Kolumne: MotoGP-Favoritencheck
Jorge Lorenzo, Dani Pedrosa oder doch Valentino Rossi: Redakteur Sebastian Fränzschky wagt eine Prognose, wer 2013 zur MotoGP-Krone greifen könnte
(Motorsport-Total.com) - Liebe MotoGP-Fans, das Warten hat ein Ende: Nach einem wie immer viel zu langen Winter starten die MotoGP-Piloten am Wochenende in die neue Saison. Endlich ist sie vorbei, diese schrecklich triste Zeit, in der wir ohne den Soundtrack von M1, RC213V, Desmosedici und Co. auskommen mussten. Endlich gibt es Gewissheit, was die Winter-Testzeiten aus Malaysia und Spanien wert sind. Endlich gibt es wieder etwas Handfestes, über das wir berichten können. Mögen die Spiele beginnen!

© Repsol
Dani Pedrosa und Jorge Lorenzo gehen als große Favoriten in die neue Saison Zoom
Seit dem 11. November 2012, dem Finale der vergangenen Saison in Valencia, sind mehr als 140 Tage vergangen. Das entspricht beinah einem halben Jahr! Doch ganz MotoGP-frei war die Zeit seitdem natürlich nicht. Bereits die ersten beiden Sepang-Tests und der abschließende Jerez-Test waren für MotoGP-Freaks wie mich eine kleine Erlösung. Doch was blieb nach den drei offiziellen Tests im Gedächtnis hängen?
Die Erkenntnisse der Vorsaison
Zuerst einmal musste ich feststellen, dass Casey Stoner ziemlich schnell vergessen war. Zweifellos handelt es sich beim introvertierten Australier um den wohl talentiertesten Fahrer der vergangenen Jahre. Mit Sicherheit hätte Stoner weitere WM-Titel geholt, wenn er der MotoGP-Szene treu geblieben wäre. Doch eine besonders große Lücke hat der vermutlich begabteste aller Ausnahmekönner in dieser schnelllebigen Szene irgendwie nicht hinterlassen.
Ansonsten drehte sich wie immer alles ums Wetter. In Sepang kamen die Prototypen noch recht glimpflich davon, der zusätzliche Test der CRT-Vertreter fiel aber nicht nur wegen der Turbulenzen mit der neuen Einheitselektronik ins Wasser. Und auch beim finalen IRTA-Test in Jerez meinte es der Wettergott mit den testhungrigen Piloten nicht gut. Mangelnde Erfahrungen im Nassen dürfte 2013 wohl keiner als Argument für ausbleibenden Erfolg heranziehen.
Drohen spanische Festspiele?
Dass Dani Pedrosa und Jorge Lorenzo den Titel 2013 unter sich ausmachen werden, dürfte mit Blick auf die vergangen Saison wohl die gängigste aller Prognosen sein. Ein Blick auf die Testzeiten des abschließenden Kräftemessens in Jerez zeigt aber die Yamaha-Piloten Cal Crutchlow und Valentino Rossi an der Spitze. Verkehrte Welt? Auf die eigenwillige Strecke in Jerez zurückzuführen? Die Aussagekraft der Vorsaison-Tests sollte man, genau wie den Frühlingsbeginn in Deutschland, mit Vorsicht genießen.

© Yamaha
Im Gegensatz zu 2011 wird Lorenzo seiner Startnummer in diesem Jahr treu bleiben Zoom
Am Favoritenstatus von Lorenzo und Pedrosa hat sich meiner Meinung nach trotz der verwirrenden Tests nichts getan. Beide sind schnell, konstant und erfahren - die optimale Kombination, um Weltmeister zu werden. Doch wer wird 2013 das Rennen machen? Wenn ich mein Geld auf einen der beiden Fahrer setzen müsste, dann würde ich wohl Lorenzo wählen, auch wenn er seinem Landsmann in der zweiten Saisonhälfte 2012 nur selten Paroli bieten konnte. Doch durch die beiden WM-Titel kann der Yamaha-Werkspilot im Gegensatz zu Pedrosa befreiter fahren, auch wenn die M1 der RC213V auf einigen Kursen unterlegen sein wird.
Pedrosa befindet sich momentan in der Form seines Lebens. Und das muss er auch. Mit Marc Marquez steht sein potenzieller Nachfolger bereits in den Startlöchern. Und genau das könnte Pedrosa 2013 aus dem Takt bringen. Der Druck ist für den 250er-Weltmeister von 2004 und 2005 so hoch wie nie zuvor. Seit 2006 strebt der mittlerweile 27-Jährige vergeblich nach dem MotoGP-Titel. Und 2014 wird ihm Marquez teamintern noch mehr einheizen, als er es in der anstehenden Saison schon der Fall sein wird.
Auch wenn Marquez polarisiert, so kann man ihm eins nicht abstreiten: sein Tempo. Vorgänger Stoner war vermutlich der letzte wahre "Außerirdische" der MotoGP. Marquez könnte diese Rolle übernehmen, wenn er sich selbst Zeit lässt und im ersten Jahr noch nicht zu viel will. Außer Frage steht, dass sich der junge Spanier keine weiteren Kontroversen leisten kann, wenn er nicht das erste Opfer des neu eingeführten Strafensystems werden möchte. Solche Manöver wie in der vergangenen Moto2-Saison könnten in der MotoGP schmerzhaft enden. Gespannt bin ich, ob der amtierende Moto2-Champ die Beinahe-Stürze mit der RC213V ebenfalls so gekonnt abwenden kann, wie mit der Moto2-Suter.
Rossi: Der Traum vom zehnten Titel
Yamaha-Rückkehrer Rossi ist mein Geheimfavorit für die anstehende Saison. Mit der Erfahrung von 13 MotoGP-Jahren und dem Wissen, niemandem mehr etwas beweisen zu müssen, kann der "Doktor" auch nach zwei enttäuschenden Ducati-Jahren vollkommen entspannt in die Saison 2013 gehen. Vom reinen Tempo und der Konstanz wird er Lorenzo und Pedrosa vermutlich etwas unterlegen sein, doch wenn zwei sich streiten, dann könnte sich "Vale" freuen, der bekanntermaßen selbst im härtesten Gefecht die Übersicht behält.

© FGlaenzel
LCR-Pilot Stefan Bradl geht in der Saison 2013 mit einer Werks-Honda an den Start Zoom
Etwas mehr Übersicht dürfte auch LCR-Honda-Pilot Stefan Bradl in seiner zweiten MotoGP-Saison haben. Nach einem starken Einstand sammelte der Deutsche im Schlussspurt der Saison 2012 zu viele Bodenproben, wenn es drauf ankam und ein Podestplatz in Reichweite lag. Das ist HRC-Vizepräsident Shuhei Nakamoto auch nicht entgangen, der dem Deutschen 2013 dennoch eine Werks-Honda überließ. Damit stehen die Vorzeichen für die neue Saison zumindest aus technischer Sicht gut. Sollte Bradl einen ähnlichen Sprung wie Cal Crutchlow von 2011 zu 2012 machen, dann dürfen wir uns auf deutschsprachige Interviews im Parc Ferme freuen.
Tech-3-Pilot Crutchlow sehe ich 2013 häufiger auf dem Podest als im Vorjahr. Der wortgewandte Brite hat sich im Yamaha-Satellitenteam nicht zuletzt durch den Weggang von Andrea Dovizioso zum Rudelführer entwickelt. Auch ohne die neuesten Entwicklungen von Yamaha sollte Crutchlow konstant in den Top 6 fahren können. Während Lorenzo und Rossi ihre Trainingszeit mit dem Testen von neuen Teilen verbringen, kann sich der Tech-3-Pilot auf die Set-up-Arbeit konzentrieren. Auch wenn er diesen Zustand immer wieder kritisiert, so kann ich mir nicht vorstellen, dass Yamaha ihm wirklich wichtige Updates vorenthalten wird. Wozu die Spezifikation seiner "veralteten" M1 fähig ist, konnte man zuletzt in Jerez sehen.
Wann startet bei Ducati die notwendige Revolution?
Weniger optimistisch sieht es bei Ducati aus. Auch wenn die Italiener über den Winter nicht ganz untätig waren, so kann man deren betriebenen Aufwand nicht mal ansatzweise mit dem der beiden japanischen Konkurrenten vergleichen. Ein neuer Rahmen wurde bei Ducati vor der Saison 2012 als große Sensation gefeiert. Honda und Yamaha entwickeln pro Saison unzählige Chassis-Varianten mit deutlich weniger Medienwirbel. Wenn die Rückkehr an die Spitze gelingen soll, dann muss bei Ducati Corse etwas Grundlegendes geändert werden.

© Ducati
Kann Ducati den Rückstand zur japanischen Konkurrenz aufholen? Zoom
Ich kann den Weg, den Ducati-Corse-Chef Bernhard Gobmeier momentan einschlägt, nur bedingt nachvollziehen. Mit dem Desmosedici-Projekt befindet man sich offensichtlich in einer Sackgasse. Und was macht Ducati? Ein paar nette Details wie eine neue Verkleidung wurden in Sepang und Jerez getestet. Auch wenn die geringen Abstände des Jerez-Tests die Probleme bei Ducati ein bisschen kaschierten: Podestplätze sollten für "Dovi" und Nicky Hayden nur mit viel Glück möglich sein. Auch von Ben Spies erwarte ich 2013 nicht viel. Und vielleicht ist dieser fehlende Druck gerade das, was den Texaner anspornt. Wir werden es sehen.
Neues Qualifying-Format und konsequente Strafen
Spannung verspricht das neue Qualifying-Format. Damit wird die Arbeit der Teams in den Freien Training nicht gerade leichter, doch die Fans können sich auf mehr Fahrbetrieb und aussagekräftigere Sessions freuen. Überfällig ist die Einführung des Strafenkatalogs, auch wenn die MotoGP-Piloten in den vergangenen Jahren deutlich überlegter zu Werke gingen als die jungen Wilden der Moto3 und Moto2.
Gespannt sein darf man auf das, was mit Blick auf die Saison 2014 passieren wird, denn 2013 dürfte für die Beteiligten nur ein Übergangsjahr werden. Viele Fragen sind zu klären: Wie geht es mit den Prototypen weiter? Haben die CRT-Bikes eine Zukunft? Welchen Weg schlagen Honda, Yamaha und Ducati ein? Trauen sich neben Suzuki weitere Hersteller in die MotoGP? Besonders der letzte Punkt weckt Hoffnungen. Ich denke, jeder Fan träumt von einer Startaufstellung, in der BMW, Kawasaki, Aprilia und KTM mit eigenen Prototypen vertreten sind. Bis zur Erfüllung dieses Wunschs ist der Weg noch weit.
Nach der qualvollen Wartezeit wünsche ich allen MotoGP-Fans einen mitreißenden Saisonauftakt in Katar und viele spannende Momente, an die wir uns auch in Zukunft gern zurückerinnern.
Ihr
Sebastian Fränzschky

