Interview mit Lutz Leif Linden: Wie es mit der NES klappen soll

AvD-Generalsekretär Lutz Leif Linden treibt die Nürburgring-Endurance-Series (NES) als NLS-Alternative voran und räumt mit bisherigen Zweifeln auf

(Motorsport-Total.com) - Ungeachtet des Urteils Anfang September gehen die Planungen für die Nürburgring-Endurance-Series des AvD des weiter. Dessen Generalsekretär Lutz Leif Linden ist bereit, sich in Konkurrenz zur Nürburgring-Langstrecken-Serie (NLS) der VLN zu begeben. Im exklusiven Interview stellt sich "Triple L" den Fragen von Motorsport-Total.com.

Titel-Bild zur News: AvD-Generalsekretär Lutz Leif Linden

AvD-Generalsekretär Lutz Leif Linden im exklusiven Interview Zoom

Frage: "Herr Linden, ist das Thema NES noch heiß?"
Lutz Leif Linden: "Ja, das Thema ist nach wie vor heiß. Der AvD arbeitet unverändert unter Hochdruck mit seinen Sportleuten auch weiterhin an den Vorbereitungen für 2024. Wir sind relativ weit mit allen Planungen, mit Reglementsthemen sowie mit der Organisation. Für uns bleibt die Sachlage fürs Erste unverändert. Wir sind voll auf dem Gas für die nächste Saison."

Frage: "Nach dem Urteil im September fährt auch die NLS am Nürburgring weiter. Sind Sie für einen Wettbewerb gerüstet?"
Linden: "Also erstmal vorab: Wir sind weder Beklagter noch sind wir Kläger in dem anderen angesprochenen Verfahren. Ich kann mich zu dem Verfahren also nicht weiter äußern und kenne die gefällte Entscheidung auch nur aus den medialen Veröffentlichungen. Ich habe keinen näheren Einblick in den genauen Wortlaut des Urteils. Allein schon deshalb kann ich mich dazu also nicht weiter äußern."

"Sollte es dazu kommen, dass es zwei Serien gibt, die mit jeweils acht oder zehn Terminen arbeiten, dann werden wir sehen, wie der Markt das entscheidet oder welche Termine es geben wird. Das ist im Augenblick noch alles sehr unklar und allenfalls Gegenstand von Spekulationen."

"Ich kann nur sagen: Wir haben natürlich auch Termine angefragt. Jetzt werden wir sehen, was der Nürburgring an wen vergibt. Davon, oder was vielleicht irgendeine Richterin oder ein Richter vergibt, hängt es letztendlich ab. Da sind wir im Augenblick nur Passagier."

"Aktuell setzen wir unsere Vorbereitungen weiter fort, die Rennserie im kommenden Jahr ausrichten zu können. Jetzt gucken wir, was letztendlich entweder die Gerichte entscheiden oder was der Nürburgring den einzelnen Bewerbern oder Promotoren an Terminen anbieten wird."

Frage: "Die ILN beklagt sich über relativ wenig konkrete Informationen seitens des AvD. Zudem wurde ein geplantes Teamchef-Meeting am 15. September abgesagt..."
Linden: "Also zunächst haben wir im Verlauf der bisherigen Saison mit verschiedenen Vertretern der ILN mehrere Einzelgespräche geführt. Wir standen also immer in Kontakt zu ILN-Vertretern."

"Zu Herrn Rosorius gab es zwar relativ wenig Kontakt, das ist richtig. Dafür gab es einen regelmäßigen Austausch mit anderen Mitgliedern des ILN-Vorstands. Das ist so. Deswegen ist der angesprochene Vorwurf in der Sache nicht korrekt. Er zeigt aber, wie versucht wird Stimmung zu machen."

"Wir hatten ein größeres Meeting mit ILN-Mitgliedern. Das war mit zehn, zwölf Leuten vor etwa vier Wochen. Dabei haben wir unsere Pläne vorgestellt, soweit diese bereits spruchreif waren. Aber wie schon gesagt: Wir werden mit Sicherheit keine neuen Dinge veröffentlichen, bevor wir nicht feste Renntermine haben. Ich schlaue doch die Wettbewerber nicht auf."

"Aber wir haben den ILN-Vertretern dargelegt, um wie viele Veranstaltungen es geht, damit sie planen können. Und weil das Thema Kosten ja im Augenblick generell im Motorsport sehr sensibel ist, haben wir ihnen auch gesagt, was Kosteneinsparungen eventuell für die Zukunft bringen können. Dazu gab es auch sehr gutes Feedback, weil die Teams gemerkt haben, dass wir uns mit diesen Dingen intensiv auseinandergesetzt haben."


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"Wir haben ihnen natürlich auch die Angst genommen, ob irgendwelche Fahrzeugklassen nicht mehr startberechtigt sind. Im Klartext: Es geht nicht darum für die Zukunft eine reine GT3-Serie auf der Nordschleife zu etablieren. Ich weiß nicht, wer dieses Gerücht gestreut hat. Ich glaube, das haben wir vernünftig und nachvollziehbar darstellen können. Aber wenn bestimmte Protagonisten versuchen, ihr eigenes Süppchen zu kochen, dann ..."

"Die ILN-Vertreter haben uns zu verstehen gegeben, dass sie mit dem AvD als sportlichem Ausrichter gar kein Problem haben. Sie haben aber auch gesagt, ihr Interesse liege vielmehr darin, noch mehr Details zu dem neuen Reglement zu bekommen. Dem entsprechend haben wir uns ausgetauscht."

"Deswegen war ein Termin für den 15. September vereinbart, um einige weitere Eckpunkte am Nürburgring vorstellen zu können. Und damit möglichst viele Teams die Möglichkeit zur Teilnahme haben, hatten wir die Besprechung als Hybrid-Treffen geplant. Aber jetzt, nach der gefällten gerichtlichen Entscheidung, die am Vortag des geplanten Meetings öffentlich wurde, müssen wir natürlich zunächst abwarten, bis es konkrete Termine gibt, um dann unseren Austausch mit den Teams fortzusetzen. Das ist aber ein ganz normales Vorgehen."

Frage: "Es heißt immer wieder, der AvD sei angeblich nicht in der Lage, eine Serie wie NLS oder NES zu veranstalten ..."
Linden: "Wieso? Warum? Was ist der Grund?"

Frage: "Es heißt, die Infrastruktur sei nicht vorhanden"
Linden: "Darüber würde ich mir keine Gedanken machen. Die Personalstruktur ist fertig. Wir haben am vergangenen Sonntag noch mal zusammengesessen."

"Von unserer Seite her gibt es genug Vereine beziehungsweise auch genug Personal, die bereit sind, nächstes Jahr die NES auszurichten. Da sehe ich überhaupt keine personellen Probleme. Aber es ist immer schön, wenn sich Leute mit den vermeintlichen Probleme Anderer auseinandersetzen."

Frage: "Wie soll sich NES in Konkurrenz zur NLS von dieser abheben?"
Linden: "Das kann ich Ihnen gerne an dem Tag erzählen, an dem ich die acht oder zehn Termine in der Hand habe. Aber vorher werde ich natürlich nicht sagen, was der Unterschied ist oder was wir besser machen werden."

"Also wie erzeugen wir besseren Media-Output? Wie optimieren wir die Vermarktung für die Teams? Was können wir an Kosteneinsparungen für die Teams umsetzen? Wie werden wir die Starterzahl per se wieder erhöhen? Alle Themen, die ich gerade angeschnitten habe, gehören natürlich mit zu dem Themenkreis, mit dem wir uns intensiv auseinandersetzen."

"Von unserer Seite her gibt es genug Vereine beziehungsweise auch genug Personal, die bereit sind, nächstes Jahr die NES auszurichten." Lutz Leif Linden

"Eines muss ich mal sagen: Die Leute scheinen bei all den Diskussionen vollkommen auszublenden, dass wir uns in Deutschland in einer extremen Rezession befinden. Das scheint irgendwie niemand mitzubekommen. Ja, es ist schlimm, dass es weniger Starter sind. Ich finde das auch furchtbar."

"Aber man muss ja auch mal ganz klar sagen, wie die Lage aktuell aussieht. Wir haben eine Rezession und die ist aktuell nicht nur in der VLN spürbar, mit der hat der gesamte Motorsport in Deutschland zu kämpfen. Das ist für mich ein ganz wichtiger Punkt."

Frage: "Mit unter 100 Teilnehmern wäre doch aber wahrscheinlich auch in der NES kein Staat zu machen, oder?"
Linden: "Was heißt kein Staat? Die Frage ist: Will man damit großes Geld verdienen oder will man eine Serie ausrichten? Das ist doch die eigentliche Frage. Also der AvD hat mit der Ausrichtung der NES nicht vor, Millionen zu verdienen. Es gibt im Rundstrecken-Automobilsport auch nur ein, zwei internationale Serien, mit denen man tatsächlich Geld verdienen kann. Das ist so."

"Wir wollen natürlich für die Teams eine Basis schaffen, die bezahlbar bleibt. Damit meine ich, dass wir uns sehr intensiv damit beschäftigen, wie man im Rahmen von Reglement, Technik, Reifen, Benzin, etc. die Kosten weiter in den Griff bekommen kann."

Frage: "Aber es ist nicht von der Hand zu weisen, dass es wohl deutlich kleinere Starterfelder geben wird, wenn es zwei Serien gibt ..."
Linden: "Vielleicht ist es ja für den einen besser, für den anderen schlechter, keine Ahnung. Das ist aber im Augenblick Spekulation. Glaubt jemand, dass es vielleicht 16 oder 20 Termine auf der Nordschleife gibt? Da müssen sich ein paar Leute, die alle von sich behaupten, am Nürburgring so gut Bescheid zu wissen, mal überlegen, wie viele Termine an der Nordschleife überhaupt verfügbar sind."

"Wie gesagt: Der AvD ist nicht in dieses Verfahren involviert. Deswegen müssen wir abwarten, was am Ende herauskommt. Dann werden wir überlegen, wie wir mit den Rahmenbedingungen umgehen, welche Termine verfügbar sind und was der Nürburgring von sich aus anbietet."


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"Aber es ist auch denkbar, dass jetzt noch ein dritter Protagonist die Bühne betritt, der auch noch etwas machen will. Zum gegenwärtigen Zeitpunkt finde ich das, was da gerade gerichtlich entschieden wurde, jedenfalls überaus realitätsfern."

Frage: "Wäre es denkbar, gemeinsam mit der VLN weiterzumachen so, wie aktuell?" [Der AvD ist seit 2023 Sponsor der NLS]
Linden: "Ich habe dieses Tor immer offengehalten, auch für die veranstaltenden Clubs, gegen die ich überhaupt nichts habe. Ich würde liebend gerne mit denen auch künftig zusammenarbeiten. Aber wenn der eine oder der andere nicht will, dann muss ich das akzeptieren."

"Am Anfang konnte sich übrigens die VLN sogar noch vorstellen, dass der AvD als starker Partner reinkommt. So war es ursprünglich auch gedacht. Da war das alles noch in Ordnung. Aber 14 Tage nach der Rückmeldung an die Nürburgring Holding, dass sich alle in der VLN Sport die vorgeschlagene Umstrukturierung vorstellen können, hieß es plötzlich: Nein, auf gar keinen Fall, und man wolle das selbst machen."

"Das ist ja auch interessant. Ursprünglich konnte man sich das alles gut vorstellen: Ein weiterer, finanziell potenter Partner mit einer motorsportlichen Erfahrung kommt rein. Der hilft, die Serie zu vermarkten und man arbeitet gemeinsam zum Wohle des gesamten Projekts. Das war der ursprüngliche Antrieb. Und das konnte man sich zunächst auch sehr gut vorstellen. Und plötzlich, 14 Tage später, eben nicht mehr. Da wollte man das nicht mehr tun."

"Wie gesagt: Ich habe immer die Tür offengehalten, auch vor vier Wochen noch. Für uns was das nie ein Problem. Wenn die Clubs mit uns gemeinsam arbeiten wollen, gerne. Ich stehe auch jetzt noch dazu. Es sind ja eigens zwei Firmen gegründet worden, damit dort die einzelnen Clubs weiterhin die Möglichkeit haben, einzusteigen."

"Also die Möglichkeit besteht weiter. Aber wenn keiner kommt, dann gehen AvD-Clubs rein. Fertig. Damit haben wir auch kein Problem."

Die schrumpfenden Starterfelder drohen bei einem Split in zwei Serien noch kleiner zu werden

Die schrumpfenden Starterfelder drohen bei einem Split in zwei Serien noch kleiner zu werden Zoom

Frage: "Ließe sich ein Unterschied über innovative Antriebe in der NES machen?"
Linden: "Als Präsident der FIA-GT-Kommission bin ich in dieses Thema natürlich relativ stark involviert. Es ist klar zu erkennen, was die Hersteller im Augenblick wollen oder sich vorstellen können, was mit in einer Zeitperspektive 2025 und was sie als nächstes dann bis 2028 und danach anstreben. Wir arbeiten in diesem Thema gerade bei der FIA an neuen Reglements."

"Und ich kann eins sagen: Keiner der 15 großen, namhaften Hersteller möchte in diesem Tourenwagen- oder GT-Sport eine Hybridlösung haben. Das liegt einfach daran, dass alle sagen, es handelt sich um Customer-Racing. Das heißt, es soll und muss bezahlbar bleiben. Ich hatte eigentlich erwartet, dass vielleicht eine etwas positivere Haltung in Bezug auf Hybridlösungen besteht."

"Aber die sagen alle Nein, weil es mit Standard-Hybridlösungen sehr teuer und technisch so hoch anspruchsvoll wird, dass es für Kundenteams kaum zu handeln ist. Deswegen sind die Hersteller allesamt nicht daran interessiert. Und ich rede hier jetzt wirklich von 15 namhaften Herstellern, die alle die gleiche Position vertreten."

"Bei dem Thema E-Fuels, synthetische Kraftstoffe, Biosprit, etc. sind alle Hersteller offen. Das ist ein Thema, das ich seit eineinhalb Jahren sehr nachdrücklich vorantreibe. Und in diesem Punkt sind die international vorgegebenen Spezifikationen der FIA ja auch schon relativ weit."

"Das Problem ist allein die Verfügbarkeit der benötigten Mengen. Aber auch das wird mit der Zeit lösbar sein. Wir werden beispielsweise in Macau im November bereits einen Sprit mit hohen Bioanteil fahren. Im nächsten Jahr wird der Anteil noch weiter steigen und im Jahr 2026 wird der Kraftstoff dann vollsynthetisch sein."

"Ich hatte eigentlich erwartet, dass vielleicht eine etwas positivere Haltung in Bezug auf Hybridlösungen besteht." Lutz Leif Linden über GT3-Hersteller

"Das sind Themen, die die Hersteller gerne wollen und die wir natürlich auch gerne in der NES umsetzen möchten. Gerade die Frage unterschiedlicher Treibstoffe. Sicherlich haben wir keine Vorbehalte gegen Wasserstoff, aber Wasserstoff ist ein Thema, das im Customer-Racing sehr teuer ist - zumindest am Anfang."

"Die Umsetzung wird wohl erst mal bei Werksteams erfolgen. Ich kann mir gut vorstellen, dass die dann NES-Rennen als Entwicklungslabor nutzen, sprich als Test unter Renn- und damit unter Extrembedingungen. Wenn es so weit ist, werden wir die Tür sehr, sehr weit aufmachen. Das ist ganz klar, keine Frage."

"Aber wie gesagt: Zu glauben, dass das wirklich bezahlbar wird, grenzt an Naivität. Für mich ist das Customer-Racing. Das habe ich immer gesagt. Auch wenn dort oben viele GT3s rumfahren, die alle unbedingt das 24-Stunden-Rennen gewinnen wollen und anschließend dann zum Teil verschwunden sind: Ja, es ist schön, dass da die Werke dabei sind."

"Aber noch einmal: Ich habe das immer als Customer-Racing gesehen, immer als Kundenteam-Sport. In meinem Fokus steht nicht das große Werk, das kommt und sagt: Wir machen hier jetzt mal die Entwicklungsabteilung auf und es ist uns vollkommen wurscht, was uns das kostet. Jetzt fahren wir uns hier die Pokale ein."

"Das habe ich nie so gesehen und das ist es auch nicht. Ich sage auch, dass da manche Werkseinsätze für meine Begriffe zu groß sind. Aber das ist ein anderes Thema."

Frage: "Was möchten Sie zum Abschluss noch hinzufügen?"
Linden: "Ich kann Ihnen leider noch nicht die schönen Neuerungen präsentieren, die wir in petto haben. Sie wissen, wie es im Automobilbau ist: Einer zeigt das Design und morgen ist es von der Konkurrenz kopiert. So ist es auch im Sport."

"Wir haben uns aber trotzdem intensiv angeguckt, wie die Serie bisher aufgestellt ist und was man im Sinne der teilnehmenden Teams vielleicht verbessern kann. Also wir sind bereit. Wir schauen uns das intensiv an und können im Endeffekt morgen loslegen. Ich hätte natürlich gerne alles schon ein bisschen früher unter Dach und Fach gehabt, aber wie gesagt: Wir planen aktuell unverändert weiter."