Großes Interview mit VLN-Chef Mike Jäger zur Lage in der NLS

Mike Jäger stellt sich den Fragen von Motorsport-Total.com - Wie es in der VLN nach dem Sieg vor Gericht weitergeht und welche Themen nun angegangen werden

(Motorsport-Total.com) - Ein wenig erinnert seine Rolle an Olaf Scholz: Mit dem Gedanken angetreten, Dinge innerhalb der Nürburgring-Langstrecken-Serie (NLS) zu verbessern, sah sich Mike Jäger erst einmal mit einer existenziellen Krise seiner Gesellschaft gegenüber.

Titel-Bild zur News: Mike Jäger hat eine harte juristische Schlacht hinter sich

Mike Jäger hat eine harte juristische Schlacht hinter sich Zoom

Mit dem gewonnenen Gerichtsverfahren ist nun ein Sieg erzielt. Doch letztlich kann er sich den Dingen, die der schon immer vorhatte, erst jetzt widmen. Im exklusiven Interview verrät er die weiteren Pläne.

Frage: "Schlafen Sie jetzt besser?"
Mike Jäger: "Wir wussten schon an dem Verhandlungstag, wie die Tendenz sein würde. Das Gericht hat sich daran gehalten. Sie haben das umgesetzt, was sie angekündigt haben. Von daher war für uns klar, was kommen würde."

"Wir waren logischerweise sehr gut vorbereitet. Wir wussten, was wir wollten. Wir waren uns darüber im Klaren, dass wir hier für die Region und für unsere Teams Planungssicherheit brauchen, weil sie sonst nicht fahren können. Diesen Auftrag haben wir angenommen und verstanden."

"Dieses Wort [Planungssicherheit] ist in den vergangenen Wochen sehr oft gefallen. Natürlich rechnen wir mit einem Einspruch, aber davor haben wir keine Angst. Das würde ich [an ihrer Stelle] auch tun. Sonst gestehe ich mir ein, wenn ich nicht alle Rechtsmittel ausgeschöpft habe, dass ich vielleicht doch nicht richtig lag."

Frage: "Aber das Urteil ist doch schon sehr klar formuliert, nach dem, was man gehört hat..."
Jäger: "So ist es. Das Gericht hat auch keinen Zweifel daran gelassen, wie es das sieht. Es gibt nach dem Nürburgring-Gesetz und nach dem Kartellrecht für uns ein Zugangsrecht zum Nürburgring. Dafür sind diese Gesetze gemacht worden. Wir mussten aber unserer Position sehr klar machen."

"Wir hätten es am liebsten nicht gemacht. Wir hätten es immer vorgezogen, diesen Weg nicht gehen zu müssen. Aber wir hatten keine Wahl, wir mussten ihn gehen, um Planungssicherheit für unsere Teams und für alle [in der Region] zu schaffen. Alle haben danach geschrien, wie es denn jetzt weitergeht."

"Und wir können natürlich nicht bis Februar warten, um ihnen zu sagen, ob es weitergeht oder nicht. Wir brauchten die Informationen jetzt und deswegen haben wir es jetzt auch dargestellt."


Fotos: NLS 2023: 12h Nürburgring


Frage: "Hat das Thema Kundenfreundlichkeit unter dem Verfahren gelitten?"
Jäger: "Ja, wir haben diese Dinge natürlich weiter vorangetrieben. Ich wäre natürlich gerne ein bisschen weiter, viel weiter mit gewissen Dingen."

"Wir haben zum Beispiel wirklich gute Änderungen in der Verordnung, Vereinfachungen für das nächste Jahr. Aber die kann ich jetzt noch nicht kommunizieren, weil ich sonst Angst habe, dass jemand anderes Copy-Paste macht und unsere Innovation als seine verkauft. Deshalb müssen wir uns in vielen Dingen zurückhalten."

"Wir arbeiten sehr eng mit dem ILN zusammen. Dort arbeiten wir auch mit Teams am Regelwerk. Im Prinzip sind wir schon sehr weit und geben richtig Gas, damit wir das, was wir jetzt vorgelegt haben, auch umsetzen können."

Frage: "Gibt es schon Gespräche mit dem Nürburgring für die kommende Saison?"
Jäger: "Nein, jetzt ist erst einmal das Urteil zugestellt worden. Es besteht die Verpflichtung, uns Termine zukommen zu lassen. Ich bin mir ziemlich sicher, dass man das zeitlich in die Länge ziehen will."

"Aber ich kann nur immer wieder betonen: Wir, die VLN Sport, sind nach wie vor gesprächsbereit. Wir wollen keine Türen zuschlagen, wir wollen keine Brücken einreißen, wir wollen keine Seile oder Tischtücher zerschneiden, wie immer man das nennen will. Wir waren die ganze Zeit gesprächsbereit und sind es immer noch."

Frage: "Aber nur, wenn das Angebot für euch akzeptabel ist..."
Jäger: "Natürlich. Ich kann nicht akzeptieren, auch nicht vor meinen Gesellschaftern, dass man uns sagt, wir sind zwar noch dabei, haben aber kein Mitspracherecht mehr."

"Wir sind diejenigen, die diese Rennserie vor 47 Jahren gegründet, aufgebaut und bis heute weitergeführt haben. Uns gehören 100 Prozent der VLN Sport und 40 Prozent der VLN VV, an der die [Nürburgring] Holding mit 60 Prozent beteiligt ist. Ich kann auch nicht 100 Prozent der VLN Sport und 40 Prozent der VLN VV in die Waagschale werfen, wenn ich dann in meiner eigenen Rennserie nur noch Zaungast bin. Das ist für jeden verständlich."


12h Nürburgring 2023: Highlights NLS6+7

Die besten Szenen von den 12 Stunden vom Nürburgring, die mit dem 63. ADAC ACAS Cup und dem 62. ADAC Reinoldus-Langstreckenrennen die Läufe sechs und sieben zur Nürburgring-Langstrecken-Serie (NLS) 2023 bildeten

"Es geht um Tradition, es geht um Emotion. Es ist eine Herzensangelegenheit. Da geht es nicht um Geld, Strategie, Gesichter oder Macht. Die Vereine wollen diese Rennserie. Darum geht es. Es ist meine Aufgabe, das fortzuführen."

Frage: "Die Argumentation der Gegenseite war, dass die Vereine kein wirtschaftliches Risiko eingehen, wenn sie nur noch 24 Prozent haben, und wenn es so weitergeht, werden alle pleite gehen..."
Jäger: "Wer maßt sich an, für uns zu entscheiden, was wirtschaftlich gut ist und was nicht? Wir sagen, dass wir auch alleine in der Lage sind, eine Rennserie darzustellen."

"In der VV kommt natürlich eine neue Herausforderung auf uns zu. Aber auch da sind wir in der Planung so gut vorbereitet, dass wir das an anderer Stelle darstellen können. Wir wollten das gar nicht. Wir sind dazu gedrängt worden."

"Wer maßt sich an, für uns zu entscheiden, was wirtschaftlich gut ist und was nicht?" Mike Jäger

"Ich entscheide ja auch nicht, ob jemand eine rote oder eine blaue Hose trägt. Die sollen ihren Job machen. Die sind die Eigentümer der Strecke und wollen unsere Arbeit machen. Die sollen sich keine Gedanken darüber machen, ob sich das wirtschaftlich trägt oder nicht. Das können wir alleine. So schlau sind wir. Dass die uns die Entscheidungen abnehmen wollen, ist Murks. Das ist vorgeschoben."

Frage: "Wie soll eine Zusammenarbeit zwischen der VLN und dem Nürburgring aussehen, mit dem ihr euch gerade vor Gericht so richtig gestritten habt?"
Jäger: "Noch einmal: Wir sind und bleiben gesprächsbereit. So wie es jetzt aussieht, werden wir in Zukunft Vermieter und Mieter sein. Und wenn dieses Verhältnis nicht funktioniert, ist es grundsätzlich immer schwierig."

"Natürlich stellen wir uns dieser Herausforderung. Aber wir wollen doch alle das Gleiche: Es geht hier um Motorsport. Wir wollen hier eine Serie und Motorsport betreiben. Der Nürburgring partizipiert daran, indem er uns die Strecke, die Boxen und alles, was dazu gehört, vermietet."

"Daran hängen das Catering, die ganzen Pommesbuden, die ganzen Übernachtungsmöglichkeiten in dieser ganzen Region. Das ist eine Win-Win-Situation. Jeder soll hier seinen Job machen und dann funktioniert auch eine Zusammenarbeit."


Fotostrecke: Streit um Langstreckensport am Nürburgring: Die Gemengelage erklärt

Frage: "Hätte es die VV in dieser Konstellation also nie geben dürfen?"
Jäger: "Die VV ist kein schlechtes Konstrukt. Wir als Vereine sind ja keine Marketingexperten. Das Ticketing gehört eigentlich zum Veranstaltungsort. Das hat damals schon Sinn gemacht."

"Aber wir haben nicht entschieden, dass wir das nicht mehr wollen. Das hat die Holding entschieden. Die hat entschieden, dass sie aus der VLN VV aussteigen will. Damit geht die VLN VV zu 100 Prozent zurück an die VLN Sport. Das wird auch eine hundertprozentige Tochter bleiben."

"Wir werden also in Zukunft einiges anders machen müssen - natürlich mit den entsprechenden Aufstockungen der Ressourcen. Aber das ist bereits in Planung."

Frage: "Kommen wir zu dem Thema, das Sie eigentlich angehen wollten. Wir hatten am Sonntag wieder weniger als 100 Starter. Damit können Sie nicht zufrieden sein."
Jäger: "Sind wir auch nicht, absolut nicht. Aber wir wissen, dass im Moment viele Faktoren dagegen sprechen. Wir dürfen uns nichts vormachen, Geld ist das größte Problem."

"Wir haben Versorgungsengpässe in einigen Bereichen, wir haben Einsparungen, wir haben eine Inflation von zwischenzeitlich zehn Prozent. Wir haben viele Faktoren, die eigentlich dagegen sprechen. Aber wir müssen uns insgesamt anders aufstellen und vielleicht mehr über Sponsoren generieren, mehr Events machen, mehr Rahmenveranstaltungen."

"Vielleicht Kooperationen mit anderen Rennserien. Wer sagt denn, dass in Zukunft nicht eine RCN und eine VLN an einem Wochenende fahren können? So könnte man Ressourcen bündeln und gemeinsam an Themen arbeiten. Da sind wir für alles offen."

Frage: "Jetzt kommt noch das Thema Antriebsdiversifizierung hinzu. Wenn die NLS keine Youngtimer-Serie werden soll, gibt es da einiges zu tun..."
Jäger: "Genau. Wie gesagt, es gibt viele, viele Projekte, die bei uns anstehen, und viele, viele Herausforderungen, denen wir uns stellen müssen."

"Das fängt im Kleinen an. Ich bin gerade gefragt worden: 'Warum heißt es nicht wieder VLN?' Da fängt es an, bei den kleinen Dingen. Wie stellen wir uns in Zukunft neu auf? Es gibt Herausforderungen, aber wir werden sicher nicht alles auf einmal bewältigen können."

"Wir gehen Schritt für Schritt vor und ich bin zuversichtlich, dass wir das als Team schaffen. Die ganze Sache hat uns viel stärker gemacht und zusammengeschweißt. Es gab noch nie eine so starke VLN und noch nie so viel Zusammenhalt."

Der Breitensport-Charakter soll in der NLS auch künftig erhalten bleiben

Der Breitensport-Charakter soll in der NLS auch künftig erhalten bleiben Zoom

Frage: "Gibt es bereits Feedback von den Teilnehmern?"
Jäger: "Wir hatten vor den 12 Stunden vom Nürburgring ein Teamchef-Meeting, weil wir es unseren Kunden schuldig waren, sie zu informieren. Natürlich gibt es solche und solche Kommentare. Vor allem in den sozialen Medien wurde viel Un- und Halbwissen verbreitet. Deshalb bin ich relativ entspannt."

Frage: "Ist in Sachen GT3 mit der FIA für die Zukunft alles geklärt?"
Jäger: "Ja, aber was uns wichtig ist: Wir bleiben eine Kunden- beziehungsweise Breitensportserie. Wenn wir von Professionalisierung sprechen, meinen wir nicht, dass wir nur noch Top- und Profiautos wollen."

"Es geht um Technik, Digitalisierung und so weiter. Das verstehen wir unter Professionalisierung. Wir sind und bleiben eine Kunden- und Breitensportserie. Dazu haben wir uns verpflichtet, das haben wir versprochen und so soll es auch sein."

Frage: "Es gibt eine Hybrid- und eine Elektroklasse, die aber seit Jahren leer steht, obwohl wir Versuchsträger haben fahren sehen. Woran hakt es hier?"
Jäger: "Das kann ich im Moment auch nicht sagen. Aber das sind Dinge, die wir unbedingt forcieren müssen. Wenn wir das Know-how nicht selbst aufbauen können, müssen wir externe Ressourcen dazu holen. Darum kommen wir nicht herum. Das gehört zu unseren Aufgaben. "

Frage: "Um den Kreis zu schließen: Wie fühlen Sie sich jetzt persönlich?"
Jäger: "Ich bin erst einmal froh, dass wir dieses Gerichtsurteil erwirken konnten. Ich hätte mir einen anderen Weg gewünscht. Wer mich kennt, weiß, dass das nicht meine Art ist. Ich bin unter ganz anderen Voraussetzungen angetreten. Ich wollte der VLN helfen."

"Dass es einmal so enden würde, wusste ich auch nicht, als ich den Job antrat. Aber ich habe auch niemanden gehört, der mir gesagt hat: 'Deinen Job würde ich jetzt gerne machen.' Für mich ist es eine Herzensangelegenheit. Ich höre erst auf, wenn die Serie da ist, wo sie hingehört."