerte Straßen. Auf Hinderys Kosten.

Die drei wichtigsten Einnahmequellen sind Ticketverkäufe, der "Club America" sowie spezielle Sponsorenpakete für Bandenwerbung an der Strecke - ein Privileg, das Ecclestone nur selten aus der Hand gibt. Das lässt vermuten: Der als gnadenlos bekannte Verhandlungs-Hardliner Ecclestone hat sich für New York mehr verbogen als für andere Veranstalter. Hindery will das nicht kommentieren: "Die Schlüsse, die Sie ziehen, sind wahrscheinlich richtig, über die Details kann ich aber nicht sprechen. Ich glaube, es ist ein wichtiges Rennen für die Formel 1. Ich hatte aber nie das Gefühl, dass es etwas anderes war als faire Verhandlungen."

Paddock-Gebäude in Weehawken

Die Bauarbeiten am Paddock-Gebäude schreiten seit Monaten gut voran Zoom

"Es wird 110.000 unterschiedliche Sitzplätze geben. Am Renntag erwarten wir 100.000 bis 110.000 Zuschauer, zumindest die Hälfte davon von außerhalb der USA. Das ist in etwa das Niveau von Montreal, wo sie in der Regel mit einem kleineren Austragungsort um die 90.000 Zuschauer haben. Aber jeder, der kommt, wird Platz haben. Sollten wir das wollen, können wir im Laufe der Zeit sogar auf bis zu 230.000 Plätze erweitern", erläutert Hindery. "Der durchschnittliche Ticketpreis für alle drei Tage wird in etwa 450 Dollar betragen. Die Spitze davon stellt der Paddock-Club dar, aber wir haben die einzelnen Kategorien noch nicht genau benannt. 450 Dollar sind weniger als in Austin, was wir so hören."

Eine Woche Formel-1-Festival

Aber trotzdem umgerechnet 360 Euro - nicht gerade ein Pappenstiel für jemanden, der mit Frau und Kind ein bisschen Formel 1 schauen will. New York will jedoch nicht nur einen Grand Prix präsentieren, sondern ein einwöchiges Grand-Prix-Festival, quasi ein Woodstock des Motorsports. Warum New York im Gegensatz zum letzten Anlauf Ecclestones in Indianapolis funktionieren wird? "Weil es New York ist!" Und Hindery ist einer, der den direkten Vergleich ziehen kann, weil er seinerzeit im Rahmenprogramm der Formel 1 Porsche-Supercup gefahren ist: "Indianapolis ist keine Stadt, in die man Jahr für Jahr zurückkehren möchte. Also kommen viele nur im ersten Jahr, weil es eben das erste Jahr ist", glaubt er.

"Aber nehmen wir Monaco, wo ich schon ein paar Mal war: Dort ist das Rennen am Sonntag das Ende des Festivals und nicht das Festival selbst. Monaco endet zwar am Sonntag, aber es beginnt schon am Montag! Ganz ehrlich: Das kann man von Indianapolis nicht behaupten", gibt der Medienmogul zu Protokoll. "Wir haben auch Jachten, von denen man aus das Rennen schauen kann, wir haben Theater, Shopping, einzigartige Entertainment-Angebote. Außerdem sind wir eine der größten Städte der Welt. Eine der Banken in der Stadt hat um 1.500 Tickets der besten Kategorie angefragt, die es gibt!"

Ob Porsche-Supercup, Grand-Am- oder Trans-Am-Serie - die Anfragen von Motorsport-Meisterschaften, im Rahmenprogramm antreten zu dürfen, häufen sich. "Jede Serie möchte hier sein, aber das muss Herr Ecclestone entscheiden", winkt Hindery ab. Dafür plant er das Entertainment-Programm mit seinem derzeit zwölfköpfigen Management-Team selbst: Sei es das sensationelle New Yorker Kulturangebot, das sowieso an 365 Tagen im Jahr besteht, oder das organisierte Festival mit Konzerten, Events und Shows auf der anderen Seite des Hudson, wo das Formel-1-Wochenende stattfindet. Selbst dort ist rund um die Uhr für Unterhaltung gesorgt, denn in Hoboken, der Geburtsgemeinde von Frank Sinatra, gibt es laut Hindery "mehr Bars und Restaurants als in jeder anderen Stadt".


Video: Eine Runde auf den Straßen von Weehawken

Auch Martin Heckers, von Hindery mit der internationalen Sponsorenakquise und Kommunikation des New-York-Grand-Prix beauftragt, kommt ins Schwärmen, wenn er gegenüber 'Motorsport-Total.com' über das Projekt spricht: "Wir haben eine Rennstrecke mit Steigung und Gefälle wie in Spa. Dann haben wir den Glamour und die Atmosphäre von Monaco. Wir haben ein Stadtfestival, eine Partywoche, wenn dieser Zirkus einmal im Jahr in die Stadt kommt, wie in Montreal. Dann befinden wir uns im Herzen eines der weltweit größten Geschäftszentren mit all seinen Hotels, dem einfachen Zugang - man ist nur eine Fähre weit von der Action entfernt. Das kann man am ehesten noch mit Singapur vergleichen. Und es gibt einfachen Zugang zu internationalen Flughäfen."

TV-Slot zur europäischen Primetime

"Und aus kommerzieller Sicht haben wir den perfekten TV-Slot, denn durch die sechs Stunden Zeitunterschied wird das Rennen in der europäischen Primetime übertragen. Obendrauf gibt es dann noch die weltberühmte Skyline von Manhattan als Hintergrund. Daher sage ich: Wenn man das Beste von vielen tollen Formel-1-Rennen nimmt und alles in einen Topf wirft, dann kommt New York dabei heraus", erklärt Heckers, dem es offenbar nicht sonderlich schwer fällt, Sponsorengespräche zu führen: "Ich bin seit 1995 im Geschäft, aber ich habe noch nie einen Event erlebt, der schon im Vorfeld mehr Türen zu kommerziellen Organisationen geöffnet hat als New York!"

"Wir werden voll gesponsert sein", ist auch Hindery optimistisch, dass die von Ecclestone an New York übertragenen Sponsorenpakete verkauft werden können. Aber auch an große US-Marken, die die Formel 1 bisher nie für sich gewinnen konnte? "Das ist das eigentliche Geschenk", lächelt Hindery. "Für die Formel 1 als solche Interesse zu generieren, ist schon nicht schwierig, aber wenn du sie dann in New York stattfinden lässt, wird es ehrlich gesagt ganz einfach. Es ist eben New York, sicherlich die gefühlte Hauptstadt der USA und eine der Medienhauptstädte der Welt." Und vielleicht auch bald eine der Hauptstädte der Formel 1.

Kamera-Fahrzeug vor der Skyline von Manhattan

Ein Kamera-Fahrzeug filmt die Formel-1-Strecke vor der Skyline von Manhattan Zoom

Bernie Ecclestone hat sich immer drei Dinge gewünscht: einen farbigen Weltmeister, eine konkurrenzfähige Frau im Cockpit und einen Grand Prix von New York. Lewis Hamilton hat ihm schon 2008 einen Wunsch erfüllt. Susie Wolff und Maria de Villota haben es immerhin zu Testfahrer-Ehren in der Formel 1 gebracht. Jetzt bleibt nur noch abzuwarten, ob auch der Grand Prix der unbegrenzten Möglichkeiten das halten kann, was Hindery verspricht...