• 31.10.2007 12:39

  • von Pete Fink

Die Angst der Amerikaner vor der "Open-Wheel-Gang"

Ein neuer Begriff zieht langsam in die NASCAR ein, denn Juan Pablo Montoya und Co. lösen in der NASCAR ganz offensichtlich einige Zukunftsängste aus

(Motorsport-Total.com) - Vor allem die kommerziellen Fakten und Lehren aus dem Atlanta-Rennen haben in der NASCAR-Szene offensichtlich für einigen Wirbel gesorgt. Nicht nur, dass einige Plätze auf den Zuschauertribünen leer geblieben waren, was in der NASCAR eine ziemlich unübliche Erscheinung ist. Auch die ersten TV-Ratings haben einige Leute erschreckt, denn es ist schon verwunderlich, dass ausgerechnet im Saisonfinale die Einschaltquoten plötzlich um 16 Prozent sinken.

Titel-Bild zur News: Dario Franchitti Partrick Carpentier Jacques Villeneuve

Dario Franchitti, Partrick Carpentier und Jacques Villeneuve auf der Atlanta-PK

Zufälligerweise ergab es sich nun, dass die im Sommer des Jahres abgesagten CoT-Tests von Dover nun gleich im Anschluss an das Atlanta-Rennen nachgeholt wurden, und so mussten die Piloten auch zu diesen Themen Stellung nehmen. Analysiert man aber die Art der Fragestellungen, die in Atlanta aufgeworfen wurden, dann erhält man den Eindruck, als würden sich viele Beobachter darüber Gedanken machen, ob es einen Zusammenhang zwischen diesem Zuschauerrückgang und der Ankunft der Formelpiloten gäbe.#w1#

Im Prinzip riecht das Ganze bereits jetzt nach einer Art Sündenbock-Syndrom gleich in doppelter Hinsicht. Amerikaner würden gerne für Amerikaner schreien und die US-Formelserien hätten es vorgemacht, wie durch zu viele Ausländer die Attraktivität der Serie maßgeblich leide. Und: Jeder Formelpilot in der NASCAR nimmt einem Eigengewächs ein Cockpit weg.

In einer Art ist diese Gedankenfolge sogar verständlich, denn immerhin waren die Atlanta-Tests der erste Event, wo mit Juan Pablo Montoya, Jacques Villeneuve, Dario Franchitti und Patrick Carpentier die "Open-Wheel-Gang" in voller Mannstärke aufgetreten ist. Haben die Amerikaner etwa Angst vor den Formeljungs? Ist die Idee eines freien Marktes im uramerikanischen Motorsport gar nicht zu halten?

Wird NASCAR-Amerika protektionistisch?

Jeff Burton

Für Jeff Burton sollte der fahrerische Aspekt im Vordergrund stehen Zoom

Alles Quatsch findet zum Beispiel Jeff Burton, seines Zeichens NASCAR-Urgestein aus Virginia, und seit 1988 in der Busch-Serie und im Cup unterwegs. "Das Einzige, was zählen sollte, ist die Fahrkunst der jeweiligen Person und die Frage, ob er mit den Fans und Sponsoren umgehen kann. Ob er seine Sponsoren und den Sport repräsentieren kann, oder nicht. Das sollte das Kriterium sein und das sollte auch das einzige Kriterium sein."

Um es auf die Spitze zu treiben: Wenn Dale Earnhardt Jr. mit einem breiten Adidas-Logo auf seinem Rennanzug auftritt, dann werden diese Sponsorgelder gerne entgegen genommen. Wenn aber ein Franchitti einem David Stremme das Ganassi-Cockpit wegnimmt, dann schafft das Probleme.

Dabei ist das, was passiert ist, klar: "Chip Ganassi war kreativ", sagt etwa Jeff Burton. "Der Rest kopiert jetzt nur." Was er damit meint: Ganassi holte Montoya in die NASCAR, der durch seine Leistungen wiederum dafür sorgte, dass die internationalen Fahrerkollegen mit ansehen konnten, was der Kolumbianer zu leisten vermag - und plötzlich war NASCAR auch in den Fahrerkreisen der Formelklassen salonfähig.

Während sich also viele Szenebeobachter große Sorgen machen, ist für Jeff Burton das ganze Geschehen eher eine "Schmeichelei für unseren Sport und unsere Form des Motorsports." Der einzig kontroverse Punkt sei, ab welchem Punkt man nicht mehr genügend amerikanische Fahrer habe, um für den amerikanischen Fan attraktiv zu sein.

Formelserien als schlechtes Beispiel

Juan Pablo Montoya

Bösewicht Juan Pablo Montoya hat einen Stein ins Rollen gebracht Zoom

Über dieses Thema könne man durchaus reden, aber eine protektionistische Herangehensweise sei in keinem Fall der Weisheit letzter Schluss. Und Burton verrät, wo diese - für amerikanische Verhältnisse - ungewöhnliche Denkweise ihren ganz klaren Ursprung hat.

"Da gibt es durchaus ein Gefahrenpotenzial, denn wir haben die negativen Konsequenzen in anderen Formen des Motorsports gesehen." Was Burton meint ist ebenso klar, wie etwas einseitig gedacht, denn der Mangel an amerikanischen Piloten in den US-Formelserien liegt ganz einfach daran, dass seit vielen Jahren jeder amerikanische Pilot - wenn er die Chance erhält - lieber in der NASCAR fährt, als bei den ChampCars oder IndyCars.

Insofern hat NASCAR selbst - indirekt, aber maßgeblich - zum Niedergang der Formelserien beigetragen, und die wahren Gründe, warum die beiden Serien so schlecht dastehen, haben mit ganz anderen Dingen zu tun. Und wenn die Atlanta-Ratings um 16 Prozent fallen, dann müsste in dieser Argumentationskette eigentlich nur ein einziger Schuldiger gefunden werden, denn außer Juan Pablo Montoya ist kein anderer Formelpilot mitgefahren.

Doch solch einen Effekt kann selbst der Ganassi-Pilot nicht erreichen, denn der hat alle anderen Cup-Rennen des Jahres bestritten, als die Tribünen noch voll waren. Vielleicht haben die wachstumsverrückten Amerikaner noch nicht realisiert, dass ein Wachstum in einer gesättigten Region irgendwann einmal zwingend zu Ende gehen muss.

Vielleicht liegt es auch daran, dass sich der Titelkampf anno 2007 auf ein dominantes Team beschränkt, in dem zwei ungeliebte Kalifornier auf Südstaatenterrain die Szenerie beherrschen. Denn eines ist ganz klar: Wäre Lokalheld Dale Earnhardt Jr. im Chase, und wäre der Noch-DEI-Pilot am Wochenende in Schlagdistanz zu Gordon und Johnson gewesen, der Atlanta Motor Speedway wäre zweimal ausverkauft gewesen.