• 05.08.2023 18:58

  • von Gerald Dirnbeck, Co-Autoren: Lewis Duncan, Oriol Puigdemont

Eine halbe Minute verloren: Debakel für Yamaha und Honda im Silverstone-Sprint

Yamaha und Honda fahren im hinteren Viertel des Feldes - Quartararo spricht von einem Weltenunterschied - Marquez lässt sich absichtlich hinter Mir zurückfallen

(Motorsport-Total.com) - Die japanischen Marken Yamaha und Honda spielten im nassen MotoGP-Sprint von Silverstone keine Rolle. Sie waren chancenlos gegen die drei europäischen Marken Ducati, Aprilia und KTM. Franco Morbidelli (Yamaha) konnte in der Schlussphase noch Pol Espargaro (KTM/GasGas), der nach langer Verletzungspause sein Comeback gab, für Platz 15 überholen.

Titel-Bild zur News: Marc Marquez, Fabio Quartararo

Honda und Yamaha hatten im Silverstone-Sprint großen Rückstand Zoom

Die Honda-Werksfahrer Joan Mir und Marc Marquez kamen auf den Positionen 17 und 18 ins Ziel. Fabio Quartararo (Yamaha) wurde zwischen dem LCR-Honda-Duo Takaaki Nakagami und Iker Lecuona 21. und Vorletzter.

Der Weltmeister von 2021 hatte einen besonders bitteren Tag erlebt. Im komplett verregneten Qualifying war Quartararo auf dem letzten Startplatz gelandet. Das war das schlechteste Qualifying-Ergebnis seiner MotoGP-Karriere.

Besonders dramatisch ist der Blick auf die nackten Zahlen. Quartararo verlor über lediglich zehn Rennrunden gewaltige 30 Sekunden - also drei Sekunden pro Runde. "Ich hatte schon bessere Tage", seufzt Quartararo am späten Samstagnachmittag.

Beim Start konnte er zwar ein paar Positionen gutmachen, aber das vordere Holeshot-System löste sich für eineinhalb Runden nicht. "Aber selbst wenn das nicht passiert wäre, wäre ich nur 18. oder 19. geworden", spricht der Yamaha-Fahrer Klartext.

"Es ist frustrierend, wie langsam wir fahren, obwohl wir alles geben. Es bin aber nicht nur ich. Ich sehe Mir, der ein Weltmeister ist, ich sehe Marquez, der ein Weltmeister ist. Ich weiß, dass alle diese Fahrer sehr genau wissen, wie man fahren muss."

"Ich weiß, was mir fehlt. Aber ich weiß nicht, warum wir es manchmal haben. In Argentinien war ich Letzter und kam noch auf Platz sieben. Ich weiß, wie ich im Regen fahren muss. Aber ich verstehe nicht, wie wir in zehn Runden 30 Sekunden verlieren können."

Fabio Quartararo

Fabio Quartararo erlebte einen seiner schwierigsten Tage Zoom

"Prinzipell fehlt uns viel Grip am Hinterrad", nennt Quartararo die Probleme der M1. "Das Hinterrad dreht auf der Geraden durch. Weil Grip fehlt, kann man sich nicht in die Kurve legen. Dadurch hat man keinen Kurvenspeed. Es sind viele Probleme, nicht nur eines."

Silverstone hat gnadenlos gezeigt, wie weit Yamaha und Honda hinter die Europäer zurückgefallen sind. Selbst am trockenen Freitag hat es keiner der sechs Fahrer direkt ins Q2 geschafft. Auch Morbidelli, der im feuchten Sprint als 15. noch der Beste war, hatte 27 Sekunden Rückstand.

"Wir sind alle weit hinten", spricht Quartararo die generelle Krise der beiden japanischen Marken an. "Wir machen irgendetwas falsch. Morgen müssen wir etwas komplett anderes probieren, weil wir nichts zu verlieren haben."

Fabio Quartararo

Die Yamaha M1 ist konzeptionell das älteste Motorrad im Feld Zoom

Die M1 sieht im Prinzip genauso aus wie vor zehn Jahren. Auch die Honda RC213V wirkt optisch auch "altbackener" als die Motorräder von Ducati, KTM und Aprilia, die tiefer und länger gebaut sind und im Zusammenspiel mit der komplexen Aerodynamik viel Grip erzeugen.

Ist das das entscheidende Problem, dass die M1 und die RC213V prinzipiell immer noch so sind wie vor zehn Jahren? "Ja", findet Quartararo. "Unsere Motorräder sehen wie Motorräder aus, die anderen sehen nicht wie Motorräder aus. Es ist eine andere Welt."

Warum sich Marc Marquez zurückfallen hat lassen

Auch die Honda-Fahrer klagen seit Monaten über mangelnden Grip. Marquez wollte im Sprint nichts riskieren, denn die vielen Stürze vor der Sommerpause haben ihn zum Nachdenken gebracht. Er hat seine Herangehensweise verändert. Er wurde hinter seinem Teamkollegen Joan Mir 18.

"Ehrlich gesagt", meint Marquez, "als ich [im Qualifying] viele Stürze gesehen und gemerkt habe, dass das Gefühl nicht so gut war - in Q1 habe ich gepusht, aber nicht wie verrückt. Im Sprint habe ich in den ersten beiden Runden gesehen, dass das Gefühl nicht gut war."

"Wenn ich heute etwas riskiert hätte, wäre ich fünf Sekunden weiter vorne ins Ziel gekommen, aber nicht mehr. Ich hätte noch drei Zehntelsekunden in der Hinterhand gehabt." Damit wäre Marquez im Bereich von Platz 14 oder 15 gewesen.

Joan Mir, Marc Marquez, Takaaki Nakagami

Marc Marquez wollte die Probleme hinter seinem Teamkollegen studieren Zoom

Deshalb entschied er anders: "Sechs Runden vor Rennende habe ich mir gedacht, was ich tun könnte, um zusätzliche Informationen zu geben. Einmal habe ich mich umgedreht und gesehen, dass Mir kommt. Also entschied ich mich dazu, auf ihn zu warten."

"Deshalb habe ich mich hinter eine andere Honda zurückfallen lassen, um von hinten zu verstehen, wie sich das Motorrad verhält. Er hatte das gleiche Gefühl wie ich. Somit habe ich versucht, für das Team Informationen zu finden."

Und was hat Marquez gesehen? "Hinter anderen Fahrern habe ich immer bei der Beschleunigung verloren, aber Mir konnte ich gut folgen. Wenn man hinter anderen Fahrern bei der Beschleunigung verliert, muss man am Kurveneingang versuchen, aufzuholen. Das ist die Sache, die uns fehlt."

Morbidelli: Schon im Vorjahr war die Lücke groß

Der Niedergang der Japaner passierte nicht von heute auf morgen. Vor einem Jahr führte Quartararo noch die Weltmeisterschaft an, aber das war laut Morbidelli ein Trugbild: "Wenn man die erste Hälfte des vergangenen Jahres analysiert, dann hatte Fabio diese unglaubliche Willensstärke."

Franco Morbidelli, Marc Marquez, Joan Mir

Als bester japanischer Fahrer hatte Morbidelli auch 27 Sekunden Rückstand Zoom

"Er hatte einen unglaublichen Speed und konnte sich in der WM einen Vorsprung aufbauen. Aber in der zweiten Saisonhälfte haben wir bereits gesehen, dass es eine große Lücke zwischen den Europäern und den Japanern gibt. In diesem Jahr ist der Schritt [der Europäer] noch größer."

Im Silverstone-Sprint fuhr Maverick Vinales mit der Aprilia auf Rang drei. Er hat Erfahrungen mit Suzuki und Yamaha. Im Sommer 2021 hat er Yamaha verlassen. Als er nach dem Sprint auf die Probleme seines ehemaligen Teams angesprochen wird, sagt er mit einem Grinsen: "Nicht mein Problem."