• 05.08.2010 15:42

  • von Stefan Ziegler

Tarquini: "Jeder kämpft für sich"

Titelverteidiger Gabriele Tarquini im Interview über die Situation beim neuen SR-Team, die Chancen des SEAT León TDI und Vorteile aus der Vergangenheit

(Motorsport-Total.com) - Für Gabriele Tarquini hat sich in den vergangenen Wochen und Monaten sehr viel verändert: Erst sicherte sich der Italiener in Macao 2009 den WM-Titel, kurz darauf verabschiedete sich SEAT aus der Tourenwagen-WM. Kurzerhand wurde das neue SR-Team auf die Beine gestellt, um die ehemaligen Werksfahrer aufzufangen. Nun ist Tarquini ein Privatier und doch nicht wirklich, hat keine Chance auf den Titel und fährt dennoch vorne mit. Im Interview mit 'Motorsport-Total.com' spricht er über seine Lage.

Titel-Bild zur News: Gabriele Tarquini

Gabriele Tarquini durfte 2010 bereits vier Laufsiege bejubeln und ist ein Titelkandidat

Frage: "Gabriele, im vergangenen Jahr hast du für SEAT den Titel geholt, nun hast du eine vollkommen andere Ausgangslage. Du bist kein Werksfahrer mehr, Privatier bist du aber auch nicht. Wie würdest du deine Situation beschreiben?"
Gabriele Tarquini: "Ich persönlich habe mich nicht verändert. Ich bin noch immer der gleiche Fahrer wie in der Vergangenheit. Klar ist allerdings, dass sich einiges im Team getan hat."#w1#

"Wir bringen noch immer das gleiche Auto an den Start, doch unsere technischen und wirtschaftlichen Ressourcen sind ganz andere. Wir sind nun eben nicht mehr das SEAT-Team. Die Situation ist also eine vollkommen andere. Vor der Saison hat letztendlich das Team den Ausschlag dazu gegeben, dass ich weitermachen wollte. Alles war prima. Mir war allerdings auch klar, dass es anders sein würde als zuvor."


Fotos: Gabriele Tarquini, WTCC in Brünn


"Ich habe mich dennoch dazu entschlossen, in diesem Jahr wieder anzutreten. Ich war und bin nämlich davon überzeugt: Unser Auto kann auf gewissen Strecken durchaus noch konkurrenzfähig sein. Gelegentlich können wir um den Sieg kämpfen. Damit lag ich nicht ganz falsch, denn zum Saisonstart hatten wir sowohl in Curitiba als auch in Marrakesch und Monza hatten wir ein gutes Fahrzeug."

SR operiert mit den Daten aus dem Vorjahr

Frage: "Ist das Auto noch immer derart konkurrenzfähig oder ist das SR-Team so gut wie der SEAT-Rennstall aus dem vergangenen Jahr?"
Tarquini: "Das ist schwer zu sagen. Am Auto hat sich natürlich nicht viel getan und das Setup ist im Prinzip das gleiche wie im vergangenen Jahr. Wir führen quasi keine Testfahrten durch, dementsprechend ist es auch nicht möglich, das Fahrzeug zu entwickeln und gewisse Bereiche zu verbessern."

"Wir konnten uns etwas steigern, doch das basiert auf den Informationen und Daten von 2009." Gabriele Tarquini

"Wir konnten uns etwas steigern, doch das basiert auf den Informationen und Daten von 2009. Bis auf Zolder und Portimão haben wir es 2010 nämlich mit den gleichen Strecken zu tun. Wir haben also die entsprechenden Referenzdaten - also alle Zutaten, um das Potenzial des Rennwagens zu einhundert Prozent auszunutzen."

Frage: "Ist diese Saison interessanter für dich, gerade weil deine Ausgangslage ziemlich schwierig ist?"
Tarquini: "Es ist knifflig, weil wir nicht die Ressourcen des vergangenen Jahres haben. Testfahrten stehen auch nicht auf dem Programm. 2009 haben wir vor, während und nach der Saison getestet. Pro Monat hatten wir mindestens einen Test. Das war ein normaler Aufwand für ein Herstellerteam. Jetzt ist alles anders."

Freies Fahren für den Fahrertitel

Frage: "Wie gehst du persönlich mit dieser Situation um? Trainierst du mehr für dich selbst? Was machst du anders als 2009?"
Tarquini: "Ich habe deutlich mehr Freizeit, die ich nun mit meiner Familie und mit meinen Freunden verbringen kann. Man muss aber ganz klar sagen: Unser Potenzial ist nicht so groß wie im vergangenen Jahr. Auf manchen Kursen werden wir etwas mehr zu kämpfen haben als sonst."

"Auch unsere Zielsetzung ist anders." Gabriele Tarquini

"Auch unsere Zielsetzung ist anders. 2009 lag das Hauptaugenmerk auf dem Gewinn der Konstrukteurswertung. Darauf haben wir es in diesem Jahr nicht abgesehen. Jeder Fahrer kämpft für sich, wie es normal auch sein sollte. Da ist es natürlich schwierig, ein so fantastisches Teamwork auf die Beine zu stellen, wie wir es im vergangenen Jahr hinbekommen haben."

"Dadurch haben wir speziell in der Qualifikation ein kleines Handicap. Die Atmosphäre im Team war 2009 einer der Schlüssel zum Erfolg. Wir hatten eine perfekte Teamleistung. Auf manchen Strecken konnten wir zwei oder drei Fahrzeuge nach vorne stellen. Das war klasse."

Tarquini gesteht: SEAT hatte einen "großen Vorteil"

Frage: "Du hast vorhin erwähnt, dass dein Auto nur auf bestimmten Strecken siegfähig sein würde. Auf welchen Kursen rechnest du dir demnach einiges aus?"
Tarquini: "Wirf einmal einen Blick in den Rennkalender - die ersten drei Events waren die besten für uns. Curitiba, weil uns die Höhenlage und die Charakteristik dieser Rennbahn entgegen kommen."

"2008 hatten wir halt einen großen Vorteil." Gabriele Tarquini

"Marrakesch, weil wir dort schon im vergangenen Jahr einen großen Vorteil hatten. Und dann wäre da noch Monza. Es ist aber nicht so wie 2008. Die Leute rechnen damit, dass wir ähnlich stark auftreten wie damals. Die Situation ist nun aber eine ganz andere, denn vor zwei Jahren hatten wir noch einen unbegrenzten Ladedruck, unbegrenzte Drehzahlen und einen größeren Lufteinlass."

"Der Motor hat sich in Bezug auf die Fahrbarkeit seither etwas verbessert. Daher kannst du die Daten von 2008 nicht heranziehen, denn damals war der Motor deutlich stärker. Wir rechnen also damit, einige Probleme zu bekommen. 2008 hatten wir halt einen großen Vorteil."