• 28.12.2009 12:54

  • von Stefan Ziegler

Die Saisonbilanz 2009 (1): SEAT

Ein spannendes Rennjahr in der Tourenwagen-WM ist abgeschlossen: 'Motorsport-Total.com' nimmt die Protagonisten unter die Lupe - Heute: SEAT

(Motorsport-Total.com) - Vor Saisonbeginn kennen Ehrgeiz und Motivation keine Grenzen, doch am Jahresende können freilich nur ein Rennfahrer und ein Team die begehrten Titel in der Tourenwagen-Weltmeisterschaft (WTCC) abstauben. Aber welcher Rennstall hat sich in der abgelaufenen Saison besonders hervorgetan und wie war es um das Abschneiden der deutschen Teilnehmer bestellt? 'Motorsport-Total.com' blickt zurück auf das Rennjahr 2009 und nimmt die Protagonisten unter die Lupe. Heute: SEAT.

Titel-Bild zur News: Gabriele Tarquini, Jaime Puig und Yvan Muller

Gabriele Tarquini, Jaime Puig und Yvan Muller bejubeln den WM-Erfolg in Macao

Als Titelverteidiger war SEAT angetreten, als alte und neue Weltmeister beschlossen die Spanier die Rennsaison 2009: Wie schon im vergangenen Jahr, so konnte das Werksteam um Teammanager Jaime Puig auch in dieser Saison wieder einen Erfolg auf ganzer Linie verbuchen, war aber auch für einige fragwürdige Szenen gut - mehr Teamtaktik als SEAT wendete kein anderer Rennstall an.#w1#

Drei Wasserträger für zwei Titelkandidaten

Das Rennjahr hatte kaum begonnen, da waren die teaminternen Rollen schon vergeben: Gabriele Tarquini und Yvan Muller hatten bei den Überseerennen zu Saisonauftakt gut gepunktet und damit indirekt das Rennschicksal ihrer Teamkollegen besiegelt - Rickard Rydell, Jordi Gené und Tiago Monteiro mussten sich bei den folgenden Rennevents damit begnügen, die "Wasserträger" zu sein.

"Eigentlich entscheiden schon die beiden ersten Wochenenden darüber, wer um den Titel kämpfen wird", sagt Monteiro stellvertretend für das Helfertrio von SEAT. Doch genau aus dieser Strategie schlugen die Spanier reichlich Kapital: Niemals zuvor hatten ein Weltmeister (Tarquini) und der WM-Zweite (Muller) mehr WM-Zähler auf dem Konto, als die beiden SEAT-Speerspitzen in diesem Jahr.

Yvan Muller, Curitiba, Curitiba Circuit

Klare Hierachie: Nach wenigen Rennen steht bei SEAT die Rollenverteilung fest Zoom

Ob diese Art der Zusammenarbeit auch bei den Zuschauern auf Gegenliebe stieß, darf zumindest bezweifelt werden. "Das von SEAT so oft zitierte Teamwork wurde bis zur Unglaubwürdigkeit überstrapaziert", findet 'Eurosport'-Kommentator Uwe Winter, der für 'Motorsport-Total.com' die Leistungen der einzelnen Teams analysiert. Oft habe man dadurch die wahre Kraft der Dieselautos verschleiert.

Die Dieselfrage ist noch immer nicht geklärt

Der Windschatten des Fünferkonvois habe als Erklärung für die Topzeiten herhalten müssen, so Winter, "obwohl für jeden Fachmann auf einigen Strecken deutlich erkennbar war, dass die schnellsten Rundenwerte ohne Windschatten erzielt wurden." Im Zeittraining gingen mit Abstand die meisten Sektorenbestzeitzeiten an die drehmomentstarken TDIs aus dem Hause SEAT.

Und just diese Technik sollte im Jahresverlauf gleich mehrfach für Schlagzeilen sorgen - der Ladedruck der Turbodiesel beschäftigte die Tourenwagen-WM über mehrere Events hinweg. "Die FIA und ihre Techniker sind seit August 2007, dem Debüt des SEAT-TDI überfordert, die Technik richtig zu bewerten beziehungsweise entsprechende Maßnahmen abzuleiten", gibt Winter diesbezüglich zu Protokoll.

Tiago Monteiro

Die Einstufung der Dieselautos von SEAT warf auch in diesem Jahr Fragen auf Zoom

"Die Entwicklung der Dieselmotoren im Tourenwagensport steckt noch in den Kinderschuhen und macht gewaltige Fortschritte", erläutert der TV-Experte und fügt an: "Andy Priaulx hat es meines Erachtens nach am Besten beschrieben, indem er sagt: 'Man kämpft gegen einen nicht sichtbaren Gegner.'" Dieser hatte sich letztendlich als zu stark für die versammelte Konkurrenz erweisen.

Tarquini überraschend konstant und fehlerlos

Eine Tatsache, die sich schon frühzeitig andeutete. Winter: "SEAT hat seine Favoritenrolle gleich beim Saisonauftakt in Curitiba demonstriert. Auch die später verordnete Ladedruckbegrenzung auf 2,7 Bar konnte die TDIs kaum einbremsen. Man hatte von außen betrachtet eben stets den Eindruck, als ob die Spanier jederzeit alles im Griff hatten", meint der 'Eurosport'-Kommentator. Das Ergebnis: zwei Titel.

Einen davon sicherte sich Routinier Tarquini, der im stolzen Rennfahreralter von 47 Jahren zum ältesten FIA-Weltmeister aller Zeiten avancierte - und das mit einer überraschenden Konstanz: "Innerhalb der technisch überlegenen SEAT-Truppe war er aktuell der stärkste Fahrer, mit erstaunlich geringer Fehlerquote", bestätigt Winter. Doch Tarquini hatte auch einen Stein im Brett der Rennleitung.

Gabriele Tarquini

Gabriele Tarquini wurde nicht für alle Vergehen von der Rennleitung belangt Zoom

Gelegentlich fiel der frühere Formel-1-Pilot in seine "gewohnten" Verhaltensmuster zurück und verschaffte sich mit zum Teil rüden Fahrmanövern den nötigen Raum auf der Strecke - wobei die Stewards in Puebla sogar eine Durchfahrtsstrafe auf Bewährung aussprachen! Auch für sein Abkürzen in Porto, das ihm möglicherweise den Laufsieg vor Rob Huff sicherte, wurde Tarquini nicht belangt.

Ein Publikumsliebling ist Tarquini nicht

Dem gegenüber stehen freilich einige brillante Vorstellungen am Lenkrad seines SEAT León TDI, doch Winter merkt an: "Dass die Fehlerquote im gesamten Fahrerquintett gering ausfiel, darf auch dem Potential der Fahrzeuge angerechnet werden." Nichtsdestotrotz ist Tarquini - mit all seinen Ecken und Kanten - ein durchaus würdiger Titelträger der Tourenwagen-WM. Aber kein Publikumsliebling.

In den Augen von 'Eurosport'-Kommentator Winter ist der Italiener "ein kämpferischer Typ, der aber leider zu häufig überzieht und mit groben Fouls aufwartet. Schon deshalb wird er nie ein 'Meister der Herzen' werden", so der TV-Experte. "Mit seinen Ecken und Kanten, optisch wie auch vom persönlichem Auftritt, unterscheidet er sich aber von vielen jungen Werksfahrern im Motorsport, die häufig ähnlich geklont wirken, wie die neuen Rennstrecken aus der Hand von Hermann Tilke."

Gabriele Tarquini

Gabriele Tarquini ist ein betont harter, aber auch erfolgreicher Tourenwagen-Pilot Zoom

Seit dem 22. November 2009 sticht der 47-Jährige sogar noch deutlicher aus der WTCC-Fahrermasse heraus, denn seit diesem Datum darf sich Tarquini als Weltmeister bezeichnen. "Ich wurde Champion, ohne es zu wissen", sagte der SEAT-Fahrer rückblickend - sein Titelrennen ging in Macao nach einem Rennabbruch zu Ende, weil der letzte WM-Lauf des Jahres nicht mehr neu gestartet wurde...¿pbvin|64|2179|wtcc|0|1pb¿

Das Rennjahr von SEAT in Zahlen

Fahrer:
# 01 Yvan Muller (Frankreich)
# 02 Gabriele Tarquini (Italien)
# 03 Rickard Rydell (Schweden)
# 04 Jordi Gené (Spanien)
# 05 Tiago Monteiro (Portugal)

Siege: 8
Doppelsiege: 5
Podien: 33
Pole-Positions: 6
Schnellste Runden: 7
Führungsrunden: 115

Platzierung in der Gesamtwertung (Team):
01. SEAT - 314 Punkte

Platzierung in der Gesamtwertung (Fahrer):
01. Gabriele Tarquini - 127 Punkte
02. Yvan Muller - 123
07. Rickard Rydell - 64
08. Jordi Gené - 48
09. Tiago Monteiro - 44

Wie geht es 2010 weiter?

Noch hat SEAT seine Pläne für die kommende Saison nicht bekannt gegeben. Gerüchten zufolge werden die Spanier der Tourenwagen-WM aber treu bleiben und - ähnlich wie Konkurrent BMW - ihr Werksaufgebot verkleinern. Möglicherweise sind 2010 nur noch zwei Dieselfahrzeuge im Einsatz. Wer im Cockpit sitzen könnte, ist ebenfalls unklar - Yvan Muller hat das Team jedenfalls bereits verlassen.